Juventus Turin:90 Millionen Euro als Seelenbekenntnis

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  • Serienmeister Juventus liefert in der Krise das Vorbild für den notleidenden italienischen Fußball.
  • Die Mannschaft verzichtet auf Gehälter im Gesamtwert von rund 90 Millionen Euro.
  • Wie groß die Opferbereitschaft wirklich ausfällt, ist offen.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Turiner sind immer die Ersten, auch jetzt wieder. Wahrscheinlich werden sie allen anderen den Weg weisen, Avantgarde eben. Juventus Turin hat sich in kurzer Zeit mit seinem hoch bezahlten Kader geeinigt. Der verzichtet auf einen schönen Teil seines Lohnes, um die Finanzbücher des Klubs vor einem gefährlichen Zerfleddern zu bewahren - nämlich auf die Gehaltsentrichtungen für März, April, Mai und Juni: vier Monate, ein Drittel des Jahresgehalts. Und da Juve für diese Saison die höchste Lohnsumme ausweist, die es seit Bestehen der italienischen Liga, der Serie A, jemals gegeben hat, sind das stattliche 90 Millionen Euro. Allein Cristiano Ronaldo verzichtet auf mehr als zehn Millionen Euro Nettogehalt, vorerst jedenfalls. Von den technischen Kleinigkeiten muss gleich noch die Rede sein.

Die Gazzetta dello Sport ist dermaßen berührt von der Geste des portugiesischen Superstars, dass sie in einem Kommentar schreibt: "König Midas steigt herab zum Volk, der Held lädt die Probleme der kleinen Leute auf seine Schultern, er ist der Superman, der seine Privilegien abstreift und normal wird." Das sei "epochal", heißt es, und pure "Juventusness" - ein Seelenbekenntnis zum Verein.

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Vor einigen Wochen hatte es noch anders getönt. Ronaldo war zu Beginn der Corona-Krise der Erste, der in einem Privatjet nach Hause nach Madeira "floh", wie es hieß, auf die Insel im Atlantik, weit weg vom Schrecken Norditaliens. Danach taten es ihm etliche Juve-Spieler gleich: Sami Khedira, Douglas Costa, Gonzalo Higuaín - alle weg in die Heimat.

Andere blieben in Turin, etwa die argentinische Kreativkraft Paulo Dybala. Der Angreifer steckte sich mit dem Coronavirus an, verbrachte einige schwere Tage und ist nun auf dem Weg der Besserung. Doch von der "Desertion der Söldner", wie man es in Italien nannte, redet jetzt niemand mehr. Als Ronaldo sein Okay zum Lohnverzicht gab, war der Deal beschlossen.

Für Juventus ist dieses Entgegenkommen von Spielern und Trainer Maurizio Sarri vital. Präsident Andrea Agnelli hatte in den Tagen vor der Einigung gesagt: "Niemand ist immun, Timing ist alles: Das hier ist die größte Herausforderung in der Geschichte unseres Spiels und unserer Industrie." Diese Aussage sollte wohl auch die Verhandlungen beschleunigen.

Chiellinis Vermittlung rettet Juve über den Sommer

Die Schlüsselrolle spielte dabei der Kapitän Giorgio Chiellini, dem nicht nur der Ruf eines vorbildlichen Profis vorauseilt: Neben seinem Beruf als harter Abwehrspieler hat er Ökonomie studiert und abgeschlossen, ein "Dottore" also. Seine These schrieb er über das Businessmodell von Juventus. Er kennt die Zahlen, er kennt seine Leute. Nach seiner Aktivkarriere soll Chiellini Mitglied der Vereinsdirektion werden, ab jetzt ist das sowieso klar. Denn seine Vermittlung rettet Juve über den Sommer.

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Der börsennotierte Klub hatte schon im ersten Semester dieses Geschäftsjahres 50 Millionen Euro Schulden angehäuft. Sollte nun die Meisterschaft nicht zu Ende gespielt werden, würden noch mal 45 Millionen an TV-Rechten für Serie A und Champions League wegfallen, außerdem 40 Millionen von den Sponsoren und 20 Millionen vom Kartenverkauf. Dieses Geld war schon längst verplant gewesen.

Doch ganz so generös, wie es nun den Anschein macht, sind die Herrschaften in Wahrheit nicht. Tatsächlich verzichten die Spieler und Coach Sarri, ein früherer Bankangestellter, wohl auf höchstens zwei Monatslöhne. "Sollte die Meisterschaft weitergehen", schreibt Juventus in seiner Dankesadresse an die Belegschaft, "werden Verein und Angestellte im guten Glauben darüber verhandeln, wie sich ein Teil der Ausfälle kompensieren lässt." Vorausgesetzt, dass die Saison fertig gespielt wird und sich das Geschäft halbwegs erholt.

Wichtig ist zunächst nur, dass die hohen Lohnkosten nicht mehr auf die laufende Bilanz drücken, das würde weder den Anlegern noch den Finanzprüfern der Uefa gefallen. Im Juli beginnt dann ein neues Geschäftsjahr im Fußball und, wie man nicht nur bei Juve hofft, eine bessere Zeit. Für diese neue Zeit wird den Spielern in Aussicht gestellt, dass sie mindestens einen Monatslohn, im Fall einer Vollendung der unterbrochenen Meisterschaft sogar zwei Gehälter zurückerstattet erhalten.

Außerdem, so nimmt man an, dürfte sich die Opferbereitschaft der Großverdiener bei der Aushandlung neuer Verträge auszahlen. Überhaupt handelt es sich da natürlich um ein sehr relatives Opfer: Der Correio de Manhã, eine portugiesische Zeitung, vermeldete am Sonntag, Cristiano Ronaldo habe sich gerade trotz Krise eine "Bombe" bestellt - einen Bugatti Centodieci, ein Luxuswagen in limitierter Auflage. Kostenpunkt: acht Millionen Euro.

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Ausgenommen vom Lohnausfall bei Juve sind die Bediensteten des Vereins, die in aller Regel nicht auf Gruppenfotos zu sehen sind, sowie die Mitarbeiter des Trainerstabs. Denn die verdienen nur einen Bruchteil dessen, was der Chef erhält: Sarri verdient sechs Millionen im Jahr.

Völlig unabsehbar bleibt, ob sich die Saison der Serie A noch retten lässt. Italien ist immer noch mittendrin in der akuten Phase der Pandemie, der verordnete Shutdown der Wirtschaft betrifft alle nicht essenziellen Unternehmen im Land. Druck erfährt der Fußball nun auch von anderen Verbänden, deren Sportarten vielleicht nicht ganz so populär und wirtschaftlich prägend sind wie der Calcio. Die Meisterschaft im italienischen Rugby etwa wurde bereits definitiv beendet. Der Basketballverband überlegt noch, ob man dem Beispiel folgen will.

Die Liga orientiert sich wohl einmal mehr am Vorbild Turin

In der Serie A gehen die Interessen weit auseinander. Lazio Rom etwa will unbedingt bald weiterspielen: Im eingefrorenen Klassement steht man auf Platz zwei, nur einen Punkt hinter Serienmeister Juve - so groß war die Aussicht auf den Meistertitel, den "Scudetto", seit 20 Jahren nicht mehr. Die meisten anderen Vereine sind skeptisch. Der Betrieb müsste spätestens im Mai reaktiviert werden, damit überhaupt eine Aussicht besteht, dass der Sommer für alles reicht: Meisterschaft, Pokal, europäische Wettbewerbe, Pause, Wiederaufnahme. Niemand trainiert derzeit, viele ausländische Spieler sind in die Heimat zurückgekehrt. Bis da wieder etwas Schwung aufkäme, bräuchte es seine Zeit.

Vorerst werden sich die Klubs wohl am Krisenmanagement Juves orientieren, am Vorbild Turin, einmal mehr. Der gesamten Liga droht ein Ausfall von 730 Millionen Euro, 430 allein aus den Fernsehrechten. Sky und Dazn, die zwei Bezahlsender auf dem Markt, haben von der letzten Tranche für diese Saison bereits 215 Millionen überwiesen, als Anzahlung - sie werden auch dieses Geld zurückfordern, falls gar nicht mehr gespielt wird. Die beiden Vereine aus Genua, Sampdoria und Genoa, der FC Turin und Neapel bezahlen schon seit Februar keine Löhne mehr, um die Klubkasse zu schützen. Ohne Absprache allerdings.

© SZ vom 30.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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