Schwimm-WM:Zeitspiel mit Merkwürdigkeiten

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Husain Al-Musallam, Präsident des Schwimm-Weltverbandes, in Fukuoka. (Foto: Quinn Rooney/Getty)

Sollen russische und belarussische Schwimmer wieder zugelassen werden? Ein Jahr vor Olympia drückt sich der Weltverband um Präsident Al-Musallam um eine klare Haltung. Ein Fragebogen an Athleten und Trainer irritiert.

Von Sebastian Winter, Fukuoka

Am Dienstag hat der Schwimm-Weltverband, der sich inzwischen nicht mehr Fina, sondern World Aquatics nennt, zur Generalversammlung geladen. In Fukuoka, wo gerade die Weltmeisterschaften stattfinden. Präsident Husain Al-Musallam aus Kuwait wurde für acht Jahre wiedergewählt - nur zwei von 365 Delegierten verweigerten dem 63-Jährigen die Gefolgschaft. 99,45 Prozent! Gegenkandidaten gab es keine, der einzige potenzielle Widersacher, der Italiener Paolo Barelli, war wegen Verstößen gegen den Ethik-Codex suspendiert worden.

Al-Musallam, ein ehemaliger Pilot, soll, wie schon vor einigen Jahren bekannt wurde, in Bestechungsskandale rund um den Fußball-Weltverband Fifa verwickelt gewesen sein - was er selbst bestreitet. Nun durfte er, wie üblich nach solchen Wahlen, ein formschönes Bild des Weltschwimmens zeichnen, ganz nach dem Motto: Es wird alles für die Athleten getan. Nur deswegen zieht das World-Aquatics-Headquarter von Lausanne nach Budapest um, in ein "Exzellenzzentrum", mit besten Bedingungen für die Schwimmer, wie Al-Musallam feierlich verkündete. Zugleich versprach Ungarns nach Fukuoka gereister Außenminister Péter Szijjártó den Funktionären am Dienstag, dass sie das neue Hauptquartier "15 Jahre lang kostenlos zur Verfügung haben werden". Samt allen dazugehörenden Steuervorteilen. Klingt auch exzellent.

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Die Skandalnudeln aus Fifa und IOC sind auch in anderen Weltverbänden tief vernetzt: Im Schwimmen soll ein Kuwaiter Präsident werden, der als Mitverschwörer in der Fifa-Affäre gilt.

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Bei den beiden kontroversen Themen, die World Aquatics derzeit beschäftigen, traten dann allerdings die Trennlinien hervor.

Zum einen hatte der Verband im vergangenen Jahr in Budapest beschlossen, Transgender-Schwimmerinnen - wie der US-Amerikanerin Lia Thomas - die Teilnahme an Frauen-Wettkämpfen zu untersagen, wenn sie mindestens einen Teil der männlichen Pubertät durchlaufen haben. Für sie soll stattdessen eine offene Kategorie eingeführt werden; Al-Musallam will nun aber erst Testballons starten, ehe es offizielle Rennen gibt. Ein Ausschuss befasst sich mit der Materie, und dessen Arbeit, sagte Al-Musallam, "ist noch nicht abgeschlossen". Andere Sportverbände haben in dieser Sache längst verbindliche Regeln geschaffen.

Die andere Kontroverse betrifft die mögliche Rückkehr russischer und belarussischer Athleten - eine Frage, die natürlich drängt, exakt ein Jahr vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Paris. World Aquatics hatte Russen und Belarussen 2022 nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgeschlossen. Im April 2023 hat der Weltverband dann auch hier eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Wege auskundschaften sollte, Schwimmerinnen und Schwimmer aus diesen Ländern wieder zu integrieren - gegebenenfalls unter neutraler Flagge. So, wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) es empfohlen hat. Doch das Gremium unter der Leitung der Präsidentin des Panamerikanischen Schwimm-Verbandes, Maureen Croes, legte in Fukuoka gar keine Empfehlung vor.

Auch Al-Musallam blieb folgerichtig unkonkret. Er höre "unterschiedliche Ansichten": "Später in diesem Jahr wird die Task Force zu ihren Schlussfolgerungen kommen."

Online-Fragebögen sollen das Stimmungsbild abbilden, sind aber anscheinend schlecht gemacht

Derweil schickte die Arbeitsgruppe - und schickt offenbar immer noch - zur Causa Russland Online-Fragebögen an Trainer und Schwimmer der Mitgliedsverbände herum. Sie sollen anonymisiert beantwortet werden. Ziel der Umfrage ist es, ein besseres Stimmungsbild zu bekommen: "Wenn Sie noch nicht mit der Task Force gesprochen haben, empfehle ich Ihnen, dies zu tun. Es ist wichtig, dass sie von so vielen Menschen wie möglich hören", warb Al-Musallam in Fukuoka fast rührend um die Teilnahme.

Allerdings gibt es Merkwürdigkeiten. So wurden manche Nationen offenbar schon mit den Fragebögen versorgt, andere, etwa der Deutsche Schwimm-Verband (DSV), noch nicht. Dem Vernehmen nach soll es außerdem ein Leichtes sein, die Umfrage zu manipulieren. Jedenfalls schilderte ein Schwimmer bei einer Sitzung des Europäischen Schwimm-Verbandes (Len), wie Teilnehmer der SZ berichten, dass die Fragebögen schlecht gemacht seien und man sie problemlos in mehrfacher Ausfertigung an World Aquatics zurückschicken könne.

Die Len spricht sich weiterhin klar gegen eine Teilnahme von russischen und belarussischen Athleten an internationalen Wettkämpfen aus; weitere Einzelverbände der westlichen Hemisphäre sehen das ähnlich. Will Al-Musallam diese Allianz bröckeln lassen, indem er ein vielschichtigeres globales Meinungsbild dagegensetzt?

Al-Musallam traf sich in Fukuoka auch mit der deutschen Delegation, oder: Er empfing sie zur Audienz. DSV-Vizepräsident Kai Morgenroth sagte tags darauf: "Wenn ich dem Präsidenten glauben kann, dann kann nur eine Empfehlung für die Wiederzulassung ausgesprochen werden, wenn die kriegerischen Handlungen ad acta gelegt sind. Das hat er ganz klargemacht im Gespräch eben, und darauf setze ich." Setzen kann man darauf ja mal. Aber man sollte die Sätze eines taktierenden und nicht gerade gut beleumundeten Weltverbandspräsidenten auch nicht auf die Goldwaage legen.

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