Eisschnelllauf:WM-Wagnis im Eisoval

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Schnellste Sprinterin auf Kufen: Die Japanerin Miho Takagi wagt in Inzell ein Experiment. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die Japanerin Miho Takagi ist die schnellste Sprinterin auf Kufen - sie vertraut ganz auf niederländische Expertise.

Von Barbara Klimke

Beim Eisschnelllauf wurde der Siegeskranz am Wochenende nicht im Haar getragen, sondern um die Schultern, ähnlich wie auf Bildern von Radsport-Heroen aus den 1920er-Jahren. Miho Takagi ist eine zierliche Person, 1,63 Meter klein, der mächtige grüne Reif reichte ihr in Inzell bis zur Hüfte, aber sie nahm die Sache sportlich: Im Gewinnen und Beglückwünschtwerden verfügt sie über so viel Routine wie wenige andere, die auf scharfen Kanten um die Runden kurven.

Vor drei Wochen ließ sich die Japanerin Miho Takagi in Calgary zweimal zur Weltmeisterin in den Einzelstrecken küren, über 1000 und 1500 Meter. Im Weltcup war sie in diesem Winter in den 1500-m-Rennen fünfmal die Schnellste. Bei der Sprint-WM in Inzell lieferte sie sich dann am Donnerstag und Freitag unter dem weißen Wellendach der Max-Aicher-Arena vier packende Duelle (zweimal 500 Meter, zweimal 1000 Meter) mit der jungen Niederländerin Femke Kok. Nichts konnte sie beirren, schon gar nicht der Umstand, dass eine andere Niederländerin, Jutta Leerdam, noch kurz vor ihrem Lauf den Hallenrekord verbesserte. "Mein Ziel war es, Femke nach zweihundert Metern abzufangen", sagte sie, darauf richtete sie ihre Konzentration. Und als die erfolgreiche Hatz auf Klappschlittschuhen mit Geschwindigkeiten bis zu 50 km/h beendet war, hatte sie ihrer Saisonsammlung einen weiteren WM-Titel samt Blätterkranz hinzugefügt.

Das sollte reichen, hätte man denken können. Aber Miho Takagi, 29, die weltbeste Sprinterin, war noch nicht fertig - denn es stand bei letzten Championat der Saison noch ein letzter Wettkampf im Kalender: der Mehrkampf der Allrounderinnen, die härteste Herausforderung, bei der an zwei Tagen vier Stecken, 500, 1500, 3000 und 5000 Meter, zu bewältigen sind. "Sie liebt die Herausforderung im Sprint", sagte ihr Trainer Johan de Wit. Aber der Mehrkampf, seit 1893 bei den Männern ausgetragen, seit 1936 offiziell bei den Frauen, habe im Vergleich dazu das größere Prestige: "Die Geschichte des Eisschnelllaufs gründet auf dem Mehrkampf, und das ist ihr natürlich bewusst."

"Mein Körper ist unglaublich müde", sagte Takagi vor Abbruch des Experiments

Es war ein Wagnis. Keine andere Frau nahm diese Doppelbelastung auf sich. Zwar gehört Miho Takagi - wie Anni Friesinger - zu der kleinen Gruppe von fünf Frauen, die in der Geschichte ihres Sports beide WM-Formate, Sprint und Allround, schon einmal gewonnen hatten. Aber nicht im selben Jahr. Und an drei Tagen nacheinander jeweils über 500 Meter vorzulegen, "davor ist mir ein bisschen bange", sagte sie am Abend zuvor.

Als Samstag dann zur großen Jagd geblasen wurde, war Takagi tatsächlich Schnellste im ersten Rennen über 500 Meter. Beim zweiten, den 3000 Metern, aber lag sie als Elfte (4:05,41 Minuten) schon weit zurück. "Ich brauche Zeit zur Erholung", seufzte sie, als sie danach im Treppengang der Arena, der sogenannten Mixed Zone, vor einem Absperrgitter und einer Traube vor Journalisten stand; der Weltverband ISU und der deutsche Verband DESG hatten bis Samstagabend keine Pressekonferenz für die Athleten bei der WM organisiert. "Mein Körper ist unglaublich müde", ergänzte Takagi. Und auf die Frage, ob das gesund sei, was sie da betreibe: "Nein. Ich würde es nicht empfehlen."

Am Abend richtete ihr Trainer Johan de Wit am Telefon aus, dass Takagi den Mehrkampf nicht beenden werde. Sie war nach der langen Saison dann doch zu erschöpft für ein Kufenexperiment.

Dass Japans schnellste Eisläuferin der Expertise des Niederländers vertraut, ist alles andere als ein Zufall. Johan de Wit, 45, war 2015 vom japanischen Verband als Nationalcoach engagiert worden, und binnen kurzer Zeit fand das Team, das bei den Winterspielen in Sotschi noch erfolglos gewesen war, unter seiner Anleitung zurück in die Spur. 2018 in Pyeongchang schlugen die Japanerinnen, angeführt von Miho Takagi, in der Teamverfolgung die hochfavorisierten Niederländerinnen um Ausnahmeläuferin Ireen Wüst. 2022 in Peking gewann Takagi über 1000 Meter Einzel-Olympiagold. Und als Trainer de Wit anschließend Japan verließ, schloss sie sich seinem Privatteam an, zu dem inzwischen auch der Chinese Ning Zhongyan gehört, der in Inzell den Sprint-WM-Titel der Männer gewann.

Mehrkampf-Weltmeisterin ist am Sonntagnachmittag die Niederländerin Joy Beune geworden vor ihren Kolleginnen Marijke Groenewoud und Antoinette Rijpma-De Jong. Bei den Männern wurde dem erst 19-jährigen US-Amerikaner Jordan Stolz der große Blätterkranz umgehängt: Stolz, bereits sechsmaliger Weltmeister auf Einzelstrecken, jagte auf dem Inzeller Eis zu zwei Bahnrekorden (über 500 und 1500 Meter) und verwies den dreimaligen Mehrkampf-Champion Patrick Roest aus den Niederlanden auf Platz zwei. Felix Maly aus Erfurt wurde Achtzehnter, seine Dresdener Kollegin Josefine Schlörb landete auf Rang 21.

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