Jordan Stolz bei der WM in Inzell:Vom Gartenteich aus zu neuen Maßstäben

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Uneinholbar: Jordan Stolz hat im Februar drei WM-Titel gewonnen, nun greift er im großen Mehrkampf an (Foto: Matthias Schrader/AP)

Der US-Amerikaner Jordan Stolz, 19 Jahre alt und jüngster Weltmeister der Geschichte, verblüfft die Eisschnelllauf-Welt. Seine Technik lässt Experten schwärmen - auch, weil sein Vater einst einen ungewöhnlichen Glatteis-Spielplatz anlegte.

Von Barbara Klimke, Inzell

Es ist eine Weile her, dass Jordan Stolz in St. Moritz übers Eis flitzte. Zwei Dinge fielen dem Jungen aus Wisconsin, damals 15 Jahre alt, auf: die Naturbahn auf dem See unter den Bergen des Engadins, die schon 1928 und 1948 die Kulisse für Olympische Winterspiele abgaben. Und der Umstand, dass es offenbar kaum Live-Übertragungen von seinen Rennen bei den Schweizer Youth Olympic Games gab; zumindest hatte er, anders als bei den übrigen Disziplinen, keine laufende Fernsehkamera entdeckt. Ein Fehler, wie er dem Sender NBC einmal sagte: Der Wettlauf auf scharfen Kufen habe mehr Aufmerksamkeit verdient - nicht nur aus historischen Gründen

Mit Natureis kennt Jordan Stolz, heute 19 und sechsmaliger Weltmeister, sich aus. Er hat gewissermaßen seit Kindertagen seine eigene Freiluftbahn im Garten. Sein Vater Dirk, ein Polizist, so geht die Geschichte, setzte sich eines Tages in Kewaskum, einem kleinen Ort nördlich von Milwaukee, ins Geländefahrzeug, um ein kleines Oval auf dem gefrorenen Teich des Grundstücks für die beiden Kinder freizufräsen. Später installierte er noch eine Außenbeleuchtung, damit Jordan und seine ältere Schwester auch nach Einbruch der Dunkelheit übers Eis kurven konnten. Die Bedenken der Mutter über diesen Glatteis-Spielplatz hinter dem Haus räumten sie nach einer Weile erfolgreich aus.

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Für das Schlittschuhlaufen hatte er sich als Fünfjähriger begeistert, als er vor dem Fernseher saß und dem US-Olympiasieger Apolo Anton Ohno zusah, wie er bei den Spielen von Vancouver beim Shorttrack übers Eis wetzte. Er selbst bevorzugt heute die längeren Strecken, ohne Pulk und Karambolagen, aber was die Bilder von damals bewirkten, hat er nicht vergessen: "Hätte ich nicht die TV-Übertragung der Spiele gesehen, würde ich heute nicht diesen Sport betreiben." Auch deshalb wirbt er für mehr Sendezeiten, damit die nächste Generation den wilden Spaß des Kufenflitzens entdeckt.

Wenn Eisschnelllauf in den USA inzwischen ein gestiegenes Interesse verzeichnet, liegt das auch an ihm: Denn Stolz ist zur Attraktion seiner Sportart aufgestiegen. Bei den Weltmeisterschaften in Inzell griff er erstmals am Samstag im großen Mehrkampf, der über zwei Tage geht, ins Geschehen ein. Während die Eltern auf der Tribüne saßen - samt Großvater Werner, der 1979 aus beruflichen Gründen von Schluchsee im Schwarzwald nach Wisconsin umzog -, waren alle die Kameras auf den jugendlichen Champion gerichtet: Über 500 Meter verbesserte er in 34,10 Sekunden den Inzeller Bahnrekord; dann pulverisierte er anschließend über 5000 Meter seine persönliche Bestzeit um sechs Sekunden auf 6:14,76 Minuten. "Es ist ganz gut gelaufen", sagte er danach lächelnd; "so ähnlich hatte ich mir das ausgerechnet." Zur Halbzeit des Wettbewerbs führt er komfortabel vor dem dreimaligen Mehrkampfweltmeister, dem Niederländer Patrick Roest.

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Unter Beobachtung der Konkurrenz steht er bei jedem Schritt. Von Laurent Dubreuil, 31, dem mehrmaligen Weltmeister aus Kanada, heißt es, dass er Tage damit zubrachte, die Technik von Stolz im Detail zu studieren: Das Vermögen seines jungen US-Rivalen, eine halbe Ewigkeit lange auf einem Bein zu gleiten, bevor die andere Kufe aufsetzte, so sagte Dubreuil der New York Times, sei eine Art Weltereignis. Ältere Experten vergleichen Stolz bereits mit Eric Heiden: jenem US-amerikanischen Eisschnellläufer und Kufen-Fabelwesen, das in Lake Placid 1980 Olympiagold über alle fünf Strecken abräumte - vom 500-Meter-Sprint bis zur 10 000-Meter-Langstrecke.

Jordan Stolz war 16, als er den US-Landesrekord im Sprint unterbot. Nach den üblichen jugendlichen Schwankungen hat er inzwischen zu einer staunenswerten Beständigkeit gefunden. Vor einem Jahr gewann er zunächst vier Titel bei der Junioren-WM. Zwei Monate später düpierte er im niederländischen Eislauftempel Thialf in Heerenveen die Erwachsenen-Elite: Er siegte über 500, 1000 und 1500 Meter. Zudem kürte er sich zum jüngsten Weltmeister der Geschichte seines Sports. Und nebenbei verblüffte er das Oranje-Fachpublikum noch mit dem Kunststück, den niederländischen 1000-Meter-Olympiasieger Thomas Krol um 0,67 Sekunden abzuhängen. Diesen Dreifach-WM-Erfolg hat Stolz im Februar beim Einzelstrecken-Championat in Calgary wiederholt.

Vielleicht ist es deshalb wenig verwunderlich, dass er sich in Inzell, ehe es langweilig wird, nun neue Ziele sucht. Statt im Sprint-Mehrkampf anzutreten, will er sich im Mehrkampf der Allrounder messen, der schon seit 1893 auf Kufen ausgetragen wird. "Ich finde, das ist der härtere Wettkampf", hat am Freitag gesagt.

Er trainiert schon längst nicht mehr auf der kleinen Eisbahn hinterm Haus. Als sein Talent offensichtlich wurde, kutschierten die Eltern ihn regelmäßig ins 65 Kilometer entfernte Milwaukee, ins dortige National Ice Center. Sein erster Coach war Robert Fenn, der den Olympiasieger Shani Davis unterrichtet hatte; nach Fenns frühem Tod übernahm Davis zwischenzeitlich. Dann rief die Familie Stolz bei Bob Corby, 73, an - und der frühere US-Nationaltrainer kehrte für die Betreuung eines Ausnahmetalents vor fünf Jahren aus dem Ruhestand an die Bande zurück.

Corby erzählte, dass er Jordan Stolz zunächst ein paar Dinge abseits des Eises habe beibringen müssen. So habe er ihm etwa die Wichtigkeit von Sommertraining und Hanteltraining erklärt. Der Münchner Hendrik Dombek, der Stolz regelmäßig im Weltcup antrifft und ebenfalls Stilstudien anstellte, kam zu folgendem Schluss: "Das muss eine gewisse Form von Talent sein", sagte er vor der WM: "Er trifft einfach den Abdruck. Das gibt es wahrscheinlich einmal in jeder Generation: dass einer sich aufs Eis stellt und mit jedem Schritt 100 Prozent der Kraft aufs Eis überträgt." Schön anzusehen sei es außerdem, sagte Dombek.

Allerdings ist es mitunter auch ein wenig frustrierend für die Konkurrenz.

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