Hertha BSC:Labbadia lehrt Leichtigkeit

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Herthas Trainer Bruno Labbadia feuert seine Mannschaft gegen Augsburg an. (Foto: Hannibal Hanschke/AP)

Beim Sieg gegen Augsburg zeigen die Berliner eine Halbzeit lang, in welcher herausragenden Form sie sich derzeit befinden - aber auch, wie fragil der Fortschritt ist.

Von Jens Schneider, Berlin

Es gibt viele gute Gründe, das Fehlen der Zuschauer bei einem Bundesligaspiel sehr zu bedauern. Öd und besonders leer fühlt sich das Berliner Olympiastadion vor dem Spiel der Hertha gegen Augsburg an, zugig ist es und für ein Pfingstwochenende arg kalt. Gerade diese besonders große Arena wirkt wie eine bizarre Kulisse für ein Fußballspiel ohne Publikum. Und die beiden Mannschaften stolpern am Anfang erst mal chaotisch in das Spiel, ihnen ist dieses Setting ja auch nach bisher drei Spieltagen noch immer fremd, es geht wie zufällig hin und her. Nach einer Viertelstunde aber stellt sich mitten in dieses Bezirkssportanlagengefühl hinein auf dem Platz dort unten eine Ordnung ein, wie man sie Hertha BSC noch vor wenigen Wochen niemals zugetraut hätte.

Diese erste Halbzeit zeigte, weshalb die Berliner so etwas sind wie die Geisterspiel-Meister, die zweite sollte offenbaren, wie fragil dieser Fortschritt ist. Die jetzt im vierten Spiel von Bruno Labbadia gecoachte Berliner Mannschaft dominierte die Begegnung mehr als eine halbe Stunde lang mit einer großen Selbstverständlichkeit. Verblüffend sicher, imponierend ruhig, bis zum Pausenpfiff, und die nur durch die Rufe der Spieler und Trainer durchschnittene Stille im Stadion passte zu diesem hoch konzentrierten Auftritt. Die Berliner spielten die Art von Fußball, bei der es erst einmal um Kontrolle geht und Tore von allein fallen müssten, weil sie sich halt ergeben. Nichts wirkt erzwungen, nichts zufällig.

Beginnend bei den beiden souverän auftretenden Innenverteidigern Anga Dedryck Boyata und Jordan Torunarigha bauten sie ihr Spiel auf, hielten den Ball, bis sich einer der ständig rotierenden Mitspieler vorn angespielt werden konnte. Mit präzisen Pässen, ohne Hast, und lieber noch mal hinten rum, wenn sich vorn keine Lücke bot. Der Ball kursierte zuweilen mehr als ein Dutzend mal in den Berliner Reihen, bevor die Augsburger auch nur einen Fuß dazwischen bekamen. Langsam, langsam - und erst bei günstiger Gelegenheit überraschend schnell, so war es auch, als Maximillian Mittelstädt auf der linken Seite in der 23. Minute viel Raum hatte und den Ball scharf in den Strafraum schlug. Seine Flanke geriet zu lang, aber Peter Pekarik erlief sich den Ball. Sein abgefälschter Schuss wurde von Augsburgs Torwart Andreas Luthe noch abgewehrt. Den Abpraller aber nahm sich der Herthaner Dilrosun, lupfte den Ball kurz an einem Gegner vorbei und drosch ihn ins Tor. Es war ein Treffer, der in seiner Leichtigkeit dem Spiel der Berliner bis dahin entsprach, und die Augsburger konnten froh sein, dass nicht noch weitere folgten, wie ihr Trainer Heiko Herrlich hinterher feststellte. Ihr Torhüter Luthe reagierte einige Male aufmerksam und hielt seine Mannschaft im Spiel, besonders imponierend als kurz vor der Pause Vedad Ibisevic eine diesmal präzise Flanke von Mittelstädt direkt verlängerte.

Hertha geht die Kraft aus

Warum bricht so ein Spiel? Warum wendet es sich, nur weil in der großen Bezirkssportanlage Berlin-Charlottenburg 15 Minuten Pause gemacht wurde? "Der Tank war komplett leer", sagt Bruno Labbadia nach dem Spiel. Nun habe seine Mannschaft nur noch kämpfen und verteidigen können.

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Es ist ja Irrtum, dass Leichtigkeit leicht fällt. Sie sieht leicht aus, kostet aber unfassbar viel Kraft, und die Berliner hatten viel Kraft gelassen in den letzten Spielen. Wer leicht angespielt werden kann, muss sich vorher den freien Raum erlaufen haben. Und die Berliner Mannschaft hatte, daran erinnert ihr Trainer, weniger Zeit zu trainieren. Sie war zwei Wochen in Quarantäne, und sie hat in dieser Woche schon RB Leipzig getrotzt, ein Unentschieden bei einer Champions League-Mannschaft erreicht.

Und die Augsburger verstehen sich wiederum darauf, Mannschaften mit Schnelligkeit auseinander zu reißen, wenn die sie lassen. Nun zeigten sie schnelles, direktes Spiel, anders als die vorher so geduldigen Berliner, aber doch aussichtsreich. Es dauerte nur wenig mehr als eine Minute, bis in der zweiten Halbzeit klar war, dass sich die Partie drehen würde. Herthas Torwart Rune Jarstein konnte eine flache Hereingabe nur gerade so abwehren. Es sah nach seinem nächsten Patzer aus, in Leipzig hat er sich gerade erst einen Ball quasi selbst ins Netz gelegt. Aber hier parierte er den Nachschuss von Sarenren Bazee mit einer beachtlichen Parade.

Nun konnten die Augsburger Pässe die Berliner erobern, die sie vor der Halbzeit nur gesehen hätten. Sie waren nun aggressiver, weil sie den Platz hatten für den mutigen Auftritt. Immer wieder kam Vargas schnell über die linke Seite. Oft schalteten die Augsburger so schnell um, dass die Berliner Abwehrspieler bestenfalls noch dazwischen springen konnten. Wo vorher freies Spiel war, gab es jetzt Befreiungsschläge. "Wir mussten an der Grenze arbeiten", sagt Labbadia. "Wir hatten drei Wochen weniger Training." Und er weiß nach diesem Spiel, dass sie auch Glück gehabt haben: "Da ging nichts mehr, und wir haben trotzdem weiter verteidigt. Ich glaube, jeder hat den Tank komplett leer gemacht." So viele sehr einfache Ballverluste hatte Hertha BSC gezeigt, das hohe Tempo hatte viel Kraft gekostet.

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Herrlich zählt die vergebenen Chancen auf

Augsburgs Trainer Heiko Herrlich beschrieb nach dem Spiel ein Gefühl aus dieser zweiten Halbzeit, das die ganze wunderbare Unlogik des Fußballs treffend auf den Punkt brachte. Seine Mannschaft habe in der ersten Halbzeit nicht stattgefunden. Aber dann konnte sie das Spiel drehen, und sie habe so viele Chancen gehabt. Er zählte sie auf, die beste war ein Lattenschuss von Marco Richter in der 89. Minute, aber bei weitem nicht die einzige, auch Georg Teigl hätte den Ausgleich erzielen können oder - wie da gern gesagt wird - müssen, und Herrlich hatte das Gefühl, dass nur dieses eine Tor fehlte: "Ich war mir sicher, wenn wir eins machen, gewinnen wir das Spiel noch."

Sie machten es nicht, Herthas ganze Mannschaft stemmte sich dagegen, vor allem Boyata und Torunarigha räumten viele Pässe der Augsburger ab, und es passt aktuell zu Hertha unter Labbadia, wie seelenruhig in der letzten Minute Vladimir Darida und als Torschütze Krzysztof Piatek die einzige große Konterchance dieser zweiten Halbzeit zu Ende spielten. Die Augsburger waren komplett aufgerückt, so gehen solche Spiele gern zu Ende. Vier Spiele, zehn Punkte, und das gegen starke Mannschaften wie Hoffenheim, Union Berlin, Leipzig und nun Augsburg - es wäre Berlin nicht Berlin, wenn man nicht, wo sie doch gerade den Welttrainer Jürgen Klinsmann kurz kennengelernt haben, der Coach Bruno Labbadia nicht gefragt würde, ob nun der Blick nach oben ginge. Wenige Punkte seien es ja nur noch bis zum Europacup-Platz. Labbadia sagt da nur, dass er froh über diese Punkte ist. Er sei da sehr dankbar, und das Restprogramm unfassbar schwer. "Wir mussten echt leiden." Da wirkt Bescheidenheit wie eine angemessene Haltung.

© SZ vom 01.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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