Hertha BSC:Ein Fußballspiel in Trauer und Stille

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Berlins Haris Tabakovic hält ein schwarzes T-Shirt mit Schriftzug: "Wir Herthaner in tiefer Trauer." (Foto: Andreas Gora/dpa)

"Die Lücke, die du hinterlässt, wird nicht zu schließen sein": Hertha BSC trennt sich am Sonntag 2:2 von Fortuna Düsseldorf - vor allem aber nehmen Klub und Fans Abschied vom verstorbenen Präsidenten Kay Bernstein.

Von Javier Cáceres, Berlin

Fußball ist im Idealfall eine Übung der Freude. Doch daran war am Sonntag in Berlin nicht zu denken, als Hertha BSC im Berliner Olympiastadion gegen Fortuna Düsseldorf antrat, fünf Tage nach der Nachricht vom Tod des erst 43-jährigen Klubpräsidenten Kay Bernstein. Das Spiel begann, und es war, als läge das weite, kalte Rund unter einer Schicht aus Ergriffenheit, Pathos und Stille, die erst durch die Düsseldorfer Fans im Gästeblock aufgebrochen wurde, als fünf Minuten verstrichen waren. In irreal anmutender Atmosphäre trennten sich Berliner und Düsseldorfer 2:2. Doch das war an diesem Tag kaum mehr als eine Randnotiz.

Die Kummer-Bekundungen hatten sich lange vor Beginn des Spiels einen Weg durch den Berliner Westen gebahnt. Am Theodor-Heuss-Platz begann ein stiller Trauermarsch, an dem auch Delegationen von zahlreichen Vereinen aus der ersten und zweiten Liga teilnahmen. Er endete vor dem Olympiastadion, das sich in den vergangenen Tagen in eine Pilgerstätte für verwundete Hertha-Herzen verwandelt hatte. Zahlreiche Fans legten Rosen, Schals, Kerzen nieder; vor einer Wand prangte ein riesiges Bernstein-Porträt.

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Noch ist unklar, wer dem verstorbenen Kay Bernstein als Präsident folgen wird. Das jetzige Präsidium will bis zu den Neuwahlen im Herbst im Amt bleiben. Zugleich betont der Verein, den von Bernstein eingeschlagenen Kurs fortzusetzen.

Von Javier Cáceres

Als die Trauergemeinde die Kurve erreicht hatten, in der Bernstein groß geworden war, herrschte Stille. Während sich die Mannschaften warmmachten, lief getragene Musik, vornehmlich Deutschrock-Balladen, aber auch John Lennons "Imagine" und "My Way", in der Version des verstorbenen Berliner Unikums Harald Juhnke. Die Stadionleinwände wurden mit Schwarz-Weiß-Fotos von Bernstein geflutet. Es war auch ein Bild des Präsidentensessels zu sehen: drapiert mit Blumen in Blau und Weiß, mit dem Megafon, das Bernstein als Anführer der Ultra-Organisation "Harlekins" einst benutzt hatte, und mit der charakteristischen Hertha-Trainingsjacke, die Bernstein trug.

Tabakovic widmet sein Tor Bernstein

Was folgte, war der wohl ergreifendste Moment des Sonntags: als die Kurve "Ha, Ho, He" rief, den Schlachtruf der Hertha-Fans also, im Anschluss an eine Schweigeminute und eine Ansprache, bei der dem Stadionsprecher Fabian von Wachsmann die Stimme mehrmals fast versagte. "Es bricht uns das Herz", sagte er. "Die Lücke, die du hinterlässt, wird nicht zu schließen sein." Viele Angestellte aus der Geschäftsstelle standen Arm in Arm am Spielfeldrand. Auch der kommissarische Präsident Fabian Drescher und Geschäftsführer Thomas E. Herrich hielten einander fest.

Als das Spiel angepfiffen wurde, herrschte: Stille. Auch die Rheinländer entsagten sich in den ersten Minuten jeglichen Gesangs - und hielten in Gedenken an Bernstein ein Transparent in die Höhe. "Ein anderer Fußball ist möglich."

Das Olympiastadion hat sich in den vergangenen Tagen in eine Pilgerstätte verwandelt: Zahlreiche Fans haben Rosen, Schals, Kerzen niedergelegt; vor einer Wand prangt ein riesiges Bernstein-Porträt. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Die Partie selbst hätte den Zuschauern unter normalen Umständen abverlangt, Pietät walten zu lassen. Die Darbietung stand lange in keiner Relation zu der Schönheit der Tore, insbesondere der Treffer der Hertha. Haris Tabakovic, ob seines Nachnamens nur "Fluppe" genannt, schnappte sich am Strafraum einen Ball, über den sich Hertha-Stürmer Derry Scherhant und zwei Düsseldorfer nicht einig geworden waren, und setzte ihn aus 14 Metern ziemlich exakt in den rechten oberen Winkel (30. Minute). Das Tor widmete er Bernstein: Statt mit den Kameraden zu jubeln, rannte er zur Ersatzbank und ließ sich eines der schwarzen T-Shirts reichen, die Herthas Profis beim Aufwärmen über die Arbeitskleidung gestreift hatten. "Wir Herthaner in tiefer Trauer", stand dort geschrieben. Dann deutete Tabakovic in den Himmel.

Dass die Düsseldorfer kurz vor der Pause durch Isak Johannesson ausglichen (44.), geschah zur allgemeinen Verblüffung. Bis dahin hatten sie kaum Argumente geliefert, die zu der Überzeugung geführt hätten, sie könnten in Berlin punkten. Doch noch in der Nachspielzeit der ersten Hälfte kam Hertha zur neuerlichen Führung, diesmal dank der gütigen Mithilfe des Fortuna-Torwarts Florian Kastenmeier. Er bediente unfreiwillig Scherhant, und er jagte den Ball in den Winkel. "Da brauchen wir nicht lange drumherumreden", sagte Kastenmeier später. "Das darf mir nicht passieren."

In der Schlussphase gehen beide Mannschaften gelöster und mit größerer Verve zu Werke

Nach der Pause wurde das Spiel in jeder Hinsicht farbiger. Unter anderem, weil sich die Mannschaften aus der Beklemmung lösten, auf den Rängen eine größere Beschäftigung mit dem zunehmend wilden Spiel zu verzeichnen war - und weil Herthas Innenverteidiger Marc Oliver Kempf nun Kempf-Dinge tat. Der frühere Bundesligaprofi, der bei Hertha immer latent auf dem Absprung ist, verursachte innerhalb von fünf Minuten zwei Foulelfmeter an Jona Niemiec. Den ersten Strafstoß verwandelte Christos Tzolis sicher zum 2:2 (50.), den zweiten aber setzte er neben das Tor.

In der Schlussphase zeichneten sich beide Mannschaften dadurch aus, dass sie gelöster und mit größerer Verve zu Werke gingen. Zumeist ließen sie es aber doch an der nötigen Präzision missen. Die besten Chancen hatte Herthas Tabakovic, der einen Ball ans Außennetz setzte (72.), sowie Tzolis für die Fortuna, als er in der 90. Minute aus zwölf Metern überhastet verzog. Es blieb damit bei einem Unentschieden, das die Rheinländer lautstark feiern wollten, obschon sie auf Platz fünf abgerutscht sind; Hertha ist übrigens Achter.

Die Fortuna-Rufe wurden von den Herthanern noch lautstärker missbilligt. Sie verharrten zusammen mit der Mannschaft, in aller Stille; das Team hatte ein Transparent vor die Kurve getragen, auf dem das zu lesen war, was den Tag im Westend markiert hatte: die Trauer um Bernstein.

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