Wichtig vor so einer Auslosung ist, dass man nichts Dummes sagt. Dass man niemanden verletzt, reizt, provoziert; nur ein falsches Wort, und es hängt ja sofort zu Motivationszwecken auf einem Zettel in Gegners Kabine. Aber wenn man trotzdem beim FC Bayern, kurz vor der Halbfinal-Auslosung an diesem Freitag, eine Umfrage gestartet hätte, geheim natürlich, wer der Wunschgegner sei, vermutlich hätte sich ein klares Votum ergeben. Eines, mit dem vor wenigen Wochen nicht zu rechnen war: Traumlos Real! Abgeschlagen und gleichauf auf den Plätzen: Atlético Madrid und der FC Chelsea.
Zu favorisieren wäre Real aus vielerlei Gründen: Zum einen gibt der Gesundheitszustand des gefürchteten Cristiano Ronaldo weiter Rätsel auf, von einer Muskelverletzung im Oberschenkel ist die Rede, die schon sein Mitwirken beim 0:2 in Dortmund verhinderte. Der Rest des Kaders überlebte gegen entfesselte Borussen soeben "eine Nacht des Schreckens", wie El Mundo schrieb. Die Weißen aus dem Norden von Madrid boten die mit Abstand schwächste Vorstellung aller Halbfinalisten.
Der FC Bayern in der Einzelkritik:Pingpong mit den Zuschauern
Arjen Robben versöhnt sich mit dem Publikum. Franck Ribéry erkennt, dass er Gegenspieler Phil Jones im Ringkampf nicht schlagen kann. Und Philipp Lahm erschafft den abkippenden Außenverteidiger. Der FC Bayern beim 3:1 gegen Manchester in der Einzelkritik.
In Kontrast dazu standen die Truppen - die Anlehnung ans Militärische ist hier zulässig - aus London und aus dem Süden von Madrid. Harte, athletische, kompakte Einheiten, in denen sich wie selten sonst der Charakter ihrer Baumeister spiegelt. Der Portugiese José Mourinho und der Argentinier Diego Simeone sind Disziplin-Fanatiker, die gerne auf dem Ticket des Außenseiters reisen. Der Star ist jeweils der Trainer. Gegen diese auf Befehl und Gehorsam gedrillten Zweikampf-Verbände würde niemand, hätte er die freie Auswahl, zwei Mal antreten wollen. Da genügt eine Begegnung auf neutralem Boden, am 24. Mai im Finale in Lissabon.
Unabhängig davon gebührt Atlético bereits heute jede Anerkennung dafür, dass es so weit gekommen ist. Es ist eine Aschenputtel-Geschichte, die über den Fußball hinausreicht. Die im EU-Krisenland Spanien längst als Modell dafür herhalten darf, was alles gelingen kann, wenn man sich nicht seinem Schicksal in Larmoyanz ergibt, sondern Chancen ergreift, die eigentlich gar nicht da sind. Real, der Nachbar, hat immer nur Spieler gekauft, wovon, weiß niemand so genau, während Atlético alljährlich seinen Besten transferierte, um zu überleben - erst im Sommer den Kolumbianer Falcao für mehr als 50 Millionen Euro an einen Oligarchen, dem der AS Monaco gehört.
Nur das Geld, so lehrt ja oft die Realität, beherrscht den Fußball. Deshalb ist es vermutlich nur eine Momentaufnahme, zugleich aber auch ein Wegweiser, dass man unter den beiden Madrider Klubs derzeit lieber gegen den reicheren als gegen den ärmeren spielen würde.