Fans bei der Fußball-WM:Feiern unter kreisenden Drohnen

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Mit jeder Stunde wird die Stimmung auf dem WM-Fanfest ausgelassener, sie bleibt aber bis zum Schluss geordnet, friedlich, gesittet. (Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP)

Küssen, singen, Händchen halten: Was dürfen Fans in Katar? Und wie viel Bier darf es sein? Ein Besuch bei der Eröffnungsfeier der größten Fanzone in Doha.

Von Dunja Ramadan, Doha

Um 19.27 Uhr weht bereits eine leichte Bierbrise über die Fanzone, die gigantische Fläche am Bidda Park nahe der Corniche von Doha wird von einem DJ mit Technobeats beschallt. Die meisten Menschen wippen noch von einem Bein aufs andere, keiner grölt, keiner scheint betrunken zu sein. Seit 19 Uhr dürfen die Besucher der Fanzone sich mit "international beverages" volllaufen lassen - nein, falsch, empfohlen wird einem von den Ausschenkern: vier Becher pro Person. Der Ägypter mit Haarnetz, der gerade mit Ausschenken beschäftigt ist, sagt, dass das natürlich Schmarrn sei: "Wer soll das bitte kontrollieren?"

Und wer besorgt sich das Bier der Marke Budweiser (gibt's auch in Zero und mit WM-Becher zum Mitnehmen) so? "Sehr viele, nicht nur die Westler. Menschen aus Bangladesch, Nordafrika, jeder will was trinken", ist seine Beobachtung. Auf der Fläche stehen aber dann doch erstaunlich viele ohne das Bier für 50 Riyal pro Person, umgerechnet rund 13,30 Euro.

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Die Veranstalter rufen auf Schildern zur Zurückhaltung auf: "drink responsibly" (Trinke verantwortungsbewusst) raten sie den Menschen, bevor diese die Bierschlange erreichen. Japanische Fans haben sich gerade vier Stück in Papphaltern geholt. Sie sagen: "Ist schon teuer. Wird wohl nur bei einem Bier pro Person bleiben." Ein Argentinier schaut bei der Frage richtig traurig drein: "Die Bierstimmung fehlt auf jeden Fall."

Dann wird der goldene Pokal von einem ehemaligen Weltmeister zum nächsten gereicht, Lothar Matthäus ist auch dabei

Zwei Franzosen, die noch umherirren und sich fragen, wo es das Politikum Bier zu kaufen gibt - die Bierschlange ist weiter hinten, neben der VIP-Lounge und nicht gleich zu finden - haben zu Hause viel Gegenwind einstecken müssen, weil sie nach Katar geflogen sind. "Aber wir wollten feiern, die Stimmung hier einfangen", sagen sie. Der katarische Standup-Comedian Hamad Al Amari, der als Katarer ziemlich einsam in dieser Fanzone zu sein scheint - gerade mal eine Handvoll Katarer sind in der sehr diversen Fangemeinde zu sehen - versucht derweil genau diese anzuheizen. "Wer liebt Sport?", ruft er in die Menge. Ein paar klatschen. "Wer liebt Musik?" Ein paar mehr klatschen. Junge Saudis, undercover in T-Shirt und Jeans statt im traditionellen weißen Gewand, finden ihn nicht lustig. "Er lacht wie der Grinch, er soll einfach nur gehen", sagt einer.

Von einem Weltmeister zum anderen: Der goldene Pokal wandert beim Fanfest der WM in Katar durch die Hände von ehemaligen Titelträgern wie den Brasilianern Roberto Carlos und Cafu und Lothar Matthäus (Dritter von links). (Foto: Isaac Ortiz/Agencia MexSport/Imago)

Als dann Hassan al-Thawadi, der Generalsekretär des WM-Organisationskomitees, sichtlich bewegt auf die Bühne tritt, hören die Saudis gebannt zu: "Es begann vor zwölf Jahren. Es war ein Traum, viele Leute haben nicht an uns geglaubt, aber wir haben an uns geglaubt." Er macht eine Pause, die Leute klatschen. "Diese WM ist die erste in der arabischen Welt, und sie ist nur für euch", sagt Thawadi. "Wir machen Geschichte, ihr alle seid Teil dieser Geschichte, glaubt mir. Ich danke euch von ganzem Herzen." Die jungen Saudis klatschen.

Dann wird der goldene Pokal von einem ehemaligen Weltmeister zum nächsten gereicht, Lothar Matthäus ist auch dabei. Als Fifa-Präsident Gianni Infantino auf die Bühne tritt, begrüßt er die Fans erstmal auf Arabisch, mit einer gar nicht mal so schlechten Aussprache: "Ahlan wa sahlan, herzlich willkommen", sagt er, um dann die üblichen Floskeln loszuwerden: "The World is united in Doha", die Welt sei vereint in Doha, "Schokran gazilan" (Arabisch: vielen Dank). Dann zählt er den Countdown von 10 runter, gemeinsam mit den Fans, die Fanzone ist eröffnet!

Je später es wird, desto ausgelassener ist die Stimmung, doch sie bleibt bis zum Schluss: geordnet, friedlich, gesittet - von Exzess keine Spur. Sogar einen Gebetsraum gibt es in dem Areal. Vor allem die wenigen Katarer, die in der Fanzone zu sehen sind, bewahren Contenance. Sie wippen nicht mal hin und her, nur einer hüpft kurz in die Höhe, aber das war's auch schon. Frauen in Hotpants und bauchfreien Tops ziehen derweil an Frauen in traditionellem Sari oder mit langen Gewändern vorbei. Kleine Kinder schlafen langsam ein.

"Öffentlich tauscht man hierzulande keine Liebesbekundungen aus, das ist nun mal unsere Kultur", sagt ein junger Tunesier

Viele junge Männer aus Indien und Bangladesch tanzen ausgelassen, vor allem als DJ Panjabi MC auflegt gibt es für sie kein Halten mehr, und man merkt: Diese WM ist auch ihre WM. Die Mehrheit der Ausländer stammen aus Indien, Bangladesch, Nepal, Pakistan oder Sri Lanka. Für sie ist die kostenlose Fanzone ein wenig Abwechslung in einem Alltag voller Arbeit. Einer von ihnen trägt ein Trikot von Argentinien. Als argentinische Fans, und von denen gibt es in der Fanzone so einige, vorbeiziehen, grüßen sie sich lachend.

Mittlerweile weht ein angenehm frischer Wind durch die Fanzone, tagsüber hatte es in Doha noch über 30 Grad. Die Feierlaune, die angeblich gekauften Fans, die so oft angezweifelte Atmosphäre - hier soll das Gegenteil bewiesen werden. Ob aber die kleinen, grün blinkenden Drohnen, die seit Stunden über den Fans kreisen, Vertrauen wecken?

Ganz ohne Bier geht es dann doch nicht: Die WM-Veranstalter rufen auf Schildern zur Zurückhaltung auf, selbst die hohen Preise sind vor dem Turnierstart aber nicht abschreckend genug für manche. (Foto: Marko Djurica/Reuters)

Weibliche Sicherheitskräfte mit Kopftuch und Baseballcaps streifen grüppchenweise durch die Fanzone, vorbei an ihren männlichen Kollegen. Viel zu tun haben sie offenbar nicht. Dafür aber die Reinigungskräfte, die schon die ersten verschütteten Bierbecher einsammeln. Immer wieder sind Paare beim Händchenhalten zu beobachten, manche kuscheln oder umarmen sich. Aber knutschen oder gar mehr? Keine Spur. "Öffentlich tauscht man hierzulande keine Liebesbekundungen aus, das ist nun mal unsere Kultur", sagt ein junger Tunesier, der seit einem Jahr in Doha lebt.

"Wir Tunesier sind ja da auch etwas lockerer. Aber was ich trotz allem gut finde: dass die Katarer ihre Sitten und Gebräuchen pflegen - und die Menschen daran erinnern, diese Kultur zu respektieren", sagt der 29-Jährige. Er selbst sei oft in Europa und werde genauso daran erinnert, wer dort das Sagen hat. "Kaum betrete ich europäischen Boden, werde ich gescannt. Racial profiling ist dort an der Tagesordnung, weil die Polizisten davon ausgehen, dass Menschen, die so aussehen wie ich, die Regeln nicht einhalten", sagt er und holt das Smartphone raus, um zu etwas filmen. Passiert ja hier nicht jeden Tag, das ganze Spektakel.

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