Fußball-WM: Honduras - Chile:Nicht quer, nur steil

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Nicht Brasilien, Portugal oder Frankreich bieten bei dieser Fußball-WM spielerischen Glanz - dafür braucht es erst zwei Fußballzwerge. Chile gewinnt mit 1:0 gegen Honduras, weil ein Bundesliga-Profi groß aufspielt.

Michael König

"Es gibt keine Kleinen mehr", sagte einst der Trainergigant Berti Vogts. Anlässlich der Fußball-WM 2010 bedarf dieses Motto einer Überarbeitung. Es muss neuerdings lauten: Es gibt keine Großen mehr. Brasilien, Italien, England, Frankreich - die vermeintlichen Riesen unter den Fußballnationen lieferten am ersten WM-Spieltag mehrheitlich eine Leistung ab, die optimistische Beobachter mit dem Attribut "uninspiriert" versahen. In weniger freundlichen Kommentaren war von "Stümperei" oder auch "Grütze" die Rede. Das 4:0 der Deutschen gegen Australien war eine erfreuliche Ausnahme von der Regel.

Ein Bundesliga-Legionär obenauf: Arturo Vidal von Bayer Leverkusen war der spielbestimmende Mann der Chilenen beim 1:0 gegen Honduras. (Foto: afp)

Es brauchte erst Honduras und Chile, zwei - mit Verlaub - Zwerge der Fußballwelt, um das erhoffte Feuerwerk bei dieser WM zu zünden. Chile besiegte Honduras mit 1:0 und übernimmt die Führung in der Gruppe H. Das knappe Ergebnis täuscht darüber hinweg, dass beide Teams von Beginn an nach vorne spielten - nicht immer erfolgreich, aber stets konsequent.

Der nach Offensivfußball lechzende Fernsehzuschauer sah, wie Arturo Vidal von Bayer Leverkusen auf der linken und Mauricio Isla von Udinese Calcio auf der rechten Seite immer wieder Vorstöße wagten, die man von Spielern wie Cristiano Ronaldo, Franck Ribéry oder Kaká erwartet hätte. "Wir wollen ins Halbfinale und Geschichte schreiben", hatte Vidal vor der Partie verkündet. Bis ins Halbfinale ist der Weg noch lang, das andere Ziel hat Chile aber schon erreicht: Es war der erste Sieg bei einer WM-Endrunde für die "Roja" (die Rote) seit 1962, als Chile bei der WM im eigenen Land Dritter wurde.

In der Qualifikation für das Turnier in Südafrika hatte Chile bereits angedeutet, dass historisches Potential in der Mannschaft steckt. Hinter Brasilien wurde das Team des argentinischen Trainers Marcelo Bielsa Zweiter in der Südamerika-Gruppe. In 18 Qualifikationsspielen schoss Chile 32 Tore. Bei einer Internet-Umfrage des Fußball-Weltverbands Fifa stimmten ein Drittel aller Befragten für die Südamerikaner als das potentielle Überraschungsteam bei der WM.

Bielsa ist dafür berüchtigt, voll auf Angriff zu setzen. In Chile nennen sie ihn " el loco" - den Verrückten. Aus vielen Talenten, die 2007 bei der U-20-WM in Kanada Dritter wurden, formte Bielsa ein starkes Team, für das "Querpass" ein Fremdwort zu sein scheint. Schon in der dritten Minute vergab Chile gegen Honduras die erste Chance, als Fernández mit einem Freistoß knapp über den Querbalken zielte - das Netz zitterte, als habe es Ahnung davon, was 31 Minuten später folgen sollte.

In der 34. Minute steckte der quirlige Fernández den Ball zu Rechtsverteidiger Isla durch, der das Spielgerät mit Wucht in die Mitte zurückgab. Dort war sein Mitspieler Jean Beausejour zwar einen Schritt langsamer als der honduranische Verteidiger Mendoza, doch trotzdem erfolgreich: Mendoza wehrte den Ball so unglücklich ab, dass er Beausejour an die Seite sprang - und von dort zum 1:0 ins Netz.

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Für den Zuschauer war nicht nur das Tor erfreulich, sondern auch die Stimmung, die anschließend im Stadion von Nelspruit herrschte: Dem chilenischen Fanblock gelang es beim Torjubel tatsächlich, das Dauertröten der Vuvuzelas zu übertönen - ein seltener Moment bei dieser WM.

Das Team aus Honduras wirkte vom Gegentor nicht geschockt, große Chancen hatten sich die Kicker des politisch instabilen mittelamerikanischen Staates ohnehin nicht ausgerechnet. Als am 15. Oktober 2009 völlig überraschend die Qualifikation für die WM 2010 feststand, rief die Regierung jenen Tag zum Nationalfeiertag aus. In der Vorbereitung plagten Verletzungssorgen Nationaltrainer Reinaldo Rueda. Top-Torjäger Carlo Costly zog sich einen Fußbruch zu. "Niemand kann ihn ersetzen", klagte Rueda, der zu allem Überfluss aus disziplinarischen Gründen für das Spiel gegen Chile gesperrt war.

Honduras verlegte sich auf das Konterspiel, kam jedoch selten so weit, dass der bullige Solo-Stürmer Carlos Pavón dem chilenischen Tor hätte gefährlich werden können. Zumeist griffen die Chilenen den Ball im Mittelfeld ab - um ihn schnell in die eigene Spitze zu befördern.

Spätestens nach 64 Minuten hätte es 2:0 für Chile stehen müssen, doch der honduranische Keeper Noel Valladares von Olimpia Tegucigalpa verhinderte mit einem Sprung in bester Oliver-Kahn-Manier, dass Waldo Ponce einen Kopfball aus etwa 50 Zentimetern Torentfernung über die Linie bringen konnte. Vidal hatte zuvor mustergültig geflankt - der Leverkusener war der beste Chilene des Spiels, seine Quote gewonnener Zweikämpfe lag bei 71 Prozent.

Auch Alexis Sanchez hatte sich wohl Hoffnungen auf diesen inoffiziellen Titel gemacht. Allerdings verwechselte der rechte Mittelfeldspieler von Udinese Calcio die Partie zu oft mit einer Trainingseinheit für Übersteiger. Seine allzu brasilianischen Dribblings hemmten das schnelle chilenische Spiel und provozierten Ballverluste. In der 62. und 75. Minute vergab der ballverliebte Italien-Legionär gute Torchancen.

In der Bilanz gefühlter Tore stand es am Ende 4:0 für Chile. Gäbe es eine Wertung des attraktivsten Fußballs bei dieser WM, müsste Chile angesichts dieser Leistung Platz zwei einnehmen - hinter Deutschland. Im Turnier könnten die Teams frühestens im Halbfinale aufeinandertreffen.

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