Missbrauch im US-Fußball:"Brennt alles nieder!"

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Megan Rapinoe fand erneut deutliche Worte für die Zustände im US-Fußball. (Foto: Edgar Su/Reuters)

Amerikas Frauenfußball wird von Skandalen erschüttert: Vier von zehn Trainern müssen wegen Fehlverhaltens gehen, die Chefin der Profiliga NWSL tritt zurück - es laufen Ermittlungen wegen sexueller Delikte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Geschichte ist abscheulich, ekelerregend und unerhört - doch wer wissen will, wie tief die Wurzeln dieser stinkenden Pflanze in der amerikanischen Gesellschaft verankert sind, sollte diesen Werbespot sehen, der im US-Fernsehen gezeigt wird. Die männlichen Sportgrößen Patrick Mahomes (Football), Derrick Rose (Basketball) und Fernando Tatís junior (Baseball) unterhalten sich darüber, was diese Person so alles erreicht hat: Meisterschaft, zwei Olympiasiege, individuelle Auszeichnungen. Man könnte fast glauben, sie würden übereinander reden; doch tatsächlich ist es ein Loblied auf Candace Parker, die beste Basketballspielerin der Welt.

Megan Rapinoe schimpft öffentlich

Der Spot verfolgt die besten Absichten, doch liegt es im Auge der Betrachter, ob sie bei der Auflösung verzückt "Oh, Candace, klar!" rufen oder - so wohl das Kalkül - ernüchtert "Ach so, nur eine Frau."

Viele Betrachter, nicht nur in den USA übrigens, sehen Frauen als Profisportler zweiter Klasse - die Frage ist: In welcher Disziplin, außer im Tennis und einer Handvoll anderer, sind Frauen den Männern finanziell sowie in puncto öffentlicher Aufmerksamkeit wirklich gleichgestellt? Man braucht viel Glück, um selbst in den USA ein Candace-Parker-Trikot zu finden. Diese Nachrangigkeit macht manche Sportlerinnen zu Zielen von Übergriffen, und es verwundert nicht, dass Megan Rapinoe, eine der besten Fußballerinnen der Welt, bei Twitter über ihre Sportart schreibt: "Brennt alles nieder!"

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Im aktuellen Fall geht es um Richie Burke, der als Trainer des Profivereins Washington Spirit die Spielerinnen derart fertiggemacht haben soll, dass zum Beispiel die Verteidigerin Kaiya McCullough in einem Interview kürzlich sagte: "Er hat dafür gesorgt, dass ich Fußball hasse." Burke soll seine Spielerinnen beleidigt und bedroht und dabei rassistische, homophobe und sexistische Witze gerissen haben. Mittlerweile ist er entlassen, und man könnte nun sagen: Einzelfall, Verein und Liga ermitteln, läuft.

Man könnte aber auch fragen, was die Gotham-FC-Mittelfeldspielerin McCall Zerboni fragt: "Woher wissen wir denn, dass es nicht wieder passieren wird? Denn es ist passiert, wieder und wieder, und niemand hat etwas dagegen unternommen, der etwas hätte tun können."

Es ist nämlich kein Einzelfall, und es ist kein ausschließlich aktueller Skandal: Bereits 2018 hatten sich zwei ehemalige Jugendspielerinnen von D.C. United über ihren einstigen Trainer Burke beschwert, die Vorwürfe klangen wie jene von heute; die Antwort der Washington Spirit konnte aus dem Krisenhandbuch für Profiklubs stammen: Ermittlung, keine Maßnahmen nötig, weitermachen. Obwohl die Vorwürfe also bekannt waren, verpflichtete man Burke als Cheftrainer - und klopfte sich nach dem dritten Platz in der vergangenen Saison öffentlich selbst auf die Schulter: Burke habe das Vereinsklima neu belebt.

"Er hat einen kontrolliert", sagt eine Spielerin über ihren Coach

In der laufenden Saison der Profiliga NWSL sind bereits vier von zehn Trainern entlassen worden, alle wegen Fehlverhaltens. Paul Riley, NWSL-Trainer der Jahre 2017 und 2018, musste bei North Carolina Courage gehen, weil ihm Spielerinnen vorgeworfen hatten, dass er sie zu Geschlechtsverkehr gedrängt habe - Sinead Farrelly zum Beispiel, die ihre Geschichte dem Sportmagazin The Athletic erzählte: "Er hat einen kontrolliert." Er habe sie neben Sex auch dazu gedrängt, eine Mitspielerin vor seinen Augen zu küssen, um dem Team eine Konditionseinheit am nächsten Tag zu ersparen.

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Farid Benstiti (OL Reign) wurde entlassen wegen verbaler Entgleisungen, und Christy Holly, weil er bei Racing Louisville ein feindseliges und sexistisches Arbeitsklima geschaffen haben soll. Vier von zehn, da kann man nicht mehr von Einzelfällen sprechen; doch es geht noch schlimmer. Riley war schon 2015 von den Portland Thorns entlassen worden, es waren ähnliche Vorwürfe gegen ihn erhoben worden. Im April schickte Farrelly eine E-Mail an die damalige NWSL-Chefin Lisa Baird mit der Frage, was sie im Fall Riley zu tun gedenke. Antwort: "Die Vorwürfe sind untersucht, die Ermittlungen abgeschlossen."

Als nun die neuen Vorwürfe gegen Riley auftauchten, da gab sich Baird verblüfft. In einem Statement schrieb sie, dass sie "schockiert und angewidert sei", und wiederholte die üblichen Floskeln, etwa, wie sehr sich die Liga um die Sicherheit ihrer Spielerinnen sorge und dass es Ermittlungen geben werde. Dann aber veröffentlichte Alex Morgan, zweimalige Weltmeisterin sowie Olympiasiegerin, den Email-Verkehr zwischen Farrelly und Baird - der klar zeigt: Baird ist eine Unter-den-Teppich-Kehrerin, die sich nicht wirklich kümmert, sondern lieber den Dreiklang des Krisen-Verdrängens wählt: Ermittlung einleiten, keine Maßnahmen für nötig halten, weitermachen. Nun musste sie zurücktreten.

Trainer Riley war ja erfolgreich, da sahen alle weg

Es herrscht ein deutliches Ungleichgewicht in der NWSL. Chefcoaches zu Beginn der Saison: acht Männer, zwei Frauen. Manager: acht Männer, zwei Frauen. Vereinsbesitzer: sieben Männer, ein Ehepaar und zwei Vereine, bei denen Frauen Minderheitsanteile besitzen; darunter Tennisspielerin Naomi Osaka. Rapinoe schreibt vor ihrer Brennt-alles-nieder-Forderung: "Männer schützen Männer, die Frauen missbrauchen." Es ist widerlich zu lesen, wie Trainer Riley seine Macht als Förderer genutzt haben soll (er streitet die Vorwürfe ab), um seine Spielerinnen dazu zu bringen, fast alles zu tun, was er verlangte. Er war ja erfolgreich, Meister der vergangenen beiden Jahre, da sahen alle weg.

Die NWSL ist eine Profiliga, drei Viertel der Spielerinnen verdienen jedoch weniger als 31 000 Dollar pro Saison - ein Witz im Vergleich zu den Männern, der Betrag liegt 15 Prozent unter dem mittleren Einkommen für Frauen in den USA. Anstoßzeit des Liga-Endspiels am 20. November: neun Uhr morgens, danach beginnen die College-Football-Spiele. Amateur-Football sorgt für höhere TV-Quoten als Frauen-Profifußball, also werden deren Spiele nur im landesweiten TV gezeigt, wenn sie zum Frühstück laufen.

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US-Sport und auch die Berichterstattung darüber sind häufig misogyn und sexistisch, häufig lautet die Botschaft: Seid froh, dass es ist, wie es ist; die beiden Vorgängerligen (die NWSL gibt es seit 2012) mussten jeweils den Betrieb einstellen wegen finanzieller Probleme. Die Basketballliga, in der Candace Parker spielt, wirbt während der Playoffs verzweifelt um Zuschauer, unter anderem auch mit einem Reklamefilm: der zeigt, dass Frauen-Basketball alles hat - nur keine Fans, am Ende heißt es: "Was fehlt, das seid ihr."

Was sich nun ändert: Frauen wehren sich, sie reden. Dabei sind auch Spielerinnen wie Sinead Farrelly, der Riley gesagt hatte, sie müsse all ihre Erlebnisse "mit ins Grab nehmen". Also auch die Grapschereien vor Mitspielerinnen, um ihr zu zeigen, wie Farrelly sagt, "dass ich ihm gehöre"; oder jene Demütigung, als Riley forderte, auf Reisen zum Nationalteam und damit auf die WM 2011 in Deutschland zu verzichten.

Am vergangenen Wochenende wurden alle NWSL-Spiele abgesagt, weil die Spielerinnen protestiert hatten, und vielleicht ist das die gute Nachricht inmitten all der Geschichten: Spielerinnen lassen sich nicht mehr ruhig stellen mit der Aussicht auf Ruhm und Reichtum.

Der US-Fußballverband hat nun unabhängig von der NWSL Ermittlungen eingeleitet und die ehemalige Justizministerin Sally Yates damit beauftragt. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Aussagen der Spielerinnen endlich ernst genommen werden müssen; jedoch können diese Ermittlungen nur ein Anfang sein. Letztlich stimmt, was Rapinoe schreibt: Man muss alles niederbrennen und die sexistischen Wurzeln entfernen, bevor man ein neues Haus errichten kann.

So zum Beispiel: In der nächsten Saison wird es einen Verein (Angel City FC) geben, der mehrheitlich Frauen gehört. Gründerinnen: die Schauspielerin Natalie Portman und die Investorin Kara Nortman; ebenfalls dabei: Serena Williams, Billie Jean King, Eva Longoria - und Candace Parker.

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