Das WM-Viertelfinale 2010 in Südafrika war ein besonderes Ereignis. Auch, weil Deutschland gegen Argentinien stark aufspielte und im Land der Unterlegenen nach dem 0:4 von einem "Massaker" die Rede war. Oder auch, weil ein zutiefst erschütterter Diego Maradona erkennen musste, dass der Trainerjob wohl doch nicht ganz das Richtige für ihn ist. Oder weil der damals so fulminante Thomas Müller eine gelbe Karte sah, wegen der er das Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Spanien (0:1) verpasste. Und nun ist klar, dass dieses Spiel noch aus anderen Gründen besonders war: Selten dürften sich bei einem WM-Turnier zwei Teams gegenübergestanden haben, in deren 23er-Kadern so viele Spieler an Asthma litten.
Am Dienstag veröffentliche die mutmaßlich russische Hackergruppe "Fancy Bears" ein internes Dokument des Fußball-Weltverbandes (Fifa), demzufolge kurz vor der WM in Südafrika 25 teilnehmenden Spielern die Nutzung verbotener Substanzen erlaubt wurde - mithilfe von Ausnahmeregeln, die das Anti-Doping-Reglement vorsieht. Die Fifa bestreitet die Echtheit des Dokuments nicht, sie protestiert nur gegen die Veröffentlichung der Daten. Viele Ausnahmegenehmigungen betreffen Mittel, die bei einem Asthmaleiden zum Einsatz kommen. Insbesondere zwei traditionell hochklassige Nationen fallen mit vielen Genehmigungen auf: die Viertelfinal-Gegner Argentinien und Deutschland.
Doping im Fußball:"Fancy Bear"-Dokumente schrecken den Fußball auf
Etliche positive Proben und Ausnahmeregelungen für verbotene Substanzen: Rund um die WM 2010 tauchen offenbar geleakte Dokumente auf. Doch es bleiben viele Fragen.
Erstaunlich hohe Asthmatiker-Quote im Spitzensport
Bei Argentinien standen demnach fünf Spieler mit Attesten für ein Dopingmittel im Kader: Diego Milito, Carlos Tévez, Juan Verón, Gabriel Heinze und Walter Samuel (Tevez und Heinze spielten). Bei Deutschland waren es drei: Mario Gomez, Dennis Aogo, Hans-Jörg Butt (die im Viertelfinale aber nicht zum Einsatz kamen). Auch Christian Träsch, dessen Asthma-Erkrankung seit Jahren öffentlich bekannt ist, steht auf der Liste: Er war zunächst für das WM-Turnier nominiert worden, fiel aber kurzfristig verletzt aus.
Aus dieser Liste ergibt sich nicht automatisch ein Missbrauchs- oder Dopingverdacht. Derartige Ausnahmeregeln sind zunächst nichts Verwerfliches, und auch bei Spitzensportlern kommen Erkrankungen vor. Experten wundern sich aber schon seit geraumer Zeit, dass die Asthmatiker-Quote im Spitzensport erstaunlich hoch ist, insbesondere bei Ausdauersportarten. In Deutschland beträgt sie unter Erwachsenen der Normalbevölkerung circa fünf Prozent. Bei Olympischen Winterspielen oder der Tour de France reichte schon mal die Hälfte aller Teilnehmer eine solche Ausnahmegenehmigung ein, bei Sommerspielen ein Fünftel. Als im Radsport vor einem guten Jahrzehnt die Zahl der Asthmatiker stark anstieg, wiesen Beteiligte darauf hin, dass sich viele Sportler das eigentlich verbotene Mittel missbräuchlich verschreiben lassen würden. Mittel wie Salbutamol weiten die Bronchien und erleichtern es, unter hoher Belastung zu atmen.
Die Ausnahmen galten für die Deutschen wohl für längere Zeit
Bisher war nicht bekannt, dass auch im Fußball die Asthmatiker-Quote erhöht ist. Der DFB verwies auf datenschutzrechtlichen Gründe bei der SZ-Anfrage, wer, wann und wo die Ausnahmegenehmigung beantragt hat. Bei allen vier Spielern geht es gemäß der veröffentlichten Liste um Salbutamol, bei zwei von ihnen auch um andere Asthma-Mittel. Offenkundig galten deren Ausnahmegenehmigungen für einen längeren Zeitraum. Denn in der nun veröffentlichten Liste sind die Substanzen mit dem Stichwort "TUE" vermerkt. Dabei brauchte es für den Konsum von Salbutamol im Jahr 2010 keine TUE, sondern nur eine DOU; das ist eine andere, abgeschwächte Form der offizellen Ausnahmegenehmigung. Folglich müssen die Bescheinigungen für die deutschen Sportler aus der Zeit vor 2010 stammen, als das Reglement noch ein anderes war.
Auch in Argentinien bestätigten die Verantwortlichen, dass fünf Spielern die Einnahme verbotener Substanzen gestattet war. Milito nahm mehrere Asthma-Mittel; Tévez, Verón, Heinze und Samuel durften das Steroid Betamethason konsumieren. Donato Villani, Mannschaftsarzt der Nationalelf unter Maradona, bestätigte der Zeitung Olé zwar die einzelnen Fälle, wies jeglichen Doping- oder Missbrauchsverdacht aber zurück: "Das ergibt doch keinen Sinn, das sind Sachen, die gemäß den normalen Gesetzen gemacht wurden. In jedem Fall gab es ein Zertifikat, das die therapeutische Ausnahme genehmigte."
Neben diesen Akteuren aus Deutschland und Argentinien tauchen noch 16 Spieler aus zehn anderen teilnehmenden Ländern auf der Liste des Weltverbandes auf. Die prominentesten von ihnen sind Mauro Camoranesi (Italien) und Dirk Kuyt (Niederlande).