So ganz war nicht zu erkennen, ob Jovana Damnjanović den Ball noch berührt hatte, mit dem Kopf oder vielleicht auch nur mit ihren langen Haaren. Aber das war letztlich egal. Denn allein schon, dass die Fußballerin des FC Bayern hoch in die Luft sprang, dürfte in Form einer Irritation dazu beigetragen haben, was gleich darauf folgte: Die aufs Tor gezirkelte Ecke von Klara Bühl flog in schönem Bogen an allen Gegnerinnen vorbei und landete vor dem hinteren, rechten Pfosten im Netz.
Der letzte Sieg beim VfL Wolfsburg war den Münchnerinnen im Oktober 2008 gelungen. Dass diese Serie an diesem Samstag enden würde, dürfte mit diesem 2:0 in der 57. Minute allen Beteiligten gedämmert haben - und manifestierte sich bald darauf. Die Gastgeberinnen wehrten sich, sie kämpften, aber sie mussten noch zwei weitere Schläge verkraften und es wird ihnen kein Trost gewesen sein, dass es schöne Tore waren. Oder dass mit 24 437 Zuschauern in der Volkswagen-Arena ein vereinsinterner Rekord aufgestellt wurde. Denn dieses 4:0 des FC Bayern hatte eine weit größere Bedeutung als das Ende einer Heim-Serie.
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Knapp drei Monate vor der EM spricht Sportdirektor Rudi Völler über den ungewöhnlichen DFB-Kader, seine hohe Meinung von Trainer Julian Nagelsmann, seine eigene Zukunft, die Bedeutung der "deutschen Tugenden" - und darüber, wie er das Pink-Lila-Trikot findet.
Es ist das nächste Anzeichen eines sich verändernden Kräfteverhältnisses vom Norden in den Süden nach jahrelanger Wolfsburger Dominanz. Vor allem aber bringt das 4:0 unmittelbar die Vorentscheidung in der Meisterschaft. In der Bundesliga hat der VfL bei noch fünf verbleibenden Partien sieben Punkte Rückstand auf den Titelverteidiger. Dass der FC Bayern noch einbricht, ist nicht zu erwarten. Das Team von Trainer Alexander Straus ist nun saisonübergreifend seit 34 Ligaspielen ungeschlagen. "Ich habe noch nie in Wolfsburg gewonnen und jetzt 4:0 mit so einer Leistung, das ist überragend", sagte Lea Schüller in der ARD: "Wenn wir uns nicht dumm anstellen, sollten wir das jetzt easy über die Bühne bringen."
Nach der Pause nutzen die Münchnerinnen ihre Konter effektiv
Schon am Tag vor dem Spiel ereilte die Wolfsburger eine gute und eine schlechte Nachricht, die beide die Offensive betrafen. Die schlechte Botschaft betraf Alexandra Popp. Die 32-Jährige hatte sich bei der unerwarteten Niederlage gegen Hoffenheim vergangene Woche am Knie verletzt und konnte das Abschlusstraining nicht absolvieren. "Es hatte sich angedeutet und wir haben alles probiert", sagte Trainer Tommy Stroot: "Aber wir wollten keine Dummheiten machen und irgendetwas riskieren." Popp hat seit dem Saisonstart fünf Tore und neun Assists beigesteuert. Dafür aber, und das war die frohe Kunde, kehrte Ewa Pajor zurück. Sie hatte wochenlang verletzt gefehlt - und ist dennoch nach wie vor mit zehn Treffern aktuell die beste Torschützin der Bundesliga.
Die Polin war es, die immer wieder Akzente bei den Angriffen setzte. Von Beginn an wurde deutlich, dass die Wolfsburgerinnen mit voller Kraft aufs Tor drängen und versuchen würden, den Druck hochzuhalten. Sie spielten aggressiv, aber das anfänglich hohe Pressing der Münchnerinnen brachte den Gästen die erste Chance des Tages: In der vierten Minute hielt Giulia Gwinn mit viel Wumms drauf und traf die Latte. Die Antwort darauf gab dann Pajor, die schnell nach einer Balleroberung einen Konter einleitete. Hinterherzukommen war da schwer. Der Ball kam auf dem kurzen Querpassweg zu Sveindís Jónsdóttir - die womöglich noch in der Kabine während der Pause damit haderte, dass sie diese Großchance mit ihrem schwächeren linken Fuß weit am Tor vorbeischoss. Vielleicht wäre die Geschichte dieser Parti dann eine andere.
Weil auch keine andere Wolfsburgerin den Ball über die Torlinie zu bringen vermochte, war die erste Halbzeit für die Gastgeberinnen trotz mehr Spielanteilen von der nächsten schlechten Nachricht geprägt: Ohne Fremdeinwirkung verletzte sich Marina Hegering an der Wade, wurde behandelt - und musste schließlich vom Platz. Für sie kam in der 24. Minute Nuria Rábano. Beinahe hätte es direkt den nächsten Dämpfer gesetzt: Sarah Zadrazil schickte Lea Schüller los, die zwar verfolgt, aber doch ungestört aufs VfL-Tor jagte. Und hätte sich Nationaltorhüterin Merle Frohms nicht so langgestreckt und den Schuss mit der linken Hand noch weggelenkt, die Führung des FC Bayern hätte bereits in der 35. Minute auf der Anzeigetafel gestanden. So aber ging es torlos in die Besprechung.
Lange hatte das 0:0 dann jedoch keinen Bestand. Denn die Münchnerinnen wussten nun ihre Konter effektiv zu nutzen. In der 48. Minute zeigte Pernille Harder gegen ihren früheren Verein, mit was für einem feinen Fuß sie ausgestattet ist. Nach einem Ballverlust von Wolfsburg lief Klara Bühl genau den richtigen Weg und spielte genau im richtigen Moment zu der Dänin ab. Dem ersten Impuls, mit rechts von der rechten Strafraumseite abzuschließen, widerstand Harder. Stattdessen zog sie den Ball hinter ihr Standbein, verwirrte so die Abwehrspielerinnen Kathrin Hendrich und Chantal Hagel - und weil Hagel den folgenden Linksschuss noch abfälschte, hatte Frohms diesmal keine Chance, den Führungstreffer des Tabellenführers abzuwehren.
Jule Brand wäre per Kopfball beinahe der Anschluss gelungen. Stattdessen folgte in der 57. Minute die nächste schlechte Nachricht für den VfL, überbracht von Klara Bühl. Und in der 76. Minute gab es noch eine dazu. Die herausragende Harder war diesmal entscheidende Passgeberin, sie lenkte den Ball an Dominique Janssen und Rábano vorbei, Schüller schnappte ihn sich geschickt und musste dann nur noch einschieben. Das hätte gereicht, um diese Partie endgültig zu entscheiden. Aber die Münchnerinnen hatten nicht genug, in der 87. Minute setzte Georgia Stanway noch einen drauf und es wirkte, als wüssten die Wolfsburgerinnen längst nicht mehr, wie ihnen geschah. Auch der Schuss der englischen Europameisterin wurde abgefälscht, Frohms konnte nur zuschauen. Damit war dieser Arbeitstag für den VfL Wolfsburg endgültig gelaufen - und die Meisterschaft womöglich auch.