Formel 1:Red Bulls vielsagendes Schweigen

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"Jemand sagt was über mich, und auf einmal wird das zur Wahrheit". Ob das in diesem Fall gilt? Formel-1-Pilot Sergio Perez fiel zuletzt vermehrt durch Fehler auf. (Foto: Mark Thompson/Getty)

Gerüchte um die Kündigung von Sergio Perez und den Abschied von Verstappen-Förderer Helmut Marko: Beim Weltmeisterteam entwickeln nach dem gewonnenen Titelkampf die Machtkämpfe neue Dynamik.

Von Elmar Brümmer, Austin

Im Fahrerlager der Formel 1, das durch die Suche nach Befindlichkeiten und Einschätzungen von immer mehr TV-Stationen und Content-Betreibern gelegentlich zu einer Art seichtem Podcast mutiert, wirkt ein sportlicher Alleingang wie in diesem Jahr jener von Max Verstappen und Red Bull Racing als Stimmungskiller. Doch vor dem Großen Preis der USA in Austin, bei dem der Weltmeister seinen 50. Karrieresieg feiern will, herrscht wieder die gewünschte Erregungskultur - erneut dank Red Bull. Gleich zwei potenzielle frühzeitige Abschiede werden dort diskutiert, und als Beleg dafür dient: Schweigen.

Helmut Marko, österreichischer Konsulent für Motorsportliches des Getränkekonzerns, hat sich zuletzt beim Rennen in Katar im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten nicht einmal mehr süffisant über das anhaltende Formtief von Sergio Perez geäußert, dem Nebensitzer von Überflieger Verstappen, sondern eigentlich überhaupt nicht. Und plötzlich beginnt es zu brodeln bei den Champions. Nach dem Titelkampf nun die Machtkämpfe.

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Nach Max Verstappens drittem WM-Titel stimmen Weggefährten und Rivalen Lobeshymnen an. Den Erfolg allein auf das überlegene Auto zu schieben, greift zu kurz - der Niederländer hat eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht.

Von Elmar Brümmer

Hat der Doktor, wie sie den gelernten Juristen Marko gern nennen, den Mexikaner Perez also schon aufgegeben? Oder hat er es einfach nur aufgegeben, sich ständig zu wiederholen? Der 33 Jahre alte Perez hat noch einen Vertrag bis Ende kommender Saison. Anders als Verstappen, der den RB 19 leichthändig auch unter widrigen Bedingungen beherrscht, kommt Perez nach einem technischen Upgrade mit dem Auto gar nicht mehr klar. Red Bull ist praktisch zum Ein-Mann-Team geworden.

Sollte Perez tatsächlich bei den fünf ausstehenden Läufen auch noch den zweiten WM-Platz gegen den 30 Zähler zurückliegenden Lewis Hamilton verzocken, dann dürfte ihm sein Vertrag wenig nutzen. Ein Lauscher will bei einem Abendessen vergangene Woche aufgeschnappt haben, dass Perez, Vater von drei Kindern, seinen Rücktritt erklären wolle. Andere wollen von einer bereits erfolgten Kündigung und deren Bekanntgabe nach dem Großen Preis von Mexiko in einer Woche wissen. Flugs wurde beides mit Helmut Markos Zurückhaltung kombiniert. Klingt durchaus plausibel in einer an Intrigen reichen Weltmeisterschaft.

Teamchef Horner erscheint als viel zu clever, als dass er in einen öffentlichen Kampf zieht, in dem er nur verlieren kann

Gern geredet wird auch über das große Schweigen in der Chefetage von Red Bull Racing. Christian Horner, Teamchef seit der ersten Saison des Rennstalls und damit der am längsten amtierende der Königsklasse, soll sich mit dem ihm noch von Gründervater Dietrich Mateschitz zur Seite gestellten Marko nichts mehr zu sagen haben. Deshalb, heißt es, würde Horner versuchen, den 80-Jährigen in den Rücktritt zu treiben, um künftig allein zu herrschen. Zudem sei sich Marko trotz aller gegenteiligen Beteuerungen nicht wirklich grün mit dem aus dem Fußball aufgestiegenen neuen Konzernsportchef Oliver Mintzlaff. Verhältnisse also wie beim FC Bayern, auch Nichtssagendes und Nichtgesagtes taugt zur Schlagzeile.

Im Renngeschäft ist die Dichte an Alphatieren hoch - ist in der Chefetage von Red Bull nur noch Platz für eines? "Letztendlich entscheide ich über mich", sagt Berater Helmut Marko (rechts neben Max Verstappen und Teamchef Christian Horner) (Foto: Ben Stansall/AFP)

Horner wirkt viel zu clever, um in einen öffentlichen Kampf zu ziehen, in dem er nur verlieren kann. Er rudert deshalb zunächst zurück und versucht alle Gerüchte um seinen Alleinanspruch mit einer Anekdote zu kontern: "Meine Beziehung zu Helmut reicht bis ins Jahr 1996 zurück, als ich einen Anhänger zum Rennwagentransport von ihm kaufte, um in der Formel 3000 starten zu können. Später hat er mich als Manager Dietrich Mateschitz empfohlen. Ohne ihn wäre ich also nicht in der Position, in der ich heute bin. Natürlich gibt es hin und wieder Dinge, bei denen wir unterschiedlicher Meinung sind. Aber ich denke, das ist gut für das Ganze. Er soll so lange weitermachen, wie er das möchte." Das klingt sehr versöhnlich, vielleicht etwas zu sehr für das sonst übliche gnadenlose Gebaren.

Max Verstappen lässt sich nicht provozieren, als er nach der Stimmung im RB-Team gefragt wird: "Ziemlich gut", sei die. Was die Zukunft von Marko angehe, gibt sich der Niederländer diplomatisch, schließlich kann er auch Horner nicht vor den Kopf stoßen: "Jeder bei uns kennt seine Rolle ganz genau. Ich erwarte keine Änderungen in der Zukunft", sagt Verstappen. Und fügt das Wort Bullshit ein, Bullenscheiße im Wortsinn. Im Übrigen sieht er Verschwörungstheoretiker am Werk, die Unruhe in den Rennstall bringen wollten. Ganz so einfach scheint es diesmal jedoch nicht zu sein, nachdem die Gerüchte von innen nach außen getragen wurden.

Perez ist es seit seiner rasanten Talfahrt gewohnt, mit dem Rücken zur Wand zu argumentieren

Zu einer möglichen Kündigung von Perez gab es ein klares Dementi von RB. Trotzdem ist es peinlich genug, dass sich ein Top-Rennstall solchen Diskussionen stellen muss. Zuletzt hatte Horner seinen Piloten aufgefordert, dass er nach zu vielen Anfängerfehlern seinen Kopf endlich freimachen müsse. Platz eins und zwei hat Red Bull - anders als Mercedes - noch nie in der WM belegt, das wird zur Frage der Ehre in dieser (fast) perfekten Saison. Horner hatte öffentlich gerügt: "Wir brauchen einen Fahrer, der auf allen Zylindern feuert. Nicht nur in diesem, sondern besonders auch im nächsten Jahr."

Zu Marko kann sich theoretisch keiner äußern, da er nicht direkter Angestellter des Teams ist. Spannungen mit Horner, der natürlich gern allein das Sagen hätte, wären nicht überraschend, im Renngeschäft ist die Dichte an Alphatieren hoch. Marko ließ sich in österreichischen Medien nur so zitieren: "Letztendlich entscheide ich über mich." Sein Vertrag läuft wie der von Perez noch bis Ende 2024. Und sein Faustpfand heißt Verstappen, der stets betont, wie viel er seinem Förderer zu verdanken habe.

Perez ist es seit seiner rasanten Talfahrt gewohnt, mit dem Rücken zur Wand zu argumentieren. In Austin behauptete er nun, über die zunächst in Südamerika verbreiteten Rücktritt-Rausschmiss-Gerüchte nur gelacht zu haben: "Ich kann aber nichts dagegen tun, ich versuche, mich auf meinen Job zu konzentrieren. Aber irgendwie bringt es meine Saison auf den Punkt: Jemand sagt was über mich, und auf einmal wird das zur Wahrheit. Ich habe einen Vertrag für nächstes Jahr, und ich sehe keinen Grund, diesen Vertrag nicht zu erfüllen. Wegrennen - so bin ich nicht." Perez behauptet sogar, dass das nicht sein letzter Vertrag in der Formel 1 sein werde. Die Flucht nach vorne beherrschen Rennfahrer sogar in der Krise.

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