Sieben Kurven der Formel 1:Mal eben 18 Sekunden aufgeholt

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Max Verstappen zeigt Vollstrecker-Qualitäten, bei Mercedes ist der Frust groß. Und Mick Schumacher? Ist sauer auf den Teamkollegen. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes in Frankreich.

Von Elmar Brümmer, Le Castellet

Max Verstappen

Plötzlich Favorit: Max Verstappen. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Drei zu drei steht es jetzt nach Siegen in dieser Saison zwischen dem Herausforderer und dem Titelverteidiger, aber Max Verstappen führt die WM jetzt schon deutlicher an. Der kleine Fahrfehler in der ersten Kurvenkombination ist nach 53 Runden längst vergessen, nachdem Verstappen in der Schlussphase mal eben 18 Sekunden gut macht, die er durch einen riskanten zweiten Boxenstopp verloren hatte. Das sind Vollstrecker-Qualitäten, die bisher nur von Gegenspieler Hamilton bekannt waren.

Der fliegende Holländer weiß um seine Chance, er wird zum Mit-Reißer, ahnend, dass eine generelle Wachablösung an der Spitze bevorstehen könnte: "Man sieht, wie eng die beiden Teams beieinander liegen, und mit einer solchen Strategie zwei Runden vor Schluss zu gewinnen, ist sehr befriedigend, auch wenn es wirklich nicht einfach war." Dass ausgerechnet in der heißen Schlussphase sein Mikrofon für den Funkkontakt zur Box gestört war, habe ihn nicht groß behindert. Soll heißen: Ich weiß schon, was ich da tue! In der Tat: An Aggressivität hat es dem 23-Jährigen nie gefehlt. Mit einem Auto, das ihm liegt, kommt auch noch die Kontrolle dazu: "Es war ein vielversprechendes Wochenende."

Toto Wolff

"Zwei Siege und einen zweiten Platz verloren": Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff war nach dem Großen Preis von Frankreich alles andere als glücklich. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Ganz einfach lassen sich die letzten drei Rennen für einen Mercedes-Teamchef in einem Satz zusammenfassen: "Bei uns ist der Wurm drin." Da der technische Sport Formel 1 aber auch von der Statistik beherrscht wird, und Toto Wolff aus der Finanzbranche stammt, rechnet er noch flugs die Bilanz durch Fehler, Pech und Pannen nach: "Zwei Siege und einen zweiten Platz verloren." In Frankreich überrumpelt, davor ein paar mal etwas verschenkt. Die Fehlerquote ist nicht dramatisch, aber höher als gewohnt. Sie rächt sich auch stärker. Red Bull hat das beste Rennauto derzeit, Honda den größten Sprung bei den Hybrid-Motoren gemacht - Wolff erkennt das klar an: "Auf den Geraden gibt es für uns kein vorbei."

Und in den Kurven? Mal so, mal so. Er sieht auch, wie die Gegner anders als Mercedes den Schwerpunkt voll auf die aktuelle Saison legen, und nicht die Ressourcen schon zur Hälfte auf das Auto für den einschneidenden Reglementwechsel im kommenden Jahr umschichten. Eine Risiko-Taktik, aber was bleibt einem Herausforderer auch sonst übrig? Mercedes unter Druck zu setzen funktioniert ja offenbar vorzüglich, wie die Reifenstrategie in Le Castellet bewiesen hat. "Das wird noch hart", ahnt Wolff.

Valtteri Bottas

Braucht er eine Motivationshilfe? Valtteri Bottas. (Foto: Christophe Simon/AFP)

Schnell sein, das ersehnt er sich. Still sein, das ist so seine Art. Beim siebten WM-Lauf war Valtteri Bottas das eine, aber nicht das andere. Ein sehr früher Boxenstopp lässt den Finnen später in der entscheidenden Situation des Rennens wehrlos erscheinen gegen Max Verstappen. Dabei soll Bottas doch als rasendes Schutzschild für Lewis Hamilton fungieren. Doch mit abgefahrenen Pneus rutscht er von der Piste, wird dann auch noch von Sergio Perez aufgeschnupft und verliert den Podiumsplatz. Man weiß gerade nicht, welche Krise größer ist - die des Autos oder des Fahrers. Vielleicht handelt es sich auch um eine Symbiose der Verzweiflung.

Also flucht der 31-Jährige, der beinahe täglich seine Auswechslung für 2022 gegen George Russell dementieren muss, über Boxenfunk: "Verdammt nochmal, warum hört ihr nicht, wenn ich euch sage, dass es ein Zwei-Stopp-Rennen ist." Solch harsche Kritik am Team öffentlich zu äußern, ist ungewöhnlich. Bottas ist der Frust anzumerken, aber er findet nicht, dass er zu weit gegangen sei: "Ich habe nur klar meine Meinung gesagt." Teamchef Toto Wolff behauptet sogar, dass er es liebe, wenn Bottas endlich mal aus sich rausgehe. Das lässt sich als Ironie verstehen - oder als Motivationshilfe.

Sergio Perez

Erlebt die besten zwei Wochen seiner Karriere: Sergio Perez. (Foto: Clive Rose/Getty Images)

Einmal Sieger, einmal Dritter - es sind die besten zwei Wochen seiner Karriere, die der Red-Bull-Zugang gerade durchlebt. Und das nach einem durchwachsenen Saisonbeginn, nach dem sich viele in Milton Keynes schon fragten, ob der Mexikaner vielleicht doch bloß eine Verlegenheitslösung war - und er von Max Verstappen verschlissen würde wie schon drei andere Co-Piloten in vier Jahren. In dem 31-Jährigen, der ein Jahrzehnt Formel-1-Erfahrung besitzt, darf man sich nicht täuschen. Er ist ein Straßenkämpfer auf der Rennstrecke, große Nestwärme hat er an der neuen Arbeitsstelle eh nicht erwartet.

Vielmehr mag er sogar die oft so kühl wirkende Getriebenheit im Getränke-Konzernteam, die Beurteilung von Menschen stur nach Ergebnissen: "Wenn du Resultate lieferst, ist es großartig dort. Falls nicht, dann bist du eben nicht gut genug." Also fühlt er sich großartig gerade. Deshalb sei der dritte Platz natürlich stark gewesen, aber nicht das Optimum: "Ich hätte vielleicht noch drei Runden gebraucht, um auch Lewis Hamilton zu überholen. Dann machen wir eben noch mehr Druck jetzt, damit es in Österreich klappt."

Lewis Hamilton

Etwas kleinlaut: Weltmeister Lewis Hamilton. (Foto: Pool/Getty Images)

Kleinlaut klingt die Stimme im Helm von Lewis Hamilton, nachdem der Rekordweltmeister in der vorletzten Runde seinen Traum vom Sieg-Hattrick in Frankreich endgültig aufgeben muss und mit Leichtigkeit von Max Verstappen überholt wird. "Das geht auf unsere Kappe", entschuldigt sich Mercedes-Chefstratege James Vowles bei seinem Piloten. "Trotzdem noch gute Punkte", tröstet ihn Hamilton: "Deshalb bin ich auch nicht übermäßig enttäuscht. Wir haben getan, was wir konnten." Trotz der neuerlichen Niederlage hat der Titelverteidiger tatsächlich Spaß an diesem Fight mit Verstappen, er entdeckt seine alten Talente wieder, schafft es regelmäßig, ein Auto, dass am Freitag noch hinterher fährt, am Samstag nach vorn zu bringen und am Sonntag um den Sieg zu kämpfen.

Dahinter steckt nicht bloß Kampfgeist, es fordert den ganzen Champion. Hamilton überlegt die Veränderungen des Set-Up im Detail mit, manchmal erst zehn Minuten vor der Qualifikation, so wie in Le Castellet. Es mit der Übermacht von Red Bull aufzunehmen, das treibt ihn zusätzlich an. Am stärksten ist Hamilton immer, wenn er im Rückstand ist: "Jetzt müssen wir stärker nachlegen, so viel steht fest."

Mick Schumacher

Weit vorn für dieses Auto: Mick Schumacher (rechts). (Foto: Peter Fox/Getty Images)

Die Reihe der ersten Male reißt nicht ab für den zweiten Deutschen in der Formel 1. Mick Schumacher schafft es beim Großen Preis von Frankreich tatsächlich in die zweite Qualifikationsrunde - obwohl er seinen Haas-Ferrari in die Barrieren setzt. Kurios, aber er behält Startplatz 15. Weit vorn für dieses Auto. Die Ausgangsposition ist er allerdings auch schnell wieder los. Zweimal von der Ideallinie abgekommen, und sich dabei die Reifen versaut - plötzlich ist er Letzter, hinter dem Teamkollegen Nikita Mazepin, dem einzig gerechten Maßstab für den Rookie. Der Russe hat sich zum zweiten Mal nacheinander im direkten Duell ziemlich rüde benommen, die beiden Autos berühren sich.

Am Ende ist Schumacher junior trotzdem wieder vor ihm, Rang 19. Die Entschuldigung seines Kontrahenten nach dem Bodycheck im letzten Rennen dürfte Schumacher ohnehin nicht geglaubt haben. Aber langsam wird er sauer: "Sowas muss nicht sein, aber das ist wohl sein Stil. Ich mach' mein Ding, er seins. Im Endeffekt muss ich auch mal die Ellbogen ausfahren. Wir sollten vielleicht mit dem Team nochmal drüber reden." Als wenn die da nicht auch wüssten, dass Mazepin überfordert ist.

Sebastian Vettel

Hat offenbar die nötige Ausdauer: Sebastian Vettel. (Foto: Christophe Simon/AFP)

Ein paar Punkte mitzunehmen, das sei doch ganz ordentlich. So gelassen sieht es Sebastian Vettel mittlerweile, wenn er Neunter wird vor seinem Teamkollegen Lance Stroll. Diese zufriedene Ruhe hat damit zu tun, dass der Heppenheimer tatsächlich angekommen zu sein scheint im Werksteam von Aston Martin. Er sieht Land. Das dritte Mal in Serie in den Punkterängen ist ein zarter und berechtigter Hoffnungsschimmer, dass dieses Jahr nicht doch ganz verloren ist: "Der Saisonstart hat nicht richtig widergespiegelt, wo wir wirklich hingehören." Bis das Team aus Silverstone eine Macht im Mittelfeld ist, wird es noch ein bisschen dauern.

Vettel aber hat die nötige Ausdauer, in Le Castellet fuhr er 37 von 53 Runden auf dem harten Reifen, war dadurch zwischenzeitlich Fünfter. Es wirkte beinahe so, als wolle er einen Dauertest abspulen. Aber was blieb ihm von Startplatz zwölf auch groß übrig? "Wir mussten etwas anderes probieren heute, und das hat funktioniert. Die Reifen waren am Ende zwar fertig, aber wir haben unsere Hausaufgaben gemacht", sagt Vettel. Teamchef Szafnauer fügt den Lehrsatz an: "Erfolg in der Formel 1 ist, das Maximale aus deinen Chancen zu machen."

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