Formel 1:Die nächste Affäre um den Präsidenten

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Hat er versucht, die Rennkommissare zu beeinflussen? Fia-Präsident Mohammed Ben Sulayem hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Hat Mohammed Ben Sulayem, Präsident des Automobilweltverbandes Fia, gegen eine Zeitstrafe interveniert? Recherchen des britischen Senders BBC deuten den nächsten kontroversen Vorfall einer langen Reihe an.

Von Anna Dreher

Der Tross der Formel 1 hatte gerade erst den Ort gewechselt und bei der kurzen Reise von Bahrain nach Saudi-Arabien in die vielen Koffer die Hoffnung eingepackt, sich nach einer ereignisreichen Winterpause und einem trubeligen Saisonauftakt wieder mehr aufs sportliche Geschehen konzentrieren zu können. Da verbreitete sich zu Beginn der neuen Grand-Prix-Woche die nächste Nachricht mit äußerst brisantem Inhalt.

Bei der britischen BBC soll sich ein Informant mit der Information gemeldet haben, dass eine Untersuchung gegen den Präsidenten des Automobilweltverbandes Fia laufe. Angeblich hat sich Mohammed Ben Sulayem beim Großen Preis von Saudi-Arabien am 19. März 2023 dafür eingesetzt, dass eine Zeitstrafe gegen Fernando Alonso zurückgenommen werden sollte. Einen entsprechenden Bericht eines Compliance-Beauftragten der Fia an die Ethikkommission des Verbandes hat die BBC laut eigenen Angaben einsehen können. Außerdem sei der Vorwurf von Leuten verifiziert worden, die in hochrangigen Positionen in der Formel 1 arbeiten sowie aus dem nahen Umfeld der Fia stammen. Zitieren lassen wollten sich diese nicht. Sowohl Ben Sulayem als auch die Fia hätten Anfragen unbeantwortet gelassen.

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Der Fia-Präsident muss sich selbstverständlich raushalten, wenn es um den sportlichen Ablauf von Rennveranstaltungen geht. Zuständig hierfür sind die Kommissare, die von der Fia für die Rennen nominiert werden, aber ihre Entscheidung unabhängig von anderen Gremien treffen.

Die Zehnsekundenstrafe gegen Alonso wurde vor einem Jahr in Dschidda tatsächlich zurückgenommen. Das Procedere um die Annullierung verkam schon damals zu einer Farce, die nun nochmal in ganz anderem Licht erscheint.

Wollte Ben Sulayem die Freigabe für das Rennen in Las Vegas verhindern?

Als das Rennen losging, hatte Alonso seinen Wagen in der Startaufstellung zu weit links geparkt. Dafür bekam er fünf Sekunden Wartezeit aufgebrummt. Als der Spanier während einer Safety-Car-Phase beim Boxenstopp entsprechend länger verweilte, schob ein Mechaniker den Wagenheber schon mal ans Heck des Aston Martins. Die Rennkommissare sahen darin einen Arbeitsvorgang am Auto, regelwidrig früh während einer Strafe. Also setzte es zehn Sekunden obendrauf.

Das war an sich schon etwas fragwürdig, denn der Mechaniker hatte den Wagen nicht angehoben. Die Debatte darum entbrannte aber erst so richtig, weil Alonso als Dritter zunächst fröhlich sein 100. Formel-1-Podium feiern durfte, bevor verkündet wurde, dass der zweimalige Weltmeister aufgrund der spät verhängten zehn Sekunden doch nur Vierter sei. Zur Posse wurde das Ganze, weil mehr als drei Stunden später die Conclusio lautete: Tschuldigung, doch alles fein gewesen, Alonso bleibt Dritter!

Dass sie so lange für das Zehn-Sekunden-Urteil brauchten, begründeten die Stewarts damit, dass ihnen erst kurz vor der Zieldurchfahrt neues Videomaterial vorlag, das eine Berührung von Wagenheber und Auto belegt haben soll. Warum sie dieses Urteil dann revidierten, wurde damals mit dem von Aston Martin gebrauchten "Right of Review" erklärt: Der Rennstall habe diverse Präzedenzfälle vorgelegt, bei denen Mechaniker das Auto ohne Folgen berührt hatten.

Und nun stellt sich die Frage, ob diese Beispielmappe von Alonsos Team womöglich gar nicht so entscheidend für die Ergebniskorrektur war, sondern eine Intervention von Ben Sulayem. Der 62-Jährige aus den Vereinigten Arabischen Emiraten soll laut BBC bei Scheich Abdullah bin Hamad bin Isa Al Khalifa angerufen und mitgeteilt haben, dass Alonsos Strafe aufgehoben werden solle. Der Präsident des Motorsportverbands von Bahrain und Fia-Vizepräsident Sport der Region Mittlerer Osten war einer der Offiziellen des Dschidda-Rennens.

In Dschidda konnte sich Fernando Alonso im Aston Martin (rechs) erst über Platz drei freuen, dann doch nicht - und schließlich doch wieder. (Foto: Giuseppe Cacace/AFP)

Am Dienstagmittag legte die BBC nach: Selbiger Whistleblower habe angegeben, von seinem Vorgesetzten "auf Geheiß des Fia-Präsidenten" angewiesen worden zu sein, Gründe zu finden, um der Strecke des Grand Prix von Las Vegas im November 2023 die Freigabe durch den Weltverband vorzuenthalten. Angeblich sollten Probleme ausgemacht werden, egal, ob diese tatsächlich existierten. Auch dieser Fall sei Teil eines Berichts an die Ethikkommission, in dem stehe, dass die Beauftragten keine Bedenken äußern konnten und die Strecke freigaben. Die BBC schreibt von Offiziellen, deren Erinnerung sich von jener des Whistleblowers unterscheide - in welcher Weise bleibt offen.

In jedem Fall hatte es beim Vegas-Nachtspektakel tatsächlich ordentlich Ärger gegeben, nachdem sich während einer Trainingssession ein Schachtdeckel gelöst und ein herausstehendes Metallteil den Ferrari von Carlos Sainz aufgeschlitzt hatte. Ausgerechnet bei jenem Grand Prix, der für die Formel 1 so wichtig ist. Was sich allein daran zeigt, dass sie hier erstmals selbst ein Rennen veranstaltet - und für etwa eine Viertelmilliarde Dollar Land gekauft hat, um dort ein permanentes Fahrerlager zu bauen. Zudem hat Liberty Media geschätzt über 100 Millionen Dollar in die Rennstrecke investiert.

Das Verhältnis zwischen der Fia und dem Formel-1-Management ist angespannt

Der aktuelle Wirbel um Ben Sulayem reiht sich ein in eine Serie kontroverser Vorfälle. Im Dezember hatte er die Fia in die Schlagzeilen gebracht mit einer Pseudo-Ermittlung gegen das Ehepaar Toto und Susie Wolff. Der Mercedes-Teamchef und die Geschäftsführerin der Frauen-Rennserie F1 Academy sollen vertrauliche Informationen ausgetauscht haben, ein Interessenkonflikt für die Compliance-Abteilung. Zwei Tage später ruderte der Weltverband zurück. Seit der ehemalige Rallye-Pilot Ben Sulayem im Dezember 2021 die Fia leitet, wurden Sexismus-Vorwürfe gegen ihn erhoben, außerdem gab es die Maulkorb-Affäre, als Fahrern kritische Äußerungen untersagt werden sollten. Das Verhältnis zwischen der Fia und dem Formel-1-Management (FOM) um Stefano Domenicali gilt als äußerst angespannt.

Dass Ben Sulayem den Wunsch äußerte, neue Teams zuzulassen, kam nicht gut an. Ebenso wenig seine Äußerung, der Marktwert der Serie sei überschätzt, als es um ein angebliches Kaufangebot Saudi-Arabiens in Höhe von wohl 20 Milliarden Dollar ging. Die Fia sei "Hüter des Motorsports", ihm gehe es um verantwortungsbewusstes Handeln, tat er kund. Dafür bekam die Fia einen Brief der Königsklasse-Juristen mit der Botschaft, damit seien die Grenzen des Aufgabenbereichs und der Rechte überschritten worden. Die Fia ist zwar die Dachorganisation und bestimmt die Regeln, für die Teilnahme an der WM kassiert sie Lizenzgebühren. Die kommerziellen Rechte aber besitzt seit 2017 der US-Konzern Liberty Media.

Angeblich sind die Gräben im Machtkampf der beiden Seiten nun schon so tief, dass eine Abspaltung von der Fia in Betracht gezogen wird. Die jüngsten Vorfälle könnten sich hierauf auswirken. Ein Ergebnis der Untersuchung gegen Mohammed Ben Sulayem wird in vier bis sechs Wochen erwartet.

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