Führung der Nationalmannschaft:Schutzpatron Völler setzt den Ton

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Demonstrative Geschlossenheit: Bundestrainer Hansi Flick, DFB-Sportdirektor Rudi Völler und U21-Trainer Antonio Di Salvo (von links) bei der Pressekonferenz auf dem DFB-Campus in Frankfurt. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Nach der verspielten WM ist vor der Heim-EM: Mit neuem Sportdirektor und vielen frischen Gesichtern geht die Nationalelf in die Vorbereitung auf die Spiele gegen Peru und Belgien - die Aufbruchstimmung trübt eine Verletztenmeldung.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Seit einigen Wochen wirbt der DFB mit einem höchst rätselhaften Slogan für den Besuch der beiden Länderspiele, die in den nächsten Tagen auf heimischem Boden stattfinden: Am Samstag in Mainz gegen Peru, am Dienstag nächster Woche in Köln gegen Belgien. "In den Farben vereint, in der Sache für Deutschland", suggeriert der Spruch eine bedeutsame Botschaft, von der einem bloß keiner verrät, worin sie bestehen soll. Zumal da Oliver Bierhoff für Beschwerden nicht mehr zur Verfügung steht - was aus seiner Sicht einer der positiven Effekte seines Rücktritts nach der WM sein dürfte.

Womöglich haben die Urheber der Kampagne erkannt, dass Reklame mit der Nationalelf derzeit ähnlich polarisiert wie Öffentlichkeitsarbeit für Atomkraftwerke, weshalb sie lieber ein sinnfreies und damit unstrittiges Motto wählten als eines mit realem Bezug. "Die Rückkehr der WM-Helden" wäre beispielsweise nicht gut angekommen, und auch "Hansis Starparade in Deiner Stadt" wäre spätestens seit Montag ein umstrittenes Etikett.

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Kommentar von Philipp Selldorf

Was die Attraktivität des von Hansi Flick einberufenen Teams angeht, gab es nach dem freiwilligen Verzicht auf gestandene Größen wie Antonio Rüdiger, Ilkay Gündogan, Niklas Süle oder Leroy Sané am Vormittag eine weitere gewichtige Verlustmeldung: Jamal Musiala verließ das Teamhotel in Frankfurt, das er am späten Vorabend erst bezogen hatte. Der Münchner hatte sich beim Spiel mit dem FC Bayern in Leverkusen (1:2) einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zugezogen, zur Perspektive der Genesung und zur Aussicht auf Musialas Beteiligung am Liga-Gipfel zwischen Bayern und Dortmund konnten die offiziellen Stellen noch nichts mitteilen.

Mit Musiala hatte der Coach einiges vorgehabt in den nächsten Tagen, nicht nur wegen der "einzigartigen Qualitäten", die der 20-Jährige nach Flicks Urteil besitzt (die übrige Welt wird nicht widersprechen). Der Bundestrainer war auch neugierig darauf, seinen früheren Münchner Schüler mit den anderen anerkannten Zukunftshoffnungen des deutschen Fußballs zu verbinden. Musiala mit Florian Wirtz, 19, und Kai Havertz, 23, zu kombinieren, das wird eine der großen Aufgaben für das Trainerteam im Hinblick auf die Europameisterschaft im nächsten Jahr. Doch auch Wirtz, wieder mitten im Spiel nach der im Vorjahr erlittenen Kreuzbandverletzung, machte am Sonntagabend in Leverkusen einen etwas erschöpften Eindruck und bedarf vorerst einer schonenden Verwendung.

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Fürs Erste half am Montag ein Altstar aus, um die Stimmung zu heben. Rudi Völler, 62, nahm bei der Pressekonferenz zum Start in die Länderspielwoche standesgemäß den Platz des Missionschefs in der Bild-Mitte ein, flankiert vom Chefcoach Flick und von U21-Bundestrainer Antonio Di Salvo, der sich neuerdings mit dem Siegel Hoflieferant der Nationalelf schmücken darf. Seine halbe Mannschaft hat Di Salvo, ebenfalls vor zwei Testspielen stehend, dem Kollegen abgetreten: Nach Mergim Berisha, Kevin Schade, Felix Nmecha und Josha Vagnoman kam am Sonntag noch Malick Thiaw hinzu, der den verletzt abgemeldeten Armel Bella-Kotchap ersetzte.

Die hier und da schon als allzu experimentelle Anordnung kritisierte Nachwuchs-Besetzung des Nationalteams deutete der neue DFB-Schutzpatron Völler als Zeichen für Flicks fortschrittlichen Aufbruch nach der missratenen WM und als "wichtige Message" an die besagten Junioren-Spieler: dass nämlich "jeder noch die Möglichkeit hat, bei diesem wunderbaren Turnier dabei zu sein". Gemeint ist die Europameisterschaft vor der Haustür, es könne "ganz schnell" gehen, sagt Völler.

Wie sich in Blitzgeschwindigkeit die Karriere wandeln kann, das erfährt der U21-Internationale Thiaw nicht nur durch die Beförderung in Flicks Kader. Bis Ende Januar war der ehemalige Schalker Verteidiger, der bis zu seinem Verkauf nach Italien Ende August noch drei Liga-Spiele bestritten hatte, im Renommierverein AC Mailand ein Lehrling mit geringer Einsatzpraxis. Seit Anfang Februar ist er plötzlich Stammspieler mit Champions-League-Erfahrung. Harry Kane blieb torlos gegen Thiaw, prompt sehen ihn italienische Gazetten in die Tradition der Mailänder Nationalhelden Paolo Maldini und Alessandro Nesta eintreten.

Die Begutachtung junger Spieler wie Thiaw oder Vagnoman soll Flick personelle Perspektiven erschließen. Sportdirektor Völler hat keine Zweifel, dass die deutsche Auswahl an Talenten und Spitzenkönnern zu allen Hoffnungen berechtigt, er möchte nach dem Beispiel der WM-Teams von Argentinien oder Marokko aber besonders darauf hinwirken, dass sich "Einheit, Teamgeist, Leidenschaft und Spirit" mit den technischen Begabungen der Spieler verbinden. "Die fußballerische Qualität haben wir, am Rest wird gearbeitet", verkündete Völler. Warum haben die vom DFB beschäftigten Werbe-Strategen nicht einfach ihn um den passenden Slogan gebeten?

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