FC Bayern:Eine Angriffsfläche weniger

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Jérôme Boateng, hier im Jahr 2019. (Foto: Laci Perenyi/Imago)

Der FC Bayern lässt Jérôme Boateng weiter mittrainieren - einen Vertrag erhält der Abwehrspieler, der auf seinen nächsten Gerichtsprozess wartet, aber nicht.

Von Carsten Scheele

Fitte Innenverteidiger sind gerade eine wichtige Währung beim FC Bayern, also klopfte Thomas Tuchel dreimal auf den Holztisch vor ihm, pokpokpok. Aktuell seien Dayot Upamecano und Min-jae Kim schließlich gesund. "Toi, toi, toi", sagte der Trainer, der so mit einer kompletten Abwehrformation ins Bundesligaspiel am Sonntag gegen den SC Freiburg (17.30 Uhr) ziehen kann. Zwei fitte Innenverteidiger, das sind zwei mehr als neulich im Pokal bei Preußen Münster, als neben Matthijs de Ligt auch Upamecano und Kim ausfielen und Tuchel notgedrungen Mittelfeldspieler Leon Goretzka und Außenverteidiger Noussair Mazraoui im Zentrum aufbot.

Fitte Innenverteidiger sind nicht nur für Tuchel, sondern gewissermaßen auch politisch förderlich für den ganzen Klub - und damit zu Jérôme Boateng, den früheren Weltmeister und langjährigen Bayern-Profi, der unter dem Eindruck dieser "absoluten Notsituation" (Tuchel) seit Sonntag am Trainingsbetrieb an der Säbener Straße mitwirken durfte. In der Hoffnung, dass die Münchner ihrem einstigen Abwehrspieler noch einmal einen Vertrag anbieten, und sei es nur für ein paar Monate.

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Sollten die Münchner den Verteidiger Jérôme Boateng holen, obwohl weiter Gewaltvorwürfe gegen ihn im Raum stehen? Trainer Tuchel verweist auf die Unschuldsvermutung, Sportdirektor Freund spricht von einer "privaten Geschichte" - und bekommt sofort Kritik.

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Doch so eklatant, dass der Klub einem vereinslosen Abwehrspieler einen Vertrag anbietet, der zwar "gut trainiert" habe, im Privaten aber auf den nächsten Gerichtsprozess zusteuert, ist die Notlage offensichtlich nicht mehr. "Wir sind schlauer als vorher", sagte Tuchel am Freitag, was für Boateng kein sonderlich gute Nachricht bedeutete.

Schon am Freitagmorgen vermeldeten die Bild und Sky, dass eine Entscheidung gegen Boateng gefallen sei. Am späten Nachmittag, nach einem weiteren Gespräch mit der Klubführung, unter Beisein von Trainer Tuchel, kam dann die offizielle Absage. Die personelle Situation habe sich "entspannt", der Verein habe Boateng den Entschluss mitgeteilt. Er dürfe aber als "verdienter Spieler des Vereins" weiter beim FC Bayern trainieren und sich fithalten.

Die Entscheidung habe "nicht nur eine sportliche Komponente", sagt Tuchel

Die Bayern gehen damit sportlich ein Stück weit ins Risiko. Sie hoffen, dass Upamecano (zuletzt Schambeinbeschwerden) und Kim (zuletzt muskuläre Probleme) vorerst gesund bleiben, und dass es auch bei de Ligt nicht mehr lange dauern wird, bis er ins Team zurückkehren kann. Drei gestandene Innenverteidiger sind keine üppige Besetzung bis zur Winterpause, es kann aber hinhauen. Außerdem hat der Verein am Freitag mit dem jungen Frans Krätzig, Jahrgang 2003, einen Profivertrag bis 2027 abgeschlossen. Der kann Außenverteidiger spielen, immerhin.

Heißt im Umkehrschluss: Kein Vertrag für Boateng - und eine Angriffsfläche in der Öffentlichkeit weniger für den Klub. Die Entscheidung habe schließlich "nicht nur eine sportliche Komponente", sagte Tuchel, der durchblicken ließ, dass Boateng dem Team aus rein sportlicher Sicht schon hätte helfen können - und sei es nur als Backup für Notfälle wie in Münster. Aber eben nicht in der Gesamtabwägung. 2022 wurde Boateng wegen Körperverletzung und Beleidigung gegen seine Ex-Freundin zu einer Geldstrafe von 1,2 Millionen Euro verurteilt, dieser Prozess wird neu aufgerollt. Es wird Schlagzeilen geben, Bilder von Boateng auf der Anklagebank. Ausgang ungewiss.

Die öffentliche Kritik am überraschenden Trainingsgast war entsprechend laut vernehmbar in dieser Woche - und eine solche Kritikwelle einfach auszusitzen wie häufiger schon in früheren Situationen (Stichwort Katar-Sponsoring), kam dieses Mal nicht in Frage. Also lieber ohne Boateng - und mit etwas Aberglaube durch die restliche Hinrunde, dass schon alles gutgehen wird. Pokpokpok.

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