Polen bei der EM:Lewandowski schüttelt alles ab

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Erzielt sein erstes Tor bei dieser EM: Robert Lewandowski (Foto: Thanassis Stavrakis/AFP)

Kritik prasselte auf Robert Lewandowski ein, doch dann wendet der Bayern-Stürmer durch seinen Treffer gegen Spanien ein vorzeitiges EM-Aus ab - und reißt die polnische Nationalmannschaft mit wie nie zuvor.

Von Javier Cáceres, Sevilla

Die Partie war vorüber, und Robert Lewandowski, 32, versammelte seine Mannschaft auf dem Rasen des Estadio de La Cartuja von Sevilla, wo das polnische Nationalteam soeben dem früheren Europameister Spanien ein 1:1 abgetrotzt hatte. Eine Drohne flog durch den kaum spürbaren Wind, und so sah man auf aufgezeichneten Bildern ein kleines Detail, das von der Tribüne nicht zu erkennen war: Dass Lewandowski, der Kapitän der polnischen Nationalelf (und Stürmer des FC Bayern München), in diesem Kreis einen kleinen Schritt nach vorn gemacht, den Oberkörper ein wenig nach vorn gebeugt und die rechte Faust geballt hatte, um jeden einzelnen Satz mit einer Geste zu untermauern. Wer weiß, was er wirklich sagte. Aber es dürfte einer Paraphrase der Worte von Jürgen Klinsmann aus der WM 2006 nahegekommen sein, damals war es auf die Polen gemünzt: "Das lassen wir uns jetzt nicht mehr nehmen. Schon gar nicht von den Schweden."

Die kämpferische Attitüde Lewandowskis war schon über das ganze Spiel spürbar gewesen. Über 90 Minuten plus Nachspielzeit schüttelte er alles ab: Die Kritiken, die in- und außerhalb Polens daran erinnert hatten, er reserviere seine Tore für die Bayern und die Bundesliga. Und vor allem: seinen Fehlschuss aus der ersten Hälfte. Nach einem Pfostentreffer jagte er den Ball aus nächster Nähe voll auf den spanischen Torwart Unai Simón, wäre die EM ein Jahrmarkt, hätte er immerhin einen Teddy aus Plüsch mit nach Hause genommen. Am Ende wurde es doch ein Zähler. Denn in der zweiten Halbzeit egalisierte Lewandowski die spanische Führung durch Álvaro Morata (25.) - durch eine Aktion, die exemplarisch war.

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Mit Ambition und Courage

Eine Flanke von rechts flog genau getimt in den Strafraum, der Stürmer stieg hoch und stupste seinem Bewacher Aymeric Laporte resolut in den Rücken, so dass dieser nicht mehr mitspringen konnte. Der Kopfball an sich dann war dies: eine Augenweide. Vor allem war der Treffer aus der 54. Minute Gold wert. Eine Niederlage wäre gleichbedeutend mit Polens Aus gewesen. Nun habe man "einen Funken Optimismus" erspielt, Mittwoch geht es in St. Petersburg gegen die Schweden. Ein Sieg würde sicher für den Achtelfinaleinzug reichen, selbst der Gruppensieg ist noch möglich. Ein Finale, immerhin.

Nach dem 1:2 aus dem Auftaktspiel gegen die Slowakei hatte man damit nicht unbedingt rechnen müssen. "Ich glaube, ich habe noch nie zwei so unterschiedliche Spiele einer polnischen Nationalelf gesehen", sagte Lewandowski nach der Partie. Gegen die Slowakei habe man versucht, Fußball zu spielen, wogegen erst mal nichts einzuwenden wäre. "Aber wir haben jede Aggressivität vergessen", monierte Lewandowski. In Sevilla war das anders. Was auch mit ihm zu tun hatte.

Sein portugiesischer Trainer Paulo Sousa, der zum Mannschaftskreis geeilt war, kam später auch deshalb aus dem Schwärmen nicht mehr heraus, weil er seit seinem Amtsantritt im Januar nimmermüde eine Veränderung der Mentalität seiner Mannschaft reklamiert hatte. Eine Mentalität herbeiführen, wie Lewandowski sie schon hat, hin zu mehr Ambition und Courage, die sein Stürmer jetzt schon verkörpert und wie nie zuvor bei einem großen Nationenturnier auf den Rasen brachte. Nun schoss er im 118. Länderspiel sein 66. Tor für Polen.

"Wenn man einen Leader wie Robert sieht, der in allen Situationen kämpft, von jedem getreten wird, alle Zweikämpfe gewinnt, mit seinen Teamkameraden interagiert, das Tor schießt, flankt, überall ist - dann verinnerlicht am Ende jeder Spieler diese Mentalität. Das ist der richtige Weg, um unser Ziel zu erreichen", sagte Sousa. Dafür hat Lewandowski sein Spiel umstellen müssen. "Er ist ein Junge, der im Training immer daran arbeitet, das Feeling für das Tor zu behalten", berichtete Sousa. "Aber er versteht auch, dass er in der Nationalelf nicht die gleichen Dynamiken und die gleichen Spieler wie bei Bayern München hat. Er muss andere Dinge erledigen - und er erkennt das an."

Dass Lewandowski beim 1:2 gegen die Slowaken eher enttäuscht habe, wie viele polnische Medien geschrieben hatten, wollte Sousa nicht so stehen lassen. "Gegen die Slowakei war er einer derjenigen, die am meisten gerannt sind, er hat viel verteidigt, und als wir (wegen der gelb-roten Karte für Grzegorz Krychowiak/d. Red.) zu zehnt waren, hat er Extra-Anstrengungen unternommen. Seine Energie und seine Entschlossenheit waren vital - und größer, weil die Partie das verlangte." Gegen die Slowakei traf Lewandowski nicht, gegen die Spanier schon. "Auch für den weltbesten Stürmer sind Tore lebenswichtig, um bei guter Laune zu sein", sagte Sousa am Samstagabend. Und auch wenn seine Arbeit noch nicht erledigt ist: Ein wenig entspannten sich Lewandowskis Gesichtszüge nach dem dritten Turniertor seiner Karriere dann doch.

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