Spaniens Nationalelf ist auch im zweiten Heimspiel der Europameisterschaft nicht über ein Unentschieden hinausgekommen. Fünf Tage nach dem 0:0 gegen die mauernden Schweden endete auch ihre zweite Partie mit einem Unentschieden, diesmal gegen Polen (1:1). Es war der Abend, da die zuletzt arg kritisierten Mittelstürmer beider Mannschaften sich mit dem Tor versöhnten - und gleichwohl dramatische Fehlschüsse hinlegten: Spaniens Álvaro Morata und Polens Robert Lewandowski zeichneten sich für die Tore verantwortlich. Die Spanier liegen hinter Schweden und der Slowakei auf dem dritten Platz der Gruppe E. "Es war schlecht. Wir haben es bis zum Ende versucht, aber es fehlen einfach die Tore", sagte Spaniens Kapitän Jordi Alba: "Wir dürfen den Glauben nicht verlieren. Natürlich stehen wir unter Druck, aber wir sind Profis. Ich denke, dass wir weiterkommen."
Die Startelfeinsatz von Morata war nur deshalb keine Überraschung gewesen, weil Spaniens Trainer Luis Enrique es schon am Vorabend der Partie verraten hatte. "Es spielen Morata und zehn andere", dekretierte er - und siehe: Morata zahlte das Vertrauen zurück. Die Polen hatte überraschend offensiv begonnen, ganz der Ankündigung von Trainer Paulo Sousa entsprechend, nicht von vorneherein darauf verzichten zu wollen, in der gegnerischen Hälfte Flagge zu zeigen. Die gefährlicheren Aktionen der Partie trugen zunächst polnische Signaturen. Vor allem in der 6. Minute zog Mateusz Klich aus knapp 25 Metern ab, sein Schuss senkte sich gefährlich aufs Tor. Dann aber stach Morata zu.
Der zuletzt arg kritisierte Juve-Stürmer hatte das Glück, dass der Videoschiedsrichter das Team des wegen anderer Entscheidungen desaströsen italienischen Schiedsrichters Daniele Orsato korrigierte. Nach einer Hereingabe von Gerard Moreno stand Morata nämlich nicht im Abseits, als er den Ball verlängerte. Als der VAR dann in der 25. Minute doch auf Tor entschieden hatte, führte der erste Weg Moratas zu Luis Enrique. Die beiden fielen in der Coaching Zone einander in den Arm und schienen sich gar nicht mehr loslassen zu wollen. Was sie nicht wussten: dass sie vor der Halbzeit noch einen gehörigen Doppel-Schreck (und nach der Pause den Ausgleich) zu verdauen haben würden.
Lewandowskis famoser Kopfball schlägt unten links ein
In der 41. Minute jagte Karol Swiderski den Ball mit einem gewaltigen Rechtsschuss aus 20 Metern an den linken Pfosten. Der Abpraller landete bei dem Mann, der im vergangenen Jahr unter allen denk- und undenkbaren Umständen traf, bis er den Uraltrekord von Gerd Müller (40 Tore in der deutschen Bundesliga) eingestellt hatte: Polens Kapitän Robert Lewandowski. Er kontrollierte den Ball, hatte Zeit, um das linke Bein durchzuladen und schoss dann doch nur Spaniens Torwart Unai Simón an. Auf der anderen Seite traf Gerard Moreno (FC Villarreal) vor dem Halbzeitpfiff nach einer Hereingabe von Jordi Alba (FC Barcelona) nur das Außennetz.
Nach der Pause folgte aber doch der Ausgleich für die Polen. Durch Lewandowski, dem sie in der Heimat immer wieder unter die Nase gerieben hatten, dass er in Turnieren bislang nur zwei Tore für Polen erzielt hat. Am Samstag nun folgte in Sevilla Treffer Nummer drei. Kamil Jowzial konnte von der rechten Seite unbedrängt flanken, und Lewandowski verschaffte sich durch einen resoluten Einsatz einen Vorteil gegen seinen Manndecker Aymeric Laporte. Er konnte so zu einem famosen Kopfball aus sieben Metern ansetzen, der unten links einschlug - 1:1 (54.).
Wenn das schon eine sprichwörtliche kalte Dusche für die Spanier darstellte, so war der folgende Aufreger eine Art Ice-Challenge. Der Videoschiedsrichter rief Referee Orsato an den Bildschirm, nach Ansicht der Bilder hatte der Italiener keine Zweifel mehr, dass Jakub Moder dem Spanier Moreno im Strafraum auf den Knöchel getreten hatte - und entschied korrekterweise auf Elfmeter.
Am letzten Gruppenspieltag empfangen die Spanier die Slowaken
Gerard Moreno, der gerade erst den Europa-League-Titel mit dem FC Villarreal gewonnen hatte, trat selbst und schoss den Ball hart und platziert an den Pfosten. Der Abpraller landete bei Morata: Doch dieser sah wieder die Geister, die er durch das Tor aus der ersten Halbzeit für vertrieben angesehen hatte, wieder vor sich auftauchen. Und schoss daneben.
Was folgte, hatte mit dem strukturierten Spiel, das man von den Spaniern sonst kennt, nur noch entfernt zu tun. Sie hatten mehr Ballbesitz, die Polen lauerten auf Konter, ohne wirklich zu deutlichen Gelegenheiten zu kommen. Ihre Abwehrarbeit wurde durch Schiedsrichter Orsato unterstützt, der in einigen Szenen haarsträubende Fouls nicht mit Verwarnungen ahndete.
Chancen aber gab es, vor allem für Morata (65./84.). Aber die Treffsicherheit des Juve-Stürmers gemahnte in der zweiten Halbzeit wieder an Jahrmarkt-Flinten. Rodri hatte auch nicht mehr Glück, als er es aus der Distanz probierte (81.). Es blieb beim Remis, das Spaniens Optionen aufs Achtelfinale kompromittiert. Am letzten Gruppenspieltag empfangen die Spanier die Slowaken (in Sevilla). Die Polen müssen gegen Schweden antreten.