Kroatien bei der EM 2021:Der Weltfußballer-Außenrist macht den Unterschied

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Schuss ins Glück: Luka Modric (vorne) trifft zum 2:1 für Kroatien. (Foto: PA Images/imago images)

Kroatien erreicht mit einem Sieg gegen Schottland doch noch das Achtelfinale. Neben der größeren Erfahrung hilft dem WM-Zweiten von 2018 vor allem die Brillanz von Luka Modric.

Von Michael Neudecker, Glasgow

Als Luka Modric 16 Jahre alt war, wechselte er zu Dinamo Zagreb, und in Irvine, Schottland, kam Billy Gilmour zur Welt. Dass die beiden Ereignisse rein gar nichts miteinander zu tun haben, versteht sich von selbst, aber es wäre ein schöner Einstieg in eine Geschichte gewesen, die eigentlich die Geschichte dieses Dienstagabends werden sollte: Modric und Gilmour, der Weltfußballer und der Jungspund, Modric, 35-jähriges Gesicht einer kroatischen Mannschaft, der man zuletzt anmerkte, dass ihre Teilnahme am WM-Finale doch schon drei Jahre her ist, und Gilmour, 20-jähriger Mann des Spiels gegen England, in seinem ersten Vollzeit-Einsatz für Schottland, einer Mannschaft, die nun zum ersten Mal überhaupt eine Endrunde erreichen wollte.

Es kam dann so, dass Modric Kroatien zu einem 3:1-Sieg dirigierte, während Gilmour in einem Hotelzimmer saß, weil sein letzter Corona-Test positiv ausgefallen war.

Laut Regeln der britischen Regierung müssen Menschen, die einen "engen Kontakt" zu einem Infizierten hatten, in Isolation, wobei genau festgelegt ist, was darunter zu verstehen ist, die Regeln sind sehr detailliert, es geht da um Zeit und Nähe. Nur zwei Spieler mussten nach Gilmours positivem Test in Quarantäne: zwei englische, weil sie Gilmour nach dem Spiel am Freitag umarmt hatten. Aber kein Schotte, was jedem, der wenigstens mal in einer Amateurmannschaft Fußball gespielt hat, zumindest merkwürdig erscheinen muss. Zlatko Dalic, der kroatische Trainer, haderte sehr mit dieser Entscheidung, seine Spieler, sagte Dalic vor dem Spiel, hätten "Angst, dass etwas passiert", zum Beispiel, dass "danach einer positiv getestet wird und wir alle in Isolation müssen". Genau so spielten sie zunächst auch.

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Zwölf Sekunden nach Anpfiff flog der Ball nach vorne, ein langgemachtes kroatisches Bein klärte mühsam zur Ecke, und die schottischen Fans sprangen auf, schrien, jubelten. Die Fans, das war klar, würden Schottlands wichtigster Spieler an diesem Abend sein, auch wenn nur 11 000 im sonst 52 000 Zuschauer fassenden Hampden Park zugelassen waren.

Die Kroaten begannen, den Ball hin- und herzupassen, als seien sie alle Quarterbacks, stoisch, aber zunehmend souverän

Steve Clarke, der schottische Trainer, wurde vor dem Spiel natürlich auch auf die Sache mit Gilmour angesprochen, die Frage ist ja auch, wo sich Gilmour, der wie alle britischen Spieler nicht geimpft ist, innerhalb der sogenannten "Bubble" infizierte. Steve Clarke wirkt manchmal etwas schlecht gelaunt, wenn er auf Fragen antwortet, auf Corona-Fragen sowieso. "Das geht mich nichts an", sagte Clarke, man sei hier, um Fußball zu spielen und nicht, um über Corona zu reden. Fußball funktioniert so, dass spätestens beim Anpfiff alles ausgeblendet wird, was sonst so passiert auf der Welt, man kann das dem Fußball nur bedingt vorwerfen, man trifft sich im Stadion schließlich nicht zum Debattieren, sondern zum Feiern und Leiden. Die schottischen Fußballfans sowieso, sie haben viel gelitten in der Historie ihrer Nationalmannschaft, aber jetzt war da dieser Abend, das Spiel des Jahrzehnts bislang, mindestens. Corona? Come on.

Das Problem für die Schotten bestand dann aber vor allem darin, dass die meisten der kroatischen Spieler - von denen fünf auch in jener Startaufstellung standen, die schon das WM-Finale 2018 begonnen hatten - doch zu lange Profi sind, um sich nachhaltig von einer diffusen Angst beherrschen zu lassen. Nach ein paar stürmischen schottischen Minuten begannen also Modric und Kollegen, den Ball hin- und herzupassen, als seien sie alle Quarterbacks, stoisch, aber zunehmend souverän. Nach 17 Minuten flankte Josip Juranovic den Ball in den Strafraum, Ivan Perisic legte mit dem Kopf ab, die schottische Abwehr wirkte etwas desorientiert, und Nikola Vlasic drosch den Ball ins Tor.

Es wurde leise im Hampden Park, und hätte Callum McGregor nicht aus dem Nichts kurz vor der Halbzeit das erste schottische EM-Tor seit ziemlich genau 25 Jahren erzielt, wäre das wohl auch so geblieben. So aber geschah es, dass die Kroaten den Ball nicht wegbekamen und Callum McGregor die Gelegenheit zum Torschuss eröffneten, McGregor den Ball flach ins Tor schob und in der Folge die Stimmung im Hampden Park explodierte.

Für einen Moment lang waren beide Mannschaften wieder voll drin in ihrem Turnier: Schottland, wie es rennt und kämpft, und Kroatien, wie es steht und zögert. Aber der Unterschied, was die technischen Fertigkeiten der Einzelnen betraf, war eben doch jederzeit sichtbar, besonders in jenem Moment, als Luka Modric den Ball in der 62. Minute nach ein paar kroatischen Flachpässen mit seinem Weltfußballer-Außenrist von der Strafraumgrenze ins Toreck zwirbelte. 2:1, Schottland war jetzt zwei Tore weg vom Achtelfinale, und zwei Tore waren an diesem Abend eine Welt zu viel. Perisics 3:1 nach 77 Minuten, nach einer Ecke von Modric, wäre im Grunde nicht mehr nötig gewesen.

Bobby Gilmour übrigens zeige, so heißt es, bislang keine Symptome, weshalb er zehn Tage in Quarantäne bleiben muss. Das Achtelfinale hätte er ohnehin verpasst, und es lag auch an Luka Modric, dass das am Ende nicht mehr wichtig war.

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