Deutschland bei der Eishockey-WM:Standhaft wie Leonidas' Spartiaten

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"Beide Mannschaften haben sich nichts geschenkt": Nationalstürmer Maximilian Kastner (rechts) im Zweikampf mit dem Schweizer Enzo Corvi. (Foto: Andrea Branca/Just Pictures/Imago)

Das deutsche Team verliert knapp gegen die Schweiz und zieht als Gruppenzweiter ins WM-Viertelfinale ein. Bundestrainer Söderholm kritisiert nach der intensiven Partie die Schiedsrichter.

Von Johannes Schnitzler, Helsinki

Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen um die besten Plätze: Deutschland gegen die Schweiz, ein Derby, da geht es auch mal mit härteren Bandagen zu. Das Gedränge in der Mixed Zone war groß unter den Journalisten, und während die Spieler, Deutsche und Schweizer, längst friedlich nebeneinander auf die Fragen warteten, flog zwischen Pressevertretern und Presseverantwortlichen im Kampf um die begehrtesten Stimmen noch die eine oder andere Unfreundlichkeit hin und her. "Von den Emotionen her hat man gesehen, dass wir Nachbarländer sind, es war hochintensiv", sagte der Berliner Marcel Noebels. "Ich habe es echt genossen." Noebels meinte übrigens das Spiel.

Die Schweizer gewannen nach Penaltyschießen 4:3 (1:2, 2:0, 0:1) und sicherten sich den Sieg in Gruppe A, Deutschland geht als Gruppen-Zweiter ins Viertelfinale der Eishockey-Weltmeisterschaft in Finnland. "Man muss die Mannschaft loben", sagte Bundestrainer Toni Söderholm. "Sie hat konstant Punkte gesammelt. Einiges müssen wir noch verbessern, aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Wir sind bereit sind für die nächste Runde." Im Viertelfinale trifft Deutschland am Donnerstag (15.20 Uhr) auf Tschechien. Letztmals standen sich beide Teams 2019 bei einer WM gegenüber, ebenfalls im Viertelfinale. Damals siegten die Tschechen 5:1.

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Die Ausgangslage war klar: Gewinnt Söderholms Team in der regulären Spielzeit, hat es Platz eins sicher, woran vermutlich nicht mal der Bundestrainer vor dem Turnier aus vollem Herzen geglaubt hätte; ein Sieg oder eine Niederlage nach Verlängerung würde sicher Platz zwei bedeuten - und wer hätte selbst daran schon ernsthaft gedacht nach dem verkorksten Olympia-Auftritt. Selbst bei einer glatten Niederlage wäre Platz zwei noch möglich gewesen.

Wie Olympiasieger Beat Feuz die Lauberhorn-Abfahrt hinab, so stürzten sich die Schweizer ins deutsche Drittel

Beide Mannschaften hatten das Viertelfinale schon vor dieser abschließenden Begegnung sicher, die Schweiz mit sechs sauberen Siegen in Serie, die Deutschen nach der Auftaktniederlage gegen Kanada immerhin mit fünf Erfolgen nacheinander - ein Novum in der deutschen WM-Geschichte. Dass es deshalb entspannt zugehen würde, das durfte niemand ernsthaft erwarten, der vor allem die jüngere Geschichte dieses Duells kennt, das 2:1 nach Verlängerung bei Olympia 2018 und den Sieg im Penaltyschießen bei der WM 2021. "Warum gewinnen die Deutschen an großen Anlässen immer gegen die Schweiz?", wurde Marcel Noebels am Tag zuvor von einem Schweizer Reporter gefragt. "Weil wir es schaffen, als Mannschaft zu spielen", sagte der Berliner. Im selben Satz verwies Noebels aber darauf, dass auch die Schweizer "eine sehr starke Mannschaft" nach Helsinki geschickt hätten, "noch besser als frühere".

Nach 1:37 Minuten lag das DEB-Team zurück. Wie Olympiasieger Beat Feuz die Lauberhorn-Abfahrt hinab, so stürzten sich die Schweizer ins deutsche Drittel. Andres Ambühl schloss einen Hochgeschwindigkeitsangriff mit einem kraftvollen Schlagschuss ab. Philipp Grubauer, der nach zwei Spielen Pause wieder ins deutsche Tor zurückgekehrt war, hatte keine Abwehrchance.

"Sie werden versuchen, uns unseren Speed zu nehmen, und auf Konter lauern", hatte "Nati"-Trainer Patrick Fischer prophezeit. Taten sich die deutschen Spieler mit Teil eins seiner Vorhersage schwer, gelang die Realisation von Teil zwei erstmals in Minute sechs, als Daniel Schmölz frei vor Reto Berra auftauchte. Der Schweizer Goalie blieb Sieger. Sechs Minuten später war aber auch Berra zum ersten Mal geschlagen. Strafzeit gegen Dominik Egli, Bullygewinn von Lukas Reichel, Schlagschuss Kai Wissmann unten links in den Kasten - ein Kleinkunstwerk aus Handlungsschnelligkeit und Präzision, für das Söderholms Team genau fünf Sekunden Powerplay benötigte (12.). Und das war nicht einmal überraschend: Das DEB-Team führte die Powerplay-Statistik bei diesem Turnier vor dem Spiel mit 37 Prozent Erfolgsquote an. Und es kam noch besser. Seider schaufelte den Puck zum Tor, wo Alexander Karachun und Stefan Loibl wie im Lehrbuch Berra die Sicht nahmen, von Loibls Körper tropfte die Scheibe ins Tor (16.).

Die Schweizer waren ganz offensichtlich beeindruckt, aber nicht bezwungen. Wer gegen Kanada dreimal einen Rückstand ausgleicht und 6:3 gewinnt, wird auch gegen mutige Deutsche das Spiel nicht nach 20 Minuten abschreiben. Tatsächlich dauerte es diesmal nur 1:26 Minuten, bis die Schweiz durch Pius Suter egalisierte. Es war schon jetzt wieder die von Fischer angekündigte "enge Kiste". Die Schweizer waren immer dann gefährlich, wenn sie mit Tempo durch die Neutrale Zone schlüpften, jenes Einfallstor, das die Deutschen verteidigten wie Leonidas' Spartiaten die Thermopylen gegen Xerxes' Armee. Kapitän Moritz Müller packte einmal zu kräftig zu, prompt traf Denis Malgin im Powerplay zum 3:2 für die Eidgenossen (39.).

"Im Großen und Ganzen zufrieden" - nur nicht mit den Schiedsrichtern: Bundestrainer Toni Söderholm. (Foto: Heikki Saukkomaa/Lehtikuva/Imago)

Malgin stand auch danach im Fokus. Sein unübersehbarer Ellbogencheck gegen den Kopf von Leon Gawanke blieb straffrei, Gawanke ging im Gesicht blutend vom Eis. Zuvor hatte Fabrice Herzog Samuel Soramies mit dem Kopf in die Bande gerammt und war dafür mit zwei Minute Strafzeit sehr gut weggekommen. Söderholm nannte beide Entscheidungen hinterher "katastrophal" und "unentschuldbar", statt die Spieler zu schützen werde nur darüber geredet. Verteidiger Korbinian Holzer sagte: "Ich bin kein Schiedsrichter. Wenn die entscheiden, da war nichts, müssen wir das akzeptieren. Es gibt die Video-Review, einmal haben sie es genutzt, einmal nicht. Beide Mannschaften haben sich nichts geschenkt." Also ging es weiter. Mit einem Solo durch die Schweizer Abwehr stellte der Mannheimer Matthias Plachta auf 3:3 (48.). Dabei blieb es, auch nach Verlängerung.

"Wir haben es im ersten Drittel sehr gut gemacht", fand Holzer. "Im zweiten haben die Schweizer brutal viel Druck gemacht. Danach haben wir uns wieder stabilisiert und unsere Chancen kreiert. Ich denke, die Punkteteilung geht in Ordnung, und Shootout ist immer Glückssache. Jetzt schauen wir weiter, wohin uns das Turnier noch führt."

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