Eishockey-WM:Allen Rückschlägen getrotzt

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Eishockey-Nationalspieler Alexander Ehl (Mitte) feiert das 2:1 gegen Dänemark. (Foto: Pavel Golovkin/dpa)

Deutschland übersteht beim 6:4-Sieg gegen Dänemark eine wilde Schlussphase und wahrt die Chance aufs WM-Viertelfinale. Dafür muss am Freitag gegen Österreich der nächste Sieg her.

Von Johannes Schnitzler, Tampere

Die deutsche Nationalmannschaft hat die Chance auf das Viertelfinale bei der Eishockey-Weltmeisterschaft in Finnland und Lettland gewahrt. Nach drei Auftaktniederlagen gegen Schweden, Finnland und die USA gewann das Team von Bundestrainer Harold Kreis am Donnerstagabend in Tampere gegen Dänemark nach einem starken zweiten Drittel 6:4 (0:1, 3:1, 3:2). Aus den verbleibenden drei Gruppenspielen gegen Österreich (Freitag, 19.20 Uhr/Sport1 und Magentasport), Ungarn (Sonntag) und Frankreich (Dienstag) sind noch maximal neun Punkte möglich; Dänemark, das mit drei Siegen ins Turnier gestartet ist, hat acht Zähler, Gastgeber Finnland sieben.

Nach der WM-Absage von NHL-Star Leon Draisaitl am Mittwoch hatte Kreis als letzten Feldspieler den Münchner Stürmer Filip Varejcka lizenzieren lassen. Auch Torhüter Philipp Grubauer (Seattle) wird nicht nach Tampere nachreisen, wie der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) am Abend mitteilte. Wichtiger war aber zunächst: Ein Sieg musste her, unbedingt, irgendwie.

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Es lief die dritte Minute, zum ersten Mal holten die deutschen Zuschauer Luft für einen Torschrei. Aber Moritz Seiders Schuss aus dem Handgelenk sprang von der Latte vor die Linie aufs Eis zurück. Und wer kein Glück hat: Nach 5:39 Minuten lag das DEB-Team zurück.

Wie gegen die USA hatte ein deutscher Verteidiger einen Puck ins eigene Netz abgelenkt, diesmal war es Moritz Müller. War ja klar, dachte sich in diesem Moment der Angreifer Nico Sturm: "Die werfen ein paar Wurstsemmeln aufs Tor, und bei unserem Glück gehen die natürlich in Führung." Offizieller Torschütze war Matias Lassen, weil es im Eishockey keine Eigentore gibt, aber die Stadionregie blendete den bedauernswerten Müller ein. Der Kapitän hatte vor diesem Schlüsselspiel noch gewarnt, es könne sein, dass man zurückliegen werde, "das muss man mental verkraften können". Nun mussten sie zeigen, wie stark sie wirklich sind.

Gegen die Dänen hatte Kreis "unsere beste Leistung" eingefordert, vor allem defensiv müsse seine Mannschaft diszipliniert arbeiten. "Die Dänen sind technisch und läuferisch sehr gut. Sie sind eine Mannschaft, die auch physisch hart spielen kann und im Powerplay sehr gut ist", sagte Kreis. Logische Schlussfolgerung: "Wir wollen nicht zulassen, dass die Dänen ins Powerplay kommen." Mit einer Erfolgsquote von mehr als 46 Prozent hatten die Dänen bei diesem Turnier bislang ein überragendes Überzahlspiel, vor allem Nikolaj Ehlers, der Sohn von Nationaltrainer Heinz Ehlers, trumpfte auf: Drei seiner vier Turniertreffer in den ersten drei Spielen erzielte er im Powerplay.

Die Deutschen hatten am Tag vor diesem eminent wichtigen Spiel selbst noch einmal an ihrem Überzahlspiel gefeilt, aber das erste Powerplay verwehte wie ein lauwarmer Sommerwind. Den meisten Spaß hatte der diesmal nicht berücksichtigte Düsseldorfer Daniel Fischbuch, der am Vatertag mit Frau und Kindern auf der Tribüne saß. Die Spieler unten auf dem Eis nahmen ein bedrückendes 0:1 mit in die Kabine.

Plötzlich spielt das deutsche Team mit mehr Mut, mehr Zug zum Tor und mehr körperlicher Präsenz

Das Duell gegen Dänemark war in den vergangenen Jahren stets eng. 2022 setzte sich das DEB-Team in Helsinki 1:0 durch, 2019 in Košice 2:1. 2018 in Herning unterlagen die Deutschen den Gastgebern nach Penaltyschießen. Am Donnerstag präsentierten sich die Skandinavier keineswegs Furcht einflößend, viel mehr etwas bieder und bequem nach ihren drei Siegen gegen Ungarn, Frankreich und Österreich, die drei vermeintlich schwächsten Teams der Gruppe A.

Kreis nahm zum zweiten Drittel einen personellen Wechsel vor, und was für einen: Es wirkte so, als habe er ein komplett neues Team zurück aufs Eis geschickt, mit mehr Mut, mehr Zug zum Tor, mehr körperlicher Präsenz. "Im ersten Drittel waren wir nicht gut. Im zweiten sind wir viel besser rausgekommen", fand auch der Berliner Marcel Noebels. Immer enger schnürten die Deutschen die Dänen in deren Drittel ein und endlich hatten sie auch ein Quäntchen Glück. Der Schuss von NHL-Profi John-Jason Peterka rutschte Keeper Frederik Dichow zum 1:1 unter den Schonern hindurch ins Netz (30.), das Schussverhältnis im zweiten Drittel lautete bis dahin 8:0 für Deutschland. Und sie legten sofort nach: Als Dichow einen Puck nach vorne abprallen ließ, setzte Alexander Ehl entschlossen hinterher zum 2:1 (32.). Innerhalb von 116 Sekunden hatte das DEB-Team das Spiel gedreht.

Auch Kapitän Müller sollte seine persönliche Erleichterung finden: Nach einem präzisen Pass von Marcel Noebels durch die dänische Verteidigungszone erhöhte der Verteidiger souverän auf 3:1 (38.). Für Tiefenentspannung war es freilich zu früh: Mathias Bau verkürzte in der letzten Minute des zweiten Drittels auf 3:2, Torhüter Mathias Niederberger war die Sicht versperrt. Es war also wieder das erwartbar enge Spiel.

Welche deutsche Mannschaft würde für die letzten 20 Minuten aus der Kabine kommen: die aus dem ersten oder die aus dem zweiten Drittel? Auf jeden Fall jene, die den Dänen weiterhin nicht das kleinste Überzahlspiel gönnte. Dass sie auch bei Fünf gegen Fünf treffen können, bewiesen die Dänen fünf Minuten vor dem Ende: Der für Bremerhaven in der DEL spielende Christian Wejse glich zum 3:3 aus. Aber Jonas Müller antwortete nur 20 Sekunden später mit dem 4:3 (56.), wieder sah Dichow nicht gut aus. Aber auch Noebels' 5:3 ins leere dänische Tor (59.) reichte noch nicht, weil abermals Wejse für spannende sieben Sekunden sorgte. Dänemark nahm den Torhüter noch einmal vom Eis, dann traf Nico Sturm zum 6:4-Endstand (60.).

Für das deutsche Team sieht es nun bedeutend besser aus. Am Freitag gegen Österreich, das einen Tag Pause hatte, muss die Mannschaft von Harold Kreis nun zeigen, dass sie die physische und mentale Spannung besser hochhalten kann als die Dänen. Vor dem Spiel hatte Stürmer Samuel Soramies gesagt, zu wissen, dass sie null Punkte hätten, sei Spannung genug. Dieser zweifelhafte Mutmacher ist immerhin getilgt.

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