Eishockey-WM:Der außergewöhnlichste deutsche WM-Debütant

Eishockey-WM: Zurückhaltend in seiner Art, aber auf dem Eis im Vordergrund: Nico Sturm.

Zurückhaltend in seiner Art, aber auf dem Eis im Vordergrund: Nico Sturm.

(Foto: Kalle Parkkinen/Newspix24/Imago)

Nico Sturm galt lange als nicht gut genug. Inzwischen ist er Stanley-Cup-Sieger und will seine ruhige Art beim Nationalteam vorleben - was nach den Niederlagen gegen Schweden und Finnland besonders wichtig sein könnte.

Von Johannes Schnitzler, Tampere

Irgendwo hier könnten sie leben, die Mumins, diese knautschigen Kerlchen, halb Marshmallow, halb Zwergnilpferd, von denen man nur weiß, dass sie in einem idyllischen Tal irgendwo in Finnland zu Hause sind.

In Tampere, neben Riga einer der beiden Austragungsorte der diesjährigen Eishockey-Weltmeisterschaft, gibt es ein eigenes Museum, in dem man fast alles erfährt über diese trollartigen Kinderbuch-Wesen, die auch in Deutschland bekannt sind. Was nicht verraten wird: Wo genau dieses Idyll liegt. Vielleicht hinter dem Team-Hotel der deutschen Mannschaft. Dort, am Pyhäjärvi, dem "heiligen See", einem der beiden großen Gewässer Tamperes, hat jemand ein Paradies in die Landschaft gepinselt. Wenn die Nationalspieler mal frische Luft brauchen, wie am Sonntag nach den ersten beiden Spielen gegen Schweden (0:1) und Finnland (3:4), laufen sie entlang an einem baumbestandenen Ufer, sanften Badebuchten, Tennis- und Minigolfplätzen. Nicht nur als Mumin könnte man sich hier wohlfühlen.

Selbst für einen ausgewachsenen Mumin, dessen Größe 50 Zentimeter für gewöhnlich nicht übersteigt, ist Nico Sturm mit 1,91 Meter deutlich zu groß. Sein sportliches Zuhause ist aber auch weniger der sonnengeflutete finnische Frühsommer bei 20 Grad am Badesee; als Metapher passender wäre Tamperes Beiname "Manchester des Nordens", ein Ort, an dem die Arbeit vor dem Vergnügen kommt.

Wer wissen will, wo Nico Sturms sportliches Mumin-Tal liegt, kann zum Beispiel auf Ebene null der Nokia Arena hinunterfahren. Hier, tief unterhalb der Spielfläche, befindet sich die Trainingshalle, wo sich das deutsche Team am Sonntagmittag auf das Spiel gegen die USA (Montag, 15.20Uhr, Sport1 und Magentasport) vorbereitet, buchstäblich in tiefer Abgeschiedenheit. Eine Umgebung, wie der Augsburger Sturm sie liebt, dieses "Lagergefühl", wie er sagt: "Man kommt zusammen und konzentriert sich auf das Wesentliche."

Der Stanley-Cup-Sieg gibt Sturm die nötige Gelassenheit

Das Wesentliche hat in den ersten beiden Spielen funktioniert - und irgendwie auch nicht. "Wir haben wieder super gespielt, waren mehr als ebenbürtig, hätten Punkte verdient gehabt", sagte der Stürmer der San Jose Sharks nach dem 3:4 gegen den Titelverteidiger und Olympiasieger Finnland. Aber: "Ich weiß nicht, was wir großartig anders machen sollen. Wir haben drei Tore geschossen gegen ein super defensives Team." Nur hat das am Ende wieder nicht ganz gereicht. Auch, weil Sturm beim Stand von 2:1 am Torgestänge scheiterte. "It's a game of Inches", sagte Bundestrainer Harold Kreis. "Manchmal geht die Scheibe rein, manchmal geht sie nicht rein." Zentimetersache.

Er sei kein Spieler für die Statistik, sagt Sturm. "Ich muss nicht in jedem Spiel einen Scorerpunkt haben. Und es war auch kein schlechtes Spiel, wenn ich mal nicht auf dem Spielberichtsbogen stehe." Trotzdem hätte er womöglich das eine oder andere seiner 14 NHL-Tore in dieser Saison dafür eingetauscht, wenn gegen Finnland sein Schuss zum 3:1 ins Netz geflippt wäre. Sturm war am Samstagabend so frustriert wie alle seine Teamkollegen. Umso wichtiger sei, sich selbst und dem eigenen Spiel "treu zu bleiben". Es ist sein Glaubensbekenntnis.

Eishockey-WM: Nico Sturm ist NHL-Profi und Stanley-Cup-Sieger, hatte aber bis vor Kurzem noch kein Länderspiel absolviert.

Nico Sturm ist NHL-Profi und Stanley-Cup-Sieger, hatte aber bis vor Kurzem noch kein Länderspiel absolviert.

(Foto: Tomi Hänninen/Newspix24/Imago)

Sturm ist der außergewöhnlichste der acht deutschen WM-Debütanten: NHL-Profi, Stanley-Cup-Sieger, aber bis vor Kurzem noch ohne Länderspiel. In der Deutschen Eishockey Liga hat er nie gespielt. Als Junior wechselte er in die USA, um Sport und Studium zu verbinden. Für die DEL galt er als nicht gut genug. In den USA malochte er sich durch die unteren Klassen, machte in der College-Liga NCAA auf sich aufmerksam - und debütierte mit 24 plötzlich in der NHL für die Minnesota Wild.

"Er hat Knochenarbeit geleistet, um eine feste NHL-Größe zu werden", sagt Leon Draisaitl, der mit überragendem Talent gesegnete Star der Edmonton Oilers. Eine feste NHL-Größe ist Sturm spätestens seit dem Stanley-Cup-Sieg 2022 mit der Colorado Avalanche - etwas, das er sogar Draisaitl voraushat. "Der Stanley Cup gibt mir Ruhe", sagt Sturm. "Nicht im Sinne von Zufriedenheit. Aber ich habe jetzt mehr Weitblick auf die Dinge, wenn's mal nicht so läuft." Das und ein mit zwei Millionen Dollar per annum dotierter Dreijahresvertrag in San Jose, weil er nun nicht mehr jeden Tag über seine sportliche Zukunft nachdenken müsse.

Dass er seine WM-Premiere erst mit 28 feiert, lag auch daran, dass er in Amerika entweder Playoffs spielte oder Abschlussarbeiten zu schreiben hatte und keine Zeit für eine WM fand. "Ich mache nicht gern halbgare Sachen", sagt Sturm. "Ich wusste, dass irgendwann die Zeit kommen wird."

Dieses Bei-sich-Bleiben will er nun auch bei der Nationalmannschaft vorleben, gerade jetzt, nach den beiden knappen Niederlagen. Als NHL-Spieler sollte er "natürlich" Führungsspieler sein. Aber er müsse nicht im Vordergrund stehen. "Ich bin nicht so extrovertiert. Ich werde nicht versuchen, ein Spieler zu sein, der ich nicht bin, weil ich damit nur mir und der Mannschaft schade." Stattdessen arbeitet er weiter wie immer. Für Sturm heißt das: nach jedem Training Bullys üben, seine Spezialität. Er geht dann tief runter in die Hocke, den Oberkörper knapp über dem Eis, und wartet, bis der Linienrichter die Scheibe einwirft. Nicht die spektakulärste Disziplin, aber wichtig, weil jeder Scheibengewinn dem Team Zeit und Kraft spart.

Am Montag gegen die USA wird Nico Sturm auf seinen Klubtrainer David Quinn treffen. Er wird dann wieder tief in die Hocke gehen, bis er kaum größer ist als ein Mumin, und arbeiten. So wie immer. Weil er sich so am wohlsten fühlt.

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