Straubing Tigers:Ein Schuss vor Mitternacht

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Auch das 3:3 durch Cole Fonstad war zu wenig für die Straubing Tigers, Berlin führt nun 2:0 im Halbfinale. (Foto: Marja Jadranko/Eibner/Imago)

Im drittlängsten Spiel der DEL-Geschichte siegen die Eisbären Berlin in Straubing in der dritten Overtime. Die Tigers geben sich in der Serie aber noch nicht geschlagen - der Geist von 2012 soll helfen.

Von Johannes Kirchmeier, Straubing

Es war schon 23.53 Uhr am Mittwoch, da schnappte sich der Jubilar noch einmal sein Mikrofon für die letzten Worte dieses geschichtsträchtigen Abends im Straubinger Eisstadion am Pulverturm: "Liebe Fans, wir bedanken uns ganz herzlich", sagte The Voice, auch er klang etwas abgekämpft. "Servus, macht es gut." The Voice, die Stimme, so nennen sie in und um Straubing nur einen: Peter Schnettler, den Stadionsprecher der Straubing Tigers aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Er hat für einen Stadionsprecher eine fast schon sanfte, zurückhaltende, aber trotzdem einnehmende Stimme. Fast jeder, der im Gäuboden aufgewachsen ist, hat sie schon mal beim Eishockey gehört. Seine "zwo Strafminuten" oder das "Tooooor" mit exakt fünf "o" sitzen auch beim 700. Mal wie am ersten Tag.

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Schnettler absolvierte am Mittwoch sein 700. Spiel als Stadionsprecher der Tigers, wurde dafür auf dem Videowürfel und mit Plakaten als "Stimme der Region" geehrt - und mit seinem längsten Eishockeyspiel als Stadionsprecher beschenkt. Nie haben sich in Straubing zwei Teams länger gebalgt als die Tigers und die Eisbären Berlin: Der 4:3-Siegtreffer für Berlin fiel erst nach exakt 110 Minuten und 40 Sekunden, in der dritten Verlängerung. Duell zwei in der Halbfinalserie der ungleichen Klubs des kleinsten gegen den größten Ligastandort war das drittlängste Spiel der DEL-Historie. Zum Rekord von 2008, als Köln und Mannheim 168 Minuten auf dem Eis gestanden hatten, fehlte noch ein Stück, Rang zwei (Iserlohn - Frankfurt) war lediglich sieben Minuten entfernt. Dass das Spiel nicht erst am Donnerstag endete, lag vor allem daran, dass die beiden Teams in den zusätzlichen Spielabschnitten die Strafbank mieden. "I hob mir denkt, dass in d' Verlängerung geht - aber dass a so a zache (zähe) Partie wird ...", sagte ein Straubinger Anhänger.

Die 5635 Zuschauer im ausverkauften Stadion durften für ihr Eintrittsgeld fast zwei Partien in einer sehen. Nur, für den Geschmack von Schnettler und den Großteil der Fans im Stadion gewann natürlich der Falsche. Berlins Außenstürmer Ty Ronning traf um 23.50 Uhr per Handgelenkschuss zum 4:3, vier Stunden und 20 Minuten nach dem ersten Bully. Damit führen die Gäste aus der Hauptstadt in der Best-of-seven-Serie 2:0, zwei Siege fehlen zum Finaleinzug. Aber gut, wird sich Schnettler betont pragmatisch sagen, deine Geschenke kannst dir halt nicht aussuchen. Und wie sangen die Fans vor dem Spiel in der Vereinshymne des Straubinger Kabarettisten Hannes Ringlstetter: "... und wenn's a so sei soll, dann verlier ma mitnand". Der Niederbayer nimmt die Unwägbarkeiten des Lebens mit Humor, er ist kein Erfolgsfan, sondern bleibt Jahr um Jahr seinen Tigers treu.

Wie in einem Teenager-Film: Dem cooleren Jungen aus der Millionenstadt fliegen die Herzen zu

Der Jubel Ronnings und seiner Mitspieler vor der kleinen Eisbären-Fankolonie war das Ende eines heftigen Abnutzungskampfes, wie ihn wohl nur das Eishockey in Deutschland kennt. Im Mittelpunkt stand nicht mehr die hohe Spielkultur, sondern vor allem Kraft, Kampf und der unterbewusste Wille, immer weiter Schlittschuh zu laufen. Und ja, auch ein, zwei Fehlpässe mehr streuten beide Teams ein. Im Eishockey wird schließlich so lange verlängert, bis ein Sieger gefunden ist - und ein Verlierer. "Wir sind schon niedergeschlagen, weil ich glaube, dass wir die bessere Mannschaft waren", sagte Tigers-Kapitän Sandro Schönberger. Die Zahlen geben ihm recht: Mehr als 60 Mal schossen sie auf Jake Hildebrands Tor, der Gegner kam auf 45 Versuche. Selbst nach dem 3:1 der Berliner gaben sie sich nicht auf und kamen vier Minuten vor dem Ende zum 3:3 durch Cole Fonstad.

Das kleine Straubing, 50 000 Einwohner, mühte sich, bäumte sich auf, doch was die Tigers auch taten, es wirkte wie in einem Teenager-Film: Als sei da auf der Gegenseite der größere, coolere Junge aus der Millionenstadt, der viel weniger tun muss und dem trotzdem die Herzen der anderen zufliegen. In dem Fall erzielte Berlin immer dann ein Tor, wenn es das gerade benötigte, machte aus einem 0:1 schnell ein 3:1, zeigte beeindruckende Effizienz - und konnte sich zudem auf seinen Torhüter verlassen wie auf den Wingman im Teenie-Film. Vier Mal waren die Tiger zum Eins-gegen-eins vor Hildebrand aufgetaucht, vier Mal blieb der US-Amerikaner Sieger - zuletzt in der 110. Minute gegen Mike Connolly. Hätte der nach Schönberger dienstälteste Straubinger Profi getroffen, wäre es nur das viertlängste Spiel der DEL-Geschichte geworden. Doch Hildebrand hielt.

In ihrem bisher einzigen Halbfinale 2012 haben die Straubinger das dritte Spiel in Berlin gewonnen

"Wir können uns eigentlich keinen Vorwurf machen, haben alles reingeschmissen und wirklich ein top Spiel abgeliefert", sagte Schönberger, der - Stichwort Abnutzungskampf - während der Verlängerung angeschlagen passen musste. Während die Berliner seit jeher zum Liga-Establishment zählen, ist der Halbfinaleinzug für die Niederbayern schon die Wiederholung des größten Erfolgs der Vereinsgeschichte. Wie 2012 ist der Gegner Berlin - und wie 2012 führt der nun 2:0. Damals setzten sich die Hauptstädter durch und wurden anschließend Meister.

Spiel drei in Berlin aber, das gewannen überraschend die Straubinger - und auf diese Wiederholung setzt Schönberger: "Es ist derselbe Geist wie 2012 in der Kabine, jeder spielt und kämpft für den anderen. Vielleicht meinen sie jetzt, sie haben uns in der Tasche. Aber ich bin mir sicher, wir werden am Freitag gewinnen." Sein Trainer Tom Pokel raunte im Vorbeigehen, dass es jetzt erst losgehe. Niederbayern sind "zache Hund" - und das ist explizit ein Kompliment. Die coolen Berliner haben in dieser langen Nacht am Pulverturm einen Eindruck davon bekommen.

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