Schwimmen:"Das kann so nicht weitergehen!"

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"Wir sind dabei, die Schwimmfähigkeit in Deutschland zu verspielen, das kann so nicht weitergehen": David Profit, seit Samstag neuer Präsident des Deutschen Schwimm-Verbandes. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

In David Profit hat der Deutsche Schwimm-Verband endlich wieder einen Präsidenten. Der frühere Staatssekretär muss die Reform des DSV mit Leben füllen, den Missbrauchskomplex moderieren - und die Schwimmfähigkeit der Deutschen verbessern.

Von Sebastian Winter

David Profit ist neuer Präsident des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) - das allein ist schon eine Nachricht wert. Denn seit Ende 2022 war die oberste Stelle des mehr als 560 000 Mitglieder starken Verbandes vakant. Gewählt wurde der 47-Jährige, der von 2021 bis 2023 in Rheinland-Pfalz Staatssekretär und Landesbeauftragter für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Geschlechtsidentität war, am Samstag auf der DSV-Mitgliederversammlung in Kassel. Bei der geheimen Abstimmung setzte sich der gebürtige Ludwigshafener mit 216 Stimmen gegen den bisherigen Vizepräsidenten Kai Morgenroth (170) und Oliver Großmann (5) durch. Wer Profit tags darauf anrief, der hatte einen Mann am anderen Ende der Leitung, der den großen Bogen spannen will.

Profit erinnerte jedenfalls an den Abend des 28. Juli 1912. Damals versammelten sich Hunderte Menschen auf der Seebrücke in Binz auf Rügen und warteten auf die Ankunft des Dampfers "Kronprinz Wilhelm". Die Brücke aber hielt den Menschenmassen nicht stand, sie stürzte teilweise ein, rund 75 Menschen fielen ins Wasser, 16 von ihnen, darunter zwei Kinder, ertranken in der Ostsee. Der Grund: Kaum jemand konnte schwimmen, allenfalls Soldaten der Marine, die an jenem schaurigen Abend viele Leben retteten.

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Der Gerichtsprozess um den fristlos gekündigten Funktionär Lutz Buschkow geht in die nächste Runde - und sagt viel aus über das Innenleben eines Verbandes, der seine Sportlerinnen und Sportler lange Zeit nicht geschützt hat.

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Diese Katastrophe mündete später in die Gründung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft - heute nennt sich die DLRG die "größte freiwillige Wasserrettungsorganisation der Welt". Zugleich können immer weniger Grundschulkinder schwimmen, es gibt zu wenige Hallen- und Freibäder, viele sind marode und ohnehin defizitär. Die Wartelisten für Schwimmkurse werden gerade in Ballungsräumen immer länger. Und auf dem Land fragen sich die Gemeinden jedes Jahr aufs Neue, ob sich der Bäderbetrieb noch lohnt - wenn es ihn überhaupt noch gibt. "Wir sind dabei, die Schwimmfähigkeit in Deutschland zu verspielen, das kann so nicht weitergehen. Sonst kommen wir zurück in die Situation um 1900, wo mehr als 90 Prozent der Bevölkerung nicht schwimmen konnten", sagt Profit. Der Jurist findet, dass dieses Thema in den vergangenen Jahren zu wenig Platz hatte im DSV.

Die Missbrauchsaufarbeitung dürfte das neue Präsidium noch lange begleiten

Zu wenig Platz war aber auch deshalb, weil andere düstere Themen die Tagesordnung bestimmten und weiter bestimmen. Der DSV muss sich seit Jahren mit Missbrauchsfällen auseinandersetzen, die unter seinem Dach geschahen. Immer mehr dringt ans Licht, auch, weil Opfer ihr Schamgefühl überwinden und sich Vertrauenspersonen öffnen.

Mit dem prominentesten Missbrauchsopfer, Jan Hempel, einem ehemaligen Weltklasse-Wasserspringer, der seinem Trainer zwischen 1982 und 1996 schutzlos ausgeliefert war, hat sich der DSV auf die Zahlung einer Entschädigungssumme von 600 000 Euro geeinigt. Der ehemalige Leistungssportdirektor Thomas Kurschilgen, dem der DSV 2021 fristlos gekündigt hatte, weil man ihm Versäumnisse im Umgang mit einem anderen Missbrauchsfall vorwarf, wurde im Rahmen eines Vegleichs rehabilitiert - und erhält eine ähnliche Summe wie Hempel. Außerdem läuft ein Arbeitsgerichtsprozess des ebenfalls fristlos entlassenen früheren Wassersprung-Bundestrainer Lutz Buschkow, der von Hempel der Mitwisserschaft bezichtigt wird, gegen den DSV. "Auch da wird es relativ bald eine Einigung geben", sagt Profit. Es wäre der nächste teure Vergleich. Und über allem schwebt die Arbeit der unabhängigen Missbrauchs-Aufarbeitungskommission, die seit einem Jahr weitere Fälle beleuchtet und Anfang Mai ihren Abschlussbericht vorlegen wird.

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In einer ARD-Dokumentation sagt der ehemalige Wasserspringer Jan Hempel, er sei über Jahre immer wieder von seinem Trainer missbraucht worden, sogar am Tag des olympischen Wettkampfs. Der Deutsche Schwimm-Verband stellt Bundestrainer Lutz Buschkow frei, der davon seit Jahren wissen soll.

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In diesem bewegten Fahrwasser tritt David Profit die Nachfolge von Marco Troll an. Der letzte DSV-Präsident hatte im November 2022 aufgrund fehlenden Vertrauens seine erneute Kandidatur zurückgezogen. Seither hatten die Vizepräsidenten Morgenroth und Wolfgang Rupieper den Verband interimsweise geführt. Im Dezember wurde dann durch eine Satzungsänderung der Weg frei für eine Strukturreform, die nun vorangebracht werden soll. Das vierköpfige, ehrenamtliche Präsidium, in das neben Profit noch die Vizepräsidenten Lutz Thieme und Lars Kalenka sowie der Athletensprecher Kevin Götz gewählt wurden, spielt darin die neue Rolle eines Aufsichtsrats. Dieser beruft in nächster Zeit erstmals einen hauptamtlichen Vorstand und überlegt sich, wie er ihn finanzieren soll - die bislang immer wieder abgeschmetterte Erhöhung der Mitgliedsbeiträge dürfte da erneut diskutiert werden. Und die neue Führungscrew schaut Ende April bestimmt auch mal in Berlin vorbei, bei der Olympiaqualifikation der deutschen Schwimmer für Paris.

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