Dopingverdacht bei Chinas Schwimmern:Eine Frage des Glaubens

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Gastgeber dreier Olympischer Spiele, vernetzt in internationalen Gremien: Chinas Einfluss im organisierten Weltsport ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewachsen. (Foto: Petr David Josek/AP)

23 chinesische Schwimmer haben ein Herzmedikament wegen einer kontaminierten Hotelküche eingenommen, angeblich unabsichtlich - die Welt-Anti-Doping-Agentur gerät beim Versuch, diese Version zu stützen, arg ins Schlingern.

Von Johannes Knuth

Der Gastgeber ist angeschlagen an diesem Abend. Witold Banka, der Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), krächzt seine Begrüßung in die Runde, ehe er versichert: "Keine Sorge, ich bin es wirklich, keine künstliche Intelligenz". Es ist der einzige Moment innerhalb der nächsten knapp zwei Stunden, in dem Banka oder einer seiner zugeschalteten Wada-Kollegen sich ein Späßchen abringt.

Dass die Wada die Weltpresse außerplanmäßig zu einer Fragerunde bittet, kommt selten vor. Vergleichbare Anlässe liegen rund zehn Jahre zurück, da war das staatlich abgeschirmte Doping in Russland gerade aufgeflogen. Damals konnte die Wada darauf verweisen, dass sie ihre Ermittler immerhin nachträglich in die Spur gesetzt hatte, und diese hatten dann auch einiges aufgedeckt. Jetzt ist die Agentur in der Defensive, schon seit Tagen: 23 Schwimmer aus Chinas hochdekorierter Auswahl waren kurz vor Olympia 2021 positiv auf ein Herzstimulans getestet worden, durften bei den Spielen in Tokio dann trotzdem brillieren - weil die Wada, die höchste globale Anti-Doping-Instanz, nicht entschlossen eingeschritten war, wie neue Recherchen von ARD und New York Times nahelegen?

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Trimetazidin im Dunstabzug, an Gewürzcontainern und im Abfluss: Mit dieser Geschichte erklären Chinas Behörden 23 Dopingverstöße von einheimischen Spitzenschwimmern aus dem Jahr 2021, die nun öffentlich werden. Doch warum erst jetzt? Die Welt-Anti-Doping-Agentur steht massiv in der Kritik.

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Der Wada-Präsident hatte am Montag alle führenden Köpfe seiner Behörde zusammengezogen, um diese These zu entkräften: Generaldirektor Olivier Niggli, Chefjustiziar Ross Wenzel, Wissenschaftsdirektor Olivier Rabin, auch Günter Younger, der frühere bayerische Polizist und mittlerweile Chef der hauseigenen Ermittlungseinheit. Die chinesische Anti-Doping-Agentur (Chinada) habe, so begann der Vortrag, im Januar 2021 von 23 ihrer Schwimmer 28 Positivtests auf das Herzmittel Trimetazidin (TMZ) registriert, rund um einen nationalen Wettkampf in Shijiazhuang. Rasch habe die Chinada vermutet, dass eine Kontaminierung schuld sein müsse: weil die betroffenen Athleten aus verschiedenen Regionen stammten, also keine Muster nach Trainingsgruppen aufschienen; auch waren nur diejenigen positiv, die im selben Hotel wohnten - Athleten aus einem anderen Hotel seien nicht betroffen gewesen. Und siehe da: Eine Untersuchung von Chinas Nationalpolizei, einem Arm der staatlichen Überwachung, fand TMZ-Spuren in Gewürzcontainern und Dunstabzugshauben des Hotels der 23 Schwimmer. Bingo.

Diese Untersuchung, wie alle Profile der Urinproben, so wiederholten die Wada-Experten nun immer wieder, habe man sorgfältig abgeklopft, mit unabhängiger Expertise. Die Konzentration von TMZ sei etwa so gering gewesen, ein Billionstel pro Milligramm, das passe nicht zu vergleichbaren TMZ-Dopingfällen (wobei Wissenschaftschef Rabin zugleich betonte, man müsse jeden Fall einzeln betrachten). Manche der positiv getesteten Athleten hätten auch kurz hintereinander Proben abgegeben, manche seien erst negativ, dann positiv ausgefallen oder andersherum - auch das deute nicht auf absichtliche Zufuhr hin. Die Conclusio, die der Justiziar Wenzel immer wieder anstrengte: "Wir hatten keine Beweise." Sprich: um die chinesische These zu widerlegen.

Wie kam das Herzmedikament in die Hotelküche? Das weiß bis heute niemand

Je länger die Fragerunde dauerte, desto wackeliger wurden freilich die Beine, auf denen die Wada-Thesen standen. Warum hatte die Chinada 23 ihrer Vorzeigeathleten nach Positivtests mit einem harten Dopingmittel nicht provisorisch gesperrt, wie vom Protokoll vorgeschrieben? Stattdessen schwammen die Athleten bis Juni weiter, kurz vor Olympia, ehe die Sicherheitsbehörden die Kontaminierungsthese etabliert hatten. Travis Tygart, der Chef der US-Anti-Dopingagentur, hatte das ein "ungeheuerliches Versagen" genannt, das jegliches Vertrauen zerstöre. Die Wada betonte nun, dass man diesen Entscheid der Chinada erst nachträglich hätte angreifen können - spätestens da sei aber ja klar gewesen, dass die Sportler die Substanz unabsichtlich konsumiert hatten, siehe: die kontaminierte Hotelküche.

Aber war das wirklich so eindeutig? Vor allem der Wissenschaftschef Rabin geriet ins Schleudern, als ihm die ARD-Kollegen vorhielten, dass dopende Sportler bei Mengen an der Nachweisschwelle sehr wohl mal positive, mal negative Ergebnisse einreichen können - je nachdem, wie hydriert sie zum Beispiel seien. Nein, wich Rabin aus, die Mengen würden kein Doping nahelegen, etwa weil die Dosierungen zu niedrig gewesen seien, um einen leistungssteigernden Effekt zu haben. Was wiederum unterschlug, dass solche Sportler gerade am Ende eines Dosierungszyklus stehen könnten.

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Chinas Schwimmer kraulen trotz positiver Dopingtests bei Olympia zu Spitzenplätzen - weil eine Hotelküche mit einem Herzmedikament kontaminiert gewesen sein soll. Dass die Welt-Anti-Doping-Agentur diese These akzeptiert, verdeutlicht die Defizite bei der Betrugsbekämpfung.

Kommentar von Johannes Knuth

Als der Wada-Runde dann noch Fälle wie jener der Eiskunstläuferin Kamila Walijewa vorgehalten wurden, die wegen einer geringen TMZ-Dosis für vier Jahre gesperrt worden war, zog sich der Jurist Wenzel immer wieder aufs selbe Argument zurück: Walijewa habe, wie in anderen angeblichen Kontaminierungsfällen, keine Quelle benennen können. Beziehungsweise: keinen staatlichen Sicherheitsapparat, der mal eben Spuren in der Hotelküche fand.

Allerdings, räumte Wenzel ein, hatte selbst dieser Apparat keinen Grund aufgetischt, wie die TMZ-Spuren dorthin gelangt sein sollen. Rabin sagte, ein Angestellter des Hotels habe womöglich eine Pille zerkleinert, Spuren davon könnten ins Essen geraten sein - er halte das für plausibel. Auf Nachfrage konnte Rabin zugleich keinen Fall nennen, in dem eine TMZ-Kontaminierung plausibel erörtert worden war ( eine aktuelle russische Studie, die leistungssteigernde TMZ-Effekte bezweifelt, erwähnt zwei Fälle). Letztlich, warf ein Reporter ein, hänge ja alles daran, dass man einem Bericht der chinesischen Behörden glauben müsse, die Monate, nachdem 23 Schwimmer von einer angeblich kontaminierten (und seitdem zigfach gereinigten) Hotelküche versorgt worden waren, just dort Spuren eines kräftigen Herzmedikaments fanden.

Nun, sagte Wenzel, mit schon leicht rotem Kopf, er müsse sich als Jurist nun mal auf Beweise stützen. Auch wenn sie aus Chinas Sicherheitsapparat stammen.

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Günter Younger, der deutsche Chefermittler der Wada, hatte später noch eine interessante These parat: Hätten die Chinesen, wenn sie etwas vertuschen wollten, die Tests überhaupt als positiv gemeldet? Sie wussten ja, was dies lostreten würde. Nun, vielleicht hatten sie auch angenommen, dass eine staatlich untersuchte Hotelküche in Shijiazhuang in einer Zeit, in der die Grenzen wegen der Pandemie verriegelt waren, eine geschmeidigere Lösung war. Hatte nicht Youngers Ressort den Russen einst nachgewiesen, dass diese eine Datenbank des Moskauer Anti-Doping-Labors massiv manipuliert hatten?

So klangen die Worte von Athletenvertretern wie der deutschen Fechterin Lea Krüger ("ein Schlag ins Gesicht aller sauberen Athleten") immer stimmiger, je länger der Abend dauerte. Und auch die des deutschen Nada-Chefs Lars Mortsiefer, der am Montag sagte, die Wada sollte den Fall noch einmal aufrollen. Und dass die Wada bei provisorischen Sperren etwa "zweierlei Maß anwendet, das lässt uns auch ein Stück weit ratlos zurück", sagte er.

Sind 23 Schwimmer auf einen Schlag aus einer der aufstrebenden Sportnationen dann doch ein wenig zu viel des Guten?

Wada-Präsident Witold Banka verwies am Montag auf chinesische Fälle, die man zuvor sanktioniert habe, verteidigte ansonsten jeden Millimeter des Vorgehens. Und Chinas Behörden? Griffen flugs ins Trumpsche Vokabular. Die Medienberichte, teilten sie mit, seien "Fake News".

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