DFB-Team vor Türkei-Spiel:Der Chef ist verletzt. Es lebe der Chef!

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Nach dem Ausfall von Bastian Schweinsteiger rückt Sami Khedira in den Fokus. Die Suche nach einem Nebenmann ist für Bundestrainer Joachim Löw vor den EM-Qualifikationsspielen ungleich schwerer.

Thomas Hummel

Am 17. Mai stand Joachim Löw vor einer gefühlten Hundertschaft an Medienvertretern. Er blickte ernst und das deutsche Fußballland, das in diesem Moment zu 99,98 Prozent mit dem ganzen Land gleichzusetzen war, wartete auf eine Erklärung. "Im ersten Moment war ich geschockt, aber nun müssen eben andere mehr Verantwortung übernehmen. Es ist für uns natürlich ein großer Verlust", sagte der Bundestrainer. Keine Regierungserklärung hatte je so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie Joachim Löws Worte kurz nachdem bekanntgeworden war, dass Michael Ballack bei der Weltmeisterschaft in Südafrika nicht würde spielen können. Das Fußballland schien seine einzige Hoffnung verloren zu haben, der Bundestrainer seinen Chef.

Gesetzt im defensiven Mittelfeld: Sami Khedira. (Foto: picture alliance / dpa)

Jetzt, vor den wichtigen Qualifikationsspielen zur Europameisterschaft 2012 gegen die Türkei (Freitag, 20:45 Uhr in Berlin) und in Kasachstan (Dienstag, 19 Uhr in Astana), hat Joachim Löw wieder seinen Chef verloren. Bastian Schweinsteiger, der in Südafrika in Ballacks Abwesenheit eindrucksvoll das zentrale Mittelfeld beherrschte, knickte am Sonntag beim 0:2 seines FC Bayern in Dortmund um, klagte danach über starke Beschwerden, bei einer Kernspintomographie diagnostizierten die Ärzte einen Kapselbandanriss im Fußwurzelbereich.

Aufregung und Besorgnis halten sich in der Öffentlichkeit dennoch in Grenzen. Erstens steht keine WM bevor, sondern eben nur zwei Qualifikationsspiele zu einer EM. Und außerdem ist das Vertrauen in die Künste von Joachim Löw inzwischen unerschütterlich. Was? Auch der Dortmunder Kevin Großkreutz fällt wegen einer Grippe aus und kann, wenn überhaupt, erst mit nach Astana fliegen? Egal. Löw und sein Trainerteam werden schon eine gute Lösung finden. Sie haben ja auch das irrwitzige Verletzungspech vor der Abreise nach Südafrika (Ballack, Rolfes, Westermann, Träsch) verkraftet.

Dabei wird Löw den Plan der Sizilien-Erklärung verfolgen: Nun müssen eben andere mehr Verantwortung übernehmen. Dies betrifft vor allem Sami Khedira. Der Profi von Real Madrid steigt angesichts der Ausfälle im zentralen, defensiven Mittelfeld von Monat zu Monat auf in der Hierarchie des DFB-Teams. 2009 war er nur eine vage Hoffnung hinter den Etablierten Ballack, Frings, Rolfes und Hitzlsperger. Dann sollte er als erster Ersatzmann hinter Ballack und Schweinsteiger mit zur WM, nach Ballacks Ausfall wurde er Stammkraft und in Südafrika stieg er zu einer vielbeachteten Figur im Weltfußball auf. Danach verpflichtete ihn Real Madrid.

Vor dem Länderspiel in Belgien vor einem Monat sagte der 23-Jährige zu seiner Entwicklung und den teils glücklichen Fügungen in seiner Karriere: "Ich bin kein Freund von diesem Was-wäre-wenn." Sein Erfolg sei "das Resultat harter Arbeit". Und: "Es ist wie es ist."

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Nun ist es so, dass er gegen die Türkei und in Kasachstan die Chefrolle im Mittelfeld übernehmen muss. Dabei hilft es, dass sich Khedira bei Real Madrid passabel eingelebt hat. Von den ersten acht Pflichtspielen in Meisterschaft und Champions League stand er fünfmal über 90 Minuten auf dem Platz, einmal wurde er aus-, zweimal eingewechselt. Löw wird nicht zögern, dem ehemaligen Stuttgarter Khedira mehr Verantwortung zu übertragen. Dennoch wiegt der Ausfall Schweinsteigers im Hinblick auf das brisante Duell mit der Türkei schwer.

Denn diesmal hat Löw keine vier Wochen Zeit, um eine neue Konstellation einzuüben. Sondern nur drei Tage. Scheinbar kamen die Nationalspieler in einem derart ramponierten Zustand nach Berlin, dass der DFB die für Dienstag angesetzte Trainingseinheit vom Amateurstadion von Hertha BSC kurzum ins Mannschaftshotel verlegte und daraus eine Regenerationseinheit machte. Außerdem reisen Schweinsteigers Ersatzkandidaten nicht gerade mit einem Überschuss Glückshormonen von ihren Klubs an.

In Südafrika setzte der Bundestrainer auf Toni Kroos als ersten Ersatzmann im defensiven Mittelfeld. Das stellte sich dort als praktikable Idee heraus. Doch inzwischen spielt der 20-Jährige beim FC Bayern München und dort rochiert er zwischen offensiv links, offensiv zentral, offensiv rechts und der Ersatzbank. Bis auf wenige Momente schien er sich an keinem dieser Orte wohl zu fühlen.

Nächster Kandidat ist Christian Träsch. Als einer der Unglücklichen, die sich vor dem WM verletzten, holte ihn Löw nun schnell in den Kader zurück. Doch in Stuttgart musste der 23-Jährige zuletzt mehrfach als rechter Verteidiger aushelfen, zudem kratzte der VfB-Absturz auch an seinem Selbstvertrauen.

Doch vielleicht wird Joachim Löw in seiner Entscheidungsfindung diesmal von der tatsächlich höchsten deutschen Instanz inspiriert: Am Dienstagnachmittag empfängt Bundespräsident Christian Wulff die Nationalmannschaft im Schloss Bellevue, überreicht dem 50-Jährigen das Bundesverdienstkreuz und zeichnet die WM-Fahrer mit dem Silbernen Lorbeerblatt aus. Wer weiß, was der Bundespräsident dem Bundestrainer da alles ins Ohr flüstert.

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