1. FC Saarbrücken:Eigentlich wäre Krise

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Hochgefühle auf tiefem Geläuf: Die Spieler des 1. FC Saarbrücken feierten nicht nur den Coup in der zweiten Pokal-Runde gegen den FC Bayern; im Achtelfinale schalteten sie auch noch Frankfurt aus. (Foto: Jean-Christophe Verhaegen/AFP)

Platz zwölf in der dritten Liga, Ärger mit dem Stadion - und der kleine Nachbar aus Elversberg etabliert sich eine Klasse höher: Der 1. FC Saarbrücken hätte guten Grund, mit der Saison zu hadern. Doch der Pokalerfolg überstrahlt alles.

Von Martin Schneider

Am vergangenen Wochenende sah sich Bürgermeister Bernd Huf dazu gezwungen, einen dreisten Diebstahl öffentlich anzuzeigen. "Alle Ortsschilder sind mittlerweile geklaut", sagte Huf in der Saarbrücker Zeitung. Man müsse sie nun nach und nach ersetzen. Wobei, schränkte er ein, nicht alle seien weg. Nur die Ortsschilder, auf denen explizit "Elversberg" steht und nicht "Spiesen-Elversberg", wie seine Gemeinde eigentlich heißt.

Offenbar finden es Fußball-Fans aus Hamburg, Düsseldorf oder Paderborn so kurios, für ein Zweitligaspiel in dieses saarländische Dorf zu reisen, dass sie das schwarz-gelbe Ortsschild als Andenken mit nach Hause nehmen, was zur Frage führt, ob Schalker (sind am 21. April zu Gast) das auch tun werden oder ob die Farbkombination zu abschreckend ist. Einige Schilderklauer könnten nächstes Jahr wiederkommen, denn die SVE steht nach 20 Spieltagen auf Tabellenplatz neun, am Wochenende haben sie zu Hause den 1. FC Kaiserslautern geschlagen, danach gab es Berichten zufolge eine spontane Schlagerparty vor dem stadionnahen Imbiss "Curry Schörry".

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Ein Mittelfeldplatz in der zweiten Liga, ein Heimsieg gegen Kaiserslautern mit anschließenden Feierlichkeiten bei Wurst-Delikatessen - das ist eigentlich die Manifestierung des ganz großen Traums des 1. FC Saarbrücken. Seit nun fast 20 Jahren (Abstieg aus der zweiten Liga) beziehungsweise mehr als 30 Jahren (letzter Sieg gegen den FCK) jagen sie beim FCS diesen beiden Zielen hinterher.

Dass nun ausgerechnet der kleine Nachbar, der noch nicht mal einen eigenen Bahnhof hat, das vorher schafft, würde in einer normalen Saison zu einer veritablen Sinnkrise beim Fußballverein der Landeshauptstadt führen. In einer sportlichen Krise wäre man ohnehin längst, weil man mit dem laut eigener Aussage fünftteuersten Kader der Liga aktuell nur auf Platz zwölf steht, sieglos in diesem Kalenderjahr unter anderem gegen Verl und Dortmund II. Und Rüdiger Ziehl wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon länger nicht mehr der Trainer.

Aber all diese Sätze stehen im Konjunktiv, weil an diesem Mittwoch (20.45 Uhr, ZDF) Borussia Mönchengladbach zum DFB-Pokal-Viertelfinale in den Ludwigspark kommt. Und weil der FCS auf dem Weg dorthin den Karlsruher SC, Eintracht Frankfurt - und den FC Bayern geschlagen hat. Dass ihnen Letzteres gelungen ist, das können sie eigentlich immer noch selbst nicht glauben. 3,2 Millionen Euro hat der FCS allein an Pokal-Prämien bekommen, dazu kommen noch die Zuschauereinnahmen aus den ausverkauften Heimspielen. Ein Halbfinaleinzug würde nochmals 3,4 Millionen Euro zusätzlich einbringen.

Das Ziel heißt zweite Liga, aber im Stadion wächst eine Wiese, wo Tribünen sein sollten

Schon vor vier Jahren kassierte der FCS ungefähr diese Summe, damals zog man als erster Viertligist überhaupt ins Pokalhalbfinale ein, die Einnahmen brachten den Klub halbwegs glimpflich durch die Corona-Pandemie. Es folgte der Aufstieg in die dritte Liga, und dass der Aufstieg in die zweite mittelfristig folgen soll, ist kein Geheimnis. Präsident und Geldgeber Hartmut Ostermann kündigte schon an, dass die Pokaleuros dem Erreichen dieses Ziels dienen sollen.

Doch da gibt es noch einige Probleme, das werden auch die Fernsehzuschauer am Mittwoch wieder bemerken, wenn die Gegengerade im Bild ist. Denn dort fehlen zwei ganze Tribünenbereiche. Bei Spielen liegt eine Plane als Sichtschutz darüber, normalerweise sind Grashalme zu sehen, weswegen sich in Saarbrücken für diese Stellen der Begriff "Kuhweide" etabliert hat. Dass dort Wiese wächst, liegt daran, dass beim Umbau des Stadions irgendwann kein Geld mehr da war. Beziehungsweise das Stadion nicht noch teurer werden durfte. Rund 47 Millionen Euro kostete es am Ende, angekündigt waren mal 16, und weil die Arena der Stadt gehört, reagiert man im nicht gerade wohlhabenden Saarland verschnupft auf das Thema. Zweitligatauglich ist das Stadion trotzdem nicht. Es gibt viel zu tun.

Auf der Gegengerade des Ludwigsparkstadions fehlen zwei ganze Tribünensegmente, wenig liebevoll "Kuhweide" genannt. (Foto: Fabian Kleer/imago images/Jan Huebner)

Apropos Kuhweide. Auch der Rasen wird gegen Gladbach wieder ein Thema sein. Es gehört zwar zu den guten Traditionen des Pokals, dass Außenseiter kein gesteigertes Interesse an einer perfekten Spielfläche haben. Aber bei der Qualität des Grüns steckt in Saarbrücken nicht nur Kalkül dahinter. Das Spiel gegen den FC Bayern stand sogar auf der Kippe, weil die Drainage im neuen Stadion nicht richtig funktionierte, das Wasser floss und fließt nicht richtig ab. Es gibt Streit darum, wer genau was verbockt hat, "zum Fremdschämen", urteilte die Saarbrücker Zeitung. Die Gladbacher sollten nicht mit einem passfreundlichen Untergrund rechnen, am Spieltag regnete es erneut ergiebig.

Das Spiel zwischen Saarbrücken und Dresden musste abgebrochen werden - das Wasser floss nicht ab. (Foto: Dennis Hetzschold/Imago)

Zu normalen Zeiten würden all diese Themen reichen, um schlechte Laune an der Saar zu erzeugen. Aber der Pokal überstrahlt alles, eine Saison, in der man Frankfurt und die Bayern schlägt, kann eigentlich keine schlechte mehr werden. Übrigens: Sollte der FCS auch gegen die Gladbacher gewinnen, deren stellenweise unausgereiftes Ballbesitzspiel den Saarbrückern entgegenkommen könnte, dann besteht eine Chance von eins zu drei auf ein Pokalhalbfinal-Heimspiel gegen Kaiserslautern. Und sollten sie das auch noch gewinnen, dann würde aus einer Eigentlich-Krisen-Saison schlagartig die beste Spielrunde des Jahrtausends. Dann wäre alles andere wirklich egal.

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