Pokaldauersieger VfL Wolfsburg:Ein Titel mit besonderem Geschmack

Lesezeit: 4 min

"Der VfL Wolfsburg ist noch ganz klar da", erklärte VfL-Kapitänin Alexandra Popp (re. vom Pokal) nach dem Pokalerfolg. (Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Der zehnte Pokalsieg in Serie hat für die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg enorme Bedeutung: Sie haben gezeigt, dass der FC Bayern mit der "Wachablösung" nicht so weit ist, wie manche dachten. Bei Lena Oberdorf, die nun die Seiten wechselt, fließen Tränen.

Von Anna Dreher, Köln

Alexandra Popp war im Inneren des Müngersdorfer Stadions schon bereit, sich vor die vielen Mikrofone zu stellen und Fragen zu beantworten. Aber damit war gerade noch ihre Mitspielerin Dominique Janssen beschäftigt. Und so nutzte Popp die Wartezeit, um einer DFB-Mitarbeiterin ihre Beute zu zeigen. Stolz hielt die Kapitänin des VfL Wolfsburg einen kleinen, silberglänzenden Schnipsel zwischen Zeigefinger und Daumen: Das neueste Fundstück für ihre Sammlung, die so niemand sonst auf dem Planeten ausstellen könnte.

Von jedem gewonnenen Pokalfinale hat Popp sich einen der unzähligen Streifen geschnappt, die während der Zeremonie aus Konfettikanonen in die Luft geblasen werden, um dann wie eine dünne Schneedecke auf dem Rasen zu landen. 2009 und 2010 mit Duisburg fing für die nun 33-Jährige alles an, am Donnerstagabend kam Nummer elf mit Wolfsburg dazu. Popp ist Deutschlands Rekordpokalsiegerin. Und sollte sie ihre 13 Memorabilien tatsächlich einmal präsentieren, würde über der Beschreibung zu dem bisher letzten Silberstreifen wohl der Titel "Genugtuung, Köln anno 2024" stehen.

Dem Endspielgegner FC Bayern war am Wochenende vor dem Pokalfinale ungeschlagen die Titelverteidigung gelungen und das mit einem Kader, der für die gestiegenen Ambitionen des Vereins im Frauenfußball steht. Mancherorts machte auf dem Weg zur Münchner Meisterschaft ein Begriff die Runde, den sie in Wolfsburg mindestens für verfrüht verwendet und bisweilen sogar als respektlos erachteten: Wachablösung. Hätte der Dauerrivale nun auch noch das erste Double seiner Historie geholt, hätte das die Wahrnehmung eines sich verändernden Kräfteverhältnisses verstärkt.

"Wir haben irgendwie ein bisschen leer gewirkt", sagt Bayerns-Trainer Straus

"Man hat uns ja gefühlt schon abgeschrieben: Das war's jetzt mit Wolfsburg und haste nich' gesehen", sagte Popp, als sie Janssen vor den Mikrofonen abgelöst hatte. Dieser Titel habe "natürlich irgendwie einen anderen Geschmack, weil von Bayern-Seite mein Lieblingswort in den Mund genommen wurde, die Medien haben es schön aufgegriffen - von daher war's wichtig, dass wir zeigen: Der VfL Wolfsburg ist noch ganz klar da." Das Wort, das Popp meinte, lautet Wachablösung. Sie hasse es, hatte sie in den Tagen vor der Begegnung gesagt. Bis es so weit sei, müsse der FC Bayern erst mal über Jahre ebenso konstant Titel holen. Und offensichtlich wirkte die empfundene Provokation nicht nur auf Popp motivierend.

VfL Wolfsburg
:Ein Jahrzehnt lang DFB-Pokalsieger

Die Wolfsburgerinnen gewinnen erneut den Wettbewerb, in dem sie einfach nicht verlieren können. Mit dem 50. ungeschlagenen Spiel in Serie holen sie ihren zehnten Cup nacheinander. Beim FC Bayern, in der Liga ungeschlagen, ist die Enttäuschung nach dem 0:2 im Finale groß.

Von Anna Dreher

20 Trophäen seit 2013 hat ihr Klub gewonnen. Darunter zweimal die Champions League, siebenmal die Meisterschaft und elfmal den DFB-Pokal - zum Start dieser Reihe gar alle Wettbewerbe in einer Saison als Triple. Als Popp nach dem jetzt zehnten Pokalerfolg nacheinander mit einer Serie von 50 Siegen um ein Ranking gebeten wurde, konnte sie diesen Wunsch zwar nicht erfüllen. Der jüngste Auftritt aber, fand sie, sei der souveränste gewesen - sicher auch, weil ihr Team in diesem Finale nach einer ruckeligen Saison nicht zwingend favorisiert worden war. Ralf Kellermann, Direktor Frauenfußball beim VfL, sprach gar davon, dass alle vor den 44 400 Zuschauern "von der ersten bis zur letzten Sekunde ein perfektes Spiel" abgeliefert hätten.

Mit ihrer aggressiven, druckvollen, unnachgiebigen Gangart ließen die Wolfsburgerinnen beim 2:0 dank der Tore von Jule Brand (14. Minute) und Janssen (40.) jedenfalls vergessen, dass sie in der Liga zweimal gegen die Bayern verloren hatten. Das überraschte die Münchnerinnen offensichtlich, sie fanden nie wirklich in ihr Spiel, als hätten sie mit der Meisterschaft an Körperspannung verloren. Hinzu kam ein unglücklicher Patzer von Torhüterin Maria Luisa Grohs, der an den Fehler von Manuel Neuer gegen Real Madrid am Abend zuvor erinnerte. Brands eigentlich harmloser Distanzschuss flutschte ihr nach einem Aufsetzer an den Händen vorbei. "Die Enttäuschung ist groß, vor allem, weil wir einfach verdient verloren haben", sagte Lea Schüller, die unter wenigen Möglichkeiten noch die beste Torchance hatte: "Das ist gerade das, was an uns nagt, weil wir einfach nicht gezeigt haben, was wir konnten."

Ihr Trainer Alexander Straus hatte zuvor bei der Pressekonferenz kaum aufhören können zu sprechen. Die Worte sprudelten aus ihm heraus, als er meinte, keine Entschuldigung suchen zu wollen, man müsse eben da sein, wenn es darauf ankomme und auch die einfachen Dinge richtig machen. "Wir haben irgendwie ein bisschen leer gewirkt", sagte der Norweger. Er tröstete sich damit, dass es gerade erst das zweite Jahr in dieser Konstellation sei, der Anfang einer Entwicklung also. Aber je mehr Straus versuchte, das Gute in der Enttäuschung zu finden, desto mehr merkte er: "Ich spreche gerade viel, weil ich immer viel rede, wenn ich traurig bin." Im kommenden Jahr, so kündigte er an - und es klang ein wenig, als würde der 48-Jährige sich selbst damit aufmuntern - würde sein Team wieder angreifen.

Ein besonderer Fokus liegt im Finale auf Lena Oberdorf - noch bei Wolfsburg, künftig bei Bayern

Dieser Pokalsieg, den die Wolfsburgerinnen sich mit 21 Treffern und, dank mancher Glanzparade von Merle Frohms, ohne ein einziges Gegentor geholt haben, steht also für die Fortsetzung einer Ära. Manches Kapitel aber endet jetzt. Janssen wird den Verein ebenso verlassen wie Torjägerin Ewa Pajor. Der größte Fokus aber lag auf Lena Oberdorf, die im Sommer das grüne gegen das rote Trikot tauschen wird. Sie erhielt viel Lob dafür, wie fokussiert sie auch nach der Bekanntgabe ihres Wechsels ihre abgeklärte Art von Fußball durchzog. Im Finale spielte die Mittelfeldregisseurin überragend, mit Übersicht, mit ihrer berüchtigten Zweikampfhärte, sie gab die Vorlage zum 1:0, und hätte beinahe selbst getroffen. Auf dem Weg zur Fankurve fiel der Druck von der erst 22-Jährigen ab, die Tränen flossen.

Noch wenige Wochen Konkurrentinnen - dann Mitspielerinnen: Lena Oberdorf (re.) wechselt zum FC Bayern und zu der früheren Wolfsburgerin Jovana Damnjanovic. (Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

"Die Situation ist ganz und gar nicht einfach, großer Respekt, dass sie so eine Leistung bringt", sagte Popp: "Umso trauriger natürlich, dass das nächste Saison nicht mehr der Fall ist und sie dann gegen uns spielt." Dadurch wird nicht nur der FC Bayern durch eine der Weltbesten auf der Sechser-Position erheblich upgegradet, sondern Wolfsburg eindeutig geschwächt. Niemand versuchte, das abzustreiten. "Sie ist Weltklasse. Das ist Wahnsinn, in so jungen Jahren so eine Stabilität unter solchen Bedingungen zu liefern", sagte ihr künftiger Ex-Trainer Tommy Stroot. Verspürte er also Abschiedsschmerz? "Heute schmerzt gar nichts. Wir werden einfach nur feiern!"

Bald darauf fanden Videos den Weg in die Netzwerke, die zumindest einen Eindruck davon lieferten, wie die Feierlichkeiten außerhalb der Kabine fortgesetzt wurden. Mitten im Kölner Straßenverkehr stand der Wolfsburger Mannschaftsbus, die Türen geöffnet für die traditionelle Ampelrunde: Alle raus und mit Medaille, dem Silberpott (Alexandra Popp), wahlweise einer dröhnenden Musikbox (Merle Frohms) oder einem gefüllten Bierglas (Lena Oberdorf) im XXL-Format um den Bus herum - tanzend, singend, hüpfend, bis das Licht wieder auf Grün sprang. "Die Stadt wird auseinandergenommen, da müssen alle Kölner beide Augen zudrücken", kündigte Stroot an: "Heute Abend gibt es keine Bremse!"

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Ingolstädter Trainerin Wittmann
:Abseits aller Schubladen

"Wir leben in einer modernen Welt": Sabrina Wittmann erlebt bei ihrem Debüt als erste Cheftrainerin im Männer-Profifußball ein aufregendes 1:1 ihrer Ingolstädter gegen Mannheim. Jetzt hoffen alle, dass es zur Normalität wird, wenn Frauen Männer coachen.

Von Christoph Leischwitz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: