Ingolstädter Trainerin Wittmann:Abseits aller Schubladen

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"Es dürfen Frauen hier ja auch schon seit ein paar Jahren wählen": Ingolstadts Sabrina Wittmann, erste Cheftrainerin im deutschen Profifußball, bei ihrer Premiere gegen Waldhof Mannheim. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

"Wir leben in einer modernen Welt": Sabrina Wittmann erlebt bei ihrem Debüt als erste Cheftrainerin im Männer-Profifußball ein aufregendes 1:1 ihrer Ingolstädter gegen Mannheim. Jetzt hoffen alle, dass es zur Normalität wird, wenn Frauen Männer coachen.

Von Christoph Leischwitz

Ingolstadts Kapitän Lukas Fröde stand vor der Umkleidekabine, die Hände in den Hüften, Schweißperlen auf der Stirn. Eine klassische Interview-Situation nach einem in sportlicher Hinsicht recht alltäglichen Drittliga-Fußballspiel, 1:1 endete es am Sonntagabend gegen Waldhof Mannheim. Aber die Fragen gingen diesmal weit übers Spiel hinaus.

Frödes souveräne Antwort, in komprimierter Form: "Es dürfen Frauen hier ja auch schon seit ein paar Jahren wählen", sagte der 29-Jährige: "Da ist es doch schön, dass der Fußball, der immer in so einer gewissen Schublade steckt, zeigen kann, dass bestimmte Klischees nicht mehr zutreffen." Freie Berufswahl herrscht in Deutschland auch schon seit ein paar Jahren. Aber natürlich ist zugleich die Frage, was es über den deutschen Fußball aussagt, wenn zwischen Wahlrecht und der ersten Cheftrainerin im Männer-Profifußball 106 Jahre liegen.

Es gibt mehrere Gründe, warum Sabrina Wittmann, 32, vergangene Woche beim FC Ingolstadt zur Cheftrainerin ernannt wurde. Einer davon ist, dass sie beim Drittligisten per se recht klischeefrei Jobs besetzen. Es gibt zum Beispiel eine Pressesprecherin, und in Nicole Kalemba eine ehemalige Fußballerin, die bei den Schanzern eine Weile als Leiterin der Kommunikationsabteilung fungierte. Wenn es nach Fröde geht, dann ist es schon jetzt normal geworden, dass Wittmann das Training leitet. "Sie hat diese Chance sicher nicht geschenkt bekommen. Und wir haben schnell gemerkt, dass sie eine gute Trainerin ist", sagte der 29-Jährige.

Wittmanns Premiere an der Seitenlinie zeigte, dass sie zwar noch keine Erfahrung im Profifußball hat. Aber erstens kann gerade das bisweilen erfrischend sein. Wittmann analysierte das Spiel im perfekten Fachchinesisch ("Wir hatten zwei Box-Momente, in denen wir Glück hatten"), aber pointiert und ohne Floskeln. Auf die Frage, was der Schiedsrichter ihr in einer Unterbrechung (37.) denn zu sagen hatte, gestand Wittmann: "Ich kann mich ehrlich gesagt nicht erinnern." Nervosität zuzugeben, das ist so eine Sache im Profifußball. Es ist womöglich für viele noch ein Zeichen für Schwäche.

"Sabrina hat tolle Qualitäten, ob sie ein Mann oder eine Frau ist, ist egal", sagt Joker-Torschütze Groenning

Zweitens hat sie sehr wohl gezeigt, dass sie ein Spiel leiten kann. Zu Beginn der Partie, als das Team ihren Plan gut umsetzte, stand Wittmann nur ruhig da. Als es nicht so gut lief, rief sie den Spielern viel zu. Mannheims Trainer Marco Antwerpen lobte später, wie Ingolstadt mit Spielverlagerungen Mannheims Abwehr auseinandergezogen hat, nachdem die Gäste nach einer Notbremse von Malte Karbstein (75.) nur noch zu zehnt spielten. Der späte, etwas glückliche Ausgleich in der fünften Minute der Nachspielzeit war verdient.

"Wir leben in einer modernen Welt", sagte der eingewechselte Joker-Torschütze Sebastian Groenning, "ich schaue nicht auf das Geschlecht. Sabrina hat tolle Qualitäten, ob sie ein Mann oder eine Frau ist, ist egal." Dass ihr bisweilen die Stimme versagte, wenn sie einem ballfernen Spieler etwas mitteilen wollte, war da noch das größte Problem. Vielleicht wird sie auch bald keine Stoppuhr am Handgelenk mehr brauchen, wenn sich die langjährige U19-Trainerin an die digitale Anzeigetafel einer Arena gewöhnt hat.

Egal, wen man fragt in der Branche - leitende Angestellte in Ingolstadt, Wegbegleiter, Spielerberater -, jeder ist von der fachlichen Kompetenz Wittmanns überzeugt. Niemand trägt Sorge, dass sie das nicht draufhaben könnte. Was fehlt, ist die Lizenz, um dauerhaft im Männer-Profibereich arbeiten zu dürfen. Dort, sagte sie kürzlich, wolle sie übrigens auch erst einmal bleiben.

"Der Adrenalinschuss war erst mal ein anderer", gibt Wittmann nach dem ersten Profispiel zu

Es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass Wittmann am 2. Mai offiziell als Interimslösung vorgestellt wurde. Die Drittliga-Saison endet am 18. Mai, und ein Übergangstrainer darf maximal 15 Werktage lang verantwortlich sein. Das gilt für Frauen natürlich auch. Die Woche danach, in der die Vorbereitung für das Toto-Pokalfinale am 25. Mai ansteht, ist für den DFB nicht relevant. Mit diesem Schritt will der FC Ingolstadt die Chancen seiner Mitarbeiterin erhöhen, im kommenden Herbst in den nächsten Lehrgang zur Pro-Lizenz aufgenommen zu werden.

Nach dem Spiel gegen Mannheim war in den Kabinengang-Gesprächen herauszuhören, dass man sich bei den Schanzern benachteiligt fühlte wegen der Causa Unterberger: Marc Unterberger, der Cheftrainer des Ligakonkurrenten SpVgg Unterhaching, durfte dank einer neuen, kurzfristig veröffentlichen Ausnahmeregelung am jüngsten Pro-Lizenz-Lehrgang teilnehmen. Ingolstadts Sportdirektor Ivica Grlic betonte nach Wittmanns Premiere - bei der in besagter 37. Minute vor allem er vom Schiedsrichter ermahnt worden war, nicht die Trainerin -, dass man im Moment nicht einmal ausschließen wolle, Wittmann in der kommenden Saison gleich weiterzubeschäftigen. Wohl wissend, dass dabei Strafzahlungen im sechsstelligen Bereich fällig wären, die auch Unterhaching in dieser Saison hatte leisten müssen. FCI-Geschäftsführer Dietmar Beiersdorfer deutete in einem Interview bei Magentasport an, dass es für Wittmann ja auch als Co-Trainerin weitergehen könnte.

"Der Adrenalinschuss war erst mal ein anderer", gab Wittmann nach dem ersten Profispiel zu. Wenn das Adrenalin zu diesem Thema verflogen ist, muss sich mittelfristig zeigen, wie schnell sich tatsächlich eine gewisse Normalität einstellt. Und inwieweit auch andere Vereine keinen Nachteil erkennen, jemanden wie Wittmann zu engagieren. Gar nicht unbedingt, weil sie eine Frau ist, sondern primär wegen ihres jungen Alters.

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