DFB-Elf besiegt Österreich:Selbst in große Schwierigkeiten gebracht

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In einer turbulenten Schlussphase rettet Deutschland den 2:1-Auswärtssieg gegen Österreich, das Spiel der DFB-Elf ist jedoch abermals wenig überzeugend. Statt Pressing bietet die deutsche Elf vor allem individuelle Fehler - wirklich einordnen kann den Auftritt anschließend niemand.

Jürgen Schmieder, Wien

Schuld war, das muss in dieser Deutlichkeit auch mal gesagt werden, ganz allein Marko Arnautovic. Es war die 87. Minute im WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland, als der österreichische Angreifer die Gelegenheit hatte, den Ball aus wenigen Metern ins Tor zu schubsen. Es wäre das verdiente 2:2 gewesen in dieser Partie, die man dann aus deutscher Sicht als recht missraten hätte bezeichnen können. Arnautovic jedoch schickte das Spielgerät auf eine formschöne Flugkurve am Tor vorbei, Deutschland siegte mit 2:1.

Schweres Stück Arbeit in Wien: Thomas Müller (links) und Philipp Lahm. (Foto: dapd)

Es fiel den beteiligten Personen schwer, dieses Spiel zu verstehen, es zu erklären und einzuordnen - und so ergaben sich ganz unterschiedliche Sichtweisen darauf, was sich in den 90 Minuten auf dem Spielfeld im Ernst-Happel-Stadion in Wien zugetragen hatte.

Die Fakten waren klar: Marco Reus und Mesut Özil per Elfmeter hatten die Deutschen in Führung gebracht, Zlatko Junuzovic den Anschluss erzielt und Arnautovic - wie viele andere Österreicher zuvor - den Ausgleich vergeben. Österreichs Trainer Marcel Koller etwa wollte bei der deutschen Elf etwas gesehen haben, dem er das Prädikat "Weltklasse" verleihen konnte - und er konnte das auch prima begründen: "Wenn man diesen einen Moment, in dem der Gegner Fehler macht oder kurz nicht die Spannung hat, ausnützen kann, dann ist das zwar ein kleiner Unterschied, aber ein deutlicher." Koller meinte den ersten Gegentreffer, bei dem die Österreicher den Ball verloren hatten und Miroslav Klose schnell auf den zuvor recht unsichtbaren Reus legte und der nach kurzem Dribbling in die kurze Ecke schoss.

Ansonsten lobte Koller das Pressing seiner Mannschaft, die zahlreichen schön herausgespielten Gelegenheiten ("allein fünf oder sechs in der ersten Halbzeit"), er kritisierte zu Recht, dass die Schiedsrichter vor dem berechtigten Elfmeter eine Abseitsposition übersehen hätten, er sprach auch kurz über die Chance von Arnautovic ("vielleicht ist der Ball gehüpft, vielleicht kam er ein bisschen zu spät") - und dann sagte er: "Es war so, wie es in den letzten Jahren immer gegen Deutschland war: Österreich macht eine gute Partie, erspielt sich zahlreiche Chancen. Aber am Ende gewinnen die Deutschen."

So wollten die Deutschen aber eigentlich nicht gewinnen, schon gar nicht unter Bundestrainer Joachim Löw. Sie wollten nicht einsehen, dass diese Österreicher ihnen nicht auf Augenhöhe begegnet waren, sondern meist knapp darüber. So sprachen alle erst einmal davon, wie glücklich sie über den Sieg seien. "Wir haben sechs Punkte aus zwei Spielen. Das ist ein sehr guter Start", erklärte Kapitän Philipp Lahm.

Dann erklärten sie, das Spiel bis auf die ersten und letzten 25 Minuten doch ganz gut im Griff gehabt zu haben. Weshalb einige den Rechenschieber auspackten und feststellten, dass die deutsche Elf also mindestens 50 von 90 Minuten nicht im Griff hatte. Dann verwiesen die deutschen Spieler darauf, dass die zahlreichen Gelegenheiten für die österreichische Elf vor allem auf Häufung aus individuellen Fehlern zurückzuführen seien, die es künftig abzustellen gelte.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Verwirrte, Fehlerteufel und Eckfahnen-Imitatoren

Philipp Lahm verunglückt ein Rückpass auf Manuel Neuer, Mats Hummels zwingt Abwehrkollege Holger Badstuber zu einer Traumgrätsche, und Thomas Müller gelingen trotz Abschlussschwäche immerhin altbewährte Tricks. Die DFB-Elf beim 2:1 gegen Österreich in der Einzelkritik.

Boris Herrmann und Christof Kneer

An dieser Stelle wollte der neutrale Beobachter gerne einhaken und eine fußballerische Henne-Ei-Konstellation einführen: Was war denn zuerst da? Der individuelle Fehler oder das kollektive Konfuse? Sind die teils grotesken Fehler von Manuel Neuer, Mats Hummels, Philipp Lahm, Marcel Schmelzer und Holger Badstuber damit zu begründen, dass da eben ein Einzelner einen Moment lang unkonzentriert oder untalentiert war - oder steckte doch mehr dahinter?

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Spielte Lahm seinen schlimmen Fehlpass in der zweiten Halbzeit nicht vielmehr deshalb, weil er keinen Mitspieler hatte und verzweifelt Richtung Neuer spielen musste? War es bei Hummels fatalem Fehler nicht ähnlich? Musste Badstuber das Spielgerät nicht oftmals deshalb ins Aus prügeln, weil sich keiner zum Kurzpass anbot? Musste Neuer den Ball nicht stets nach vorne wuchten, weil die Mitspieler nicht mit dem Pressing der Österreicher zurechtkamen? Und musste Schmelzer nicht irgendwann Stellungsfehler machen, weil ihm nun wirklich gar niemand half?

In Wirklichkeit nämlich hat Österreich das getan, was die deutsche Elf tun wollte, und so gesehen haben die Österreicher die deutschen EM-Fehler korrigiert. Sie haben mutig und konsequent gepresst, sie haben den Gegner zu Fehlern und langen Bällen gezwungen - der produktivste Zuspieler von Miroslav Klose war Manuel Neuer - und haben sich zahlreiche Gelegenheiten erspielt. Die Dortmunder Hummels, Reus, Schmelzer und Götze durften so mal erleben, wie schrecklich es ist, gegen Dortmund zu spielen.

Für Fragen dieser Art gibt es Joachim Löw, der gewöhnlich recht souverän damit umgeht und der grundsätzlich bereitwillig die Nuancen und Feinheiten einer Partie erklärt. Doch nach dem Scheitern bei der EM und der Niederlage gegen Argentinien wirkt der Bundestrainer nicht mehr ganz so souverän - auch er schien nach dem Zugang zu diesem Sieg zu suchen, den er immerhin als "glücklich" bezeichnete.

Verweis auf individuelle Mängel

Das Pressing der Österreicher habe man durchaus erwartet, "die Österreicher haben das auch in den Spielen zuvor gemacht", sagte Löw - doch er sagte nicht, warum seine Elf arg überrascht wirkte und eigentlich über die gesamte Spieldauer Probleme damit hatte: "Wir haben nicht so gut von hinten rausgespielt, auch weil Mats Hummels und Holger Badstuber einige Abspielfehler gemacht haben, dadurch waren wir verunsichert." Also wieder der Verweis auf individuelle Mängel.

Das Pressing seiner Elf, von dem Löw quasi die komplette Woche gesprochen hatte, sei dagegen noch nicht komplett ausgereift: "Wir wollten uns selbst ein wenig Raum lassen nach vorne, deshalb wollten wir nur situationsbedingt pressen. Eine Woche reicht natürlich nicht, um Pressing zu beherrschen." Auf dem Platz hatte es den Anschein, als hätten die Spieler eine unterschiedliche Vorstellung davon, was dieses Pressing sein soll. "Da müssen wir noch einige Monate arbeiten." Die Österreicher haben es dagegen offenbar innerhalb weniger Tage geschafft, produktives Pressing zu üben.

Löw war sich selbst nicht sicher, was er vom Auftritt seiner Mannschaft nach dem 2:0 halten sollte. Einerseits nämlich sagte Löw: "Wir hätten natürlich nach dem 2:0 das Spiel ganz anders kontrollieren und dominieren müssen - wir haben uns selbst durch viele Ballverluste in Schwierigkeiten gebracht." Er sagte aber auch: "Wir hätten eigentlich das 3:0 oder 4:0 erzielen müssen in manchen Situationen." So gab es also unterschiedliche Interpretationen dieser Partie, die nun wirklich nicht einfach zu beurteilen ist. Vielleicht hilft deshalb der ganz pragmatische Ansatz, den Marcel Koller wählte. Deutschland habe gewonnen und nun sechs Punkte auf dem Konto: "Wir haben verloren und stehen mit null Punkten da." Und Arnautovic ist an allem schuld.

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