Deutschland bei der Fußball-EM:DFB-Elf verzagt gegen Polen: "Weil die mit 50 Mann hinten waren"

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  • Das 0:0 der deutschen Nationalelf gegen Polen wirkt ernüchternd: Die Enttäuschung über die Offensiv-Leistung ist groß.
  • Bei der Fußball-EM müssen die Deutschen erkennen, dass sie vorne zu wenig Wucht entwickeln.
  • Gegen Nordirland muss Joachim Löw reagieren.

Von Thomas Hummel, Saint-Denis

Je später der Abend wurde, an desto mehr Polen erinnerte sich Mesut Özil. "Die standen ja mit 20 Mann hinten, da ist es normal, dass du deine Schwierigkeiten hast." Das sagte er etwa eine Stunde nach Spielende, zehn Minuten später legte er nach. Warum die deutsche Mannschaft so wenige Torchancen hatte? "Weil die mit 50 Mann hinten waren." Bis zum Mannschaftbus mochten es noch ein paar Hundert mehr geworden sein, an Özils Traum in dieser Pariser Nacht gar nicht zu denken. Überall Polen.

Egal, wie viele es am Ende waren, diese polnische Mannschaft hat den deutschen Weltmeistern wie schon in der Qualifikation das fröhliche Fußballerleben vergrämt. Özil und seine samtfüßenen Kollegen Julian Draxler, Thomas Müller und Mario Götze hatten sich das so schön ausgemalt, sie wollten den Ball so häufig hin- und herspielen, bis irgendwo der Weg frei sein würde Richtung Tor. Doch am Ende stand es 0:0, und Bundestrainer Joachim Löw erklärte: "Wir müssen heute mit dem Punkt auch mal zufrieden sein."

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Was sollte er auch sagen, akribische Statistiker hätten ja behaupten können, es wäre ausschließlich sein Fehler gewesen, dass die deutsche Mannschaft keine Treffer erzielte. Wer beide Torschützen gegen die Ukraine vor vier Tagen auf die Bank setzt, braucht sich nicht zu wundern. Shkodran Mustafi musste dem genesenen Mats Hummels weichen, und für Bastian Schweinsteiger reichte es im Stade de France nicht einmal für die Nachspielzeit. Doch mit diesem Scherz hätte man wohl keinem Deutschen ein Lächeln entlocken können. Die Enttäuschung über Schwierigkeiten im eigenen Angriffsspiel war dann doch groß. Die Kritik daran bisweilen hart.

Jérôme Boateng fing damit gleich am Spielfeldrand an. "Wir haben kein Eins-gegen-eins-Duell gewonnen vorne, zu wenig Bewegung. Wir können froh sein, dass wir 0:0 gespielt haben." Die Generalkritik in Richtung Offensive ging weiter: "Wir müssen mal zum Abschluss kommen, wir spielen bis zum letzten Drittel sehr gut, spielen die Lücken frei, aber dann kommen wir nicht am Gegner vorbei, werden nicht gefährlich. Das müssen wir verbessern, sonst kommen wir nicht weit."

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Özil reagierte auf diese Rüge leicht pikiert. Das sei Boatengs Meinung. Inhaltlich allerdings stimmte er zu. "Wir haben heute die Wege nicht gefunden, sie zu schlagen." Auch Götze und Müller waren von Boateng nicht weit entfernt. Götze erklärte, die Mannschaft habe es nicht geschafft, die Tiefe des Raumes hinter der polnischen Abwehr zu besprinten. Merkte allerdings an, dass es da kaum eine Tiefe gab, weil dort ja schon die Polen standen. Während Müller darauf hinwies, dass angesichts der gegnerischen Konterstärke wohl das letzte Risiko im Angriff gefehlt habe. Doch dem Oberbayern war anzumerken, wie irritiert er angesichts der Tatsache war, mit der Unterstützung der Mitspieler in zwei Spielen nicht eine Torchance selbst gehabt zu haben. "Daran haben wir zu knabbern."

Schon gegen die Ukraine waren klare Möglichkeiten eine Seltenheit geblieben, das Tor von Mustafi entsprang einem Freistoß. Doch auch die Standardsituationen funktionierten nicht, die Polen wirkten hier unantastbar. Torwart Manuel Neuer fand das "ein bisschen traurig", schließlich würde sich die Mannschaft vor einem Spiel stets ein paar Varianten überlegen. Aber nichts half, stets köpften die Polen den Ball aus dem Strafraum.

Und so blieben ein Schuss von Toni Kroos vor der Pause und ein Versuch Özils danach die schönsten Möglichkeiten. "Wir haben ganz vorne das Tempo eher rausgenommen statt erhöht", klagte Löw. Auch als später André Schürrle und Mario Gomez kamen, brachte dies keine Verbesserung.

Spielern wie Götze, Özil, Draxler oder Schürrle fehlte es gegen die bissigen und körperlich starken Polen an Dynamik und Muskelkraft, um sich einmal entscheidend durchzusetzen. Auch Müller wirkte seltsam leichtgewichtig. Bleibt der breitschultrige Gomez, der allerdings selten als Einwechselspieler reüssiert. Er ist der einzige Spieler in Löws Kader mit der Fähigkeit, Wucht und Kraft in die deutschen Angriffe zu bringen. Gegen die ebenfalls defensivstarken Nordiren wäre es wenig überraschend, würde er zum ersten Mal von Beginn an spielen. Schließlich muss ein Sieg her, um das Ziel Gruppensieg zu schaffen, und dazu muss die Mannschaft Tore erzielen.

Alle arbeiten nach hinten

Bleibt immerhin die Entschuldigung, dass auch alle Offensivspieler mächtig mit nach hinten geholfen haben. Das war gegen starke Polen auch nötig, denn mit Robert Lewandowski und Arkadiusz Milik haben sie normalerweise keine Probleme mit dem Toreschießen. Doch so hatten auch sie kaum Möglichkeiten, Boateng musste einmal im letzten Moment gegen Robert Lewandowski klären. Und Arkadiusz Milik verdaddelte die größte Chance des Spiels. Einmal lenkte er den Ball drei Meter vor dem Tor mit der Nase um den Pfosten, statt den Kopf hinzuhalten. Einmal trat er in die kühle Luft von Saint-Denis statt gegen den Ball.

Löw tröstete sich damit, dass praktisch alle Favoriten bei dieser EM gegen die massiven Abwehrreihen der Außenseiter große Probleme haben. Und auch wenn es diesmal nicht geklappt hat, sein Spieler Mario Götze weiß immerhin, um was es geht: "Ich erwarte von mir natürlich, dass ich ein Tor erziele, wenn ich da vorne drin spiele."

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