Fußball-EM:Der Fluch des zweiten Spiels könnte hilfreich sein

Lesezeit: 2 min

0:0 gegen Polen: Für die deutsche Nationalelf muss es diesmal nichts Schlechtes bedeuten, wenn sie nicht Gruppenerster wird.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Die Nacht vor dem zweiten Turnierspiel hatten Löws Eleven in einem Hotel in Paris verbracht, aber was hatte dort bloß als Lektüre auf dem Beistelltisch neben dem Bett gelegen? Das Buch vom Sandmann? Oder doch etwas, das konkret aufs spielende Personal zugeschnitten war, zum Beispiel ein Historienbuch aus der DFB-Geschichte?

Es ist zwar nicht bekannt, dass derzeit ein Bildband mit dem sperrigen Titel "Das gefürchtete zweite Spiel deutscher Fußball-Nationalteams bei internationalen Turnieren" in Umlauf ist, aber es wird Zeit dafür. Es dürfte zwar kein Bestseller werden, eher etwas für Liebhaber einschläfernder Schauer-Geschichten -, aber dafür nimmt die Zahl der zu erzählenden Kapitel ständig zu. Dieses dröge Buch über den Fluch, der auf Spiel 2 lastet, wird immer dicker.

Fußball-EM
:DFB-Elf leistet sich das erste 0:0

2:2? 3:3? 4:4? Nein, ausgerechnet Deutschland und Polen, die beiden torgefährlichsten Teams, treffen das Tor nicht. Der DFB-Elf fehlt die Präzision, Polen hat die besseren Chancen.

Von Claudio Catuogno

Alle grübeln bereits: Was bedeutet ein Sieg? Was eine Niederlage?

War Spiel 1, das 2:0 gegen die Ukraine, schon vor der Pause reich an spektakulären Bildern, so ist aus Spiel 2, zumindest vor der Pause, außer den üblichen Zweikämpfen nichts erinnernswert. Hinten keine einzige Neuer-Parade, vorne kein einziger Torschuss. Kurzum: Schlafwagenfußball, Sicherheitsdenken, das große Gähnen. Natürlich änderte sich das nach der Pause, es konnte ja auch nicht so weitergehen, nur wurde der Eindruck bestätigt, dass es sich in Spiel 2 nahezu nie um ein Element der Unterhaltungsindustrie, sondern eher um einen Mathematik-Grundkurs auf dem Rasen handelt.

Alle grübeln bereits, alle rechnen. Was bedeutet ein Sieg? Was eine Niederlage? Nur nicht verlieren . . . -, und so tändelte das Geschehen im Schongang bis zum erlösenden Abpfiff der ersten Nullnummer der EM entgegen. Positiv gesehen ist das 0:0 als Traditionspflege zu werten: Wie gesagt, von den acht zweiten Turnierspielen seit dem Jahr 2000 wurden nur jene bei der WM 2006 (1:0 gegen Polen) und der EM 2012 (2:1 gegen die Niederlande) gewonnen.

Auch wenn dieses Rätsel um den chronischen Lethargie-Anfall in Spiel 2 eine Psychoanalyse wert wäre, muss der Weltmeister (Spiel 2 bei der WM 2014 war ein 2:2 gegen Ghana) nicht gleich auf die Couch. Meist löst sich spätestens in Spiel drei der Knoten, aber vielleicht verbirgt sich hinter der höheren Mathematik ja auch ein höherer Plan. Wer sagt denn, dass die DFB-Elf mit aller Macht Gruppenerster werden muss? Wer Erster wird, läuft Gefahr, bereits im Viertelfinale auf Italiens famos gestartete Senioren-Combo zu treffen. Da mag man ruhig generös wie galant den Polen den Vortritt lassen. Vermutlich denken sie ebenso.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: