Deutscher Auftaktsieg gegen Portugal:Stoisch ins Turnier gewerkelt

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Kein Hochgenuss an Fußball, aber ein wichtiger Sieg zum Start: Die deutsche Elf arbeitet sich gegen starke Portugiesen zum 1:0-Erfolg, der gute Chancen auf den Gruppensieg ermöglicht. Es zahlt sich aus, dass Joachim Löws Team an seinem Plan festhält, nicht nur blind nach vorne zu rennen - hinten überragen zwei Spieler, die viele nicht unbedingt auf der Rechnung hatten.

Thomas Hummel

Der Abwehrspieler Pepe von Real Madrid verfügt über Gesichtszüge, die es ihm schwer machen, nicht grimmig dreinzublicken. Er darf durchaus als Sinnbild des grimmigen Verteidigers bezeichnet werden. Als dieser Pepe kurz nach Mitternacht ukrainischer Zeit auf der Empore des herausgeputzten Pressesaals in der neuen "Arena Lemberg" saß und das 0:1 seiner Portugiesen gegen Deutschland erklären sollte, verschränkte er die Arme und blickte in die Runde, als wollte er zu einem fulminanten Tackling ausholen. 0:1? Verloren? Auf keinen Fall!

Deutsche Elf in der Einzelkritik
:Manuel Neuer, Retter einer ganzen Nation

Der deutsche Torwart lässt sich auch von einem fiesen Zusammenprall nicht schrecken, Mats Hummels widerlegt alle Kritiker und Mario Gomez trifft genau in dem Moment, als die deutschen Zuschauer die Einwechslung von Miroslav Klose fordern. Die DFB-Elf beim 1:0 zum EM-Auftakt gegen Portugal in der Einzelkritik.

Thomas Hummel

"Im Fußball gewinnt nicht immer das bessere Team. Heute waren wir ein sehr gutes Team", sagte Pepe, und: "Wir können uns heute fast wie der Sieger fühlen." Sein Trainer Paulo Bento sah es ähnlich. Seine Elf habe großes Pech gehabt, Mario Gomez großes Glück, weil die Flanke zum Tor direkt auf seinen Kopf abgefälscht worden sei. "Man kann auf Sieg spielen, und trotzdem verlieren. So ist das."

Die Portugiesen taten sich merklich schwer, die Niederlage in ihrem ersten Spiel bei dieser Europameisterschaft als solche zu begreifen. Sie wollten einfach nicht wahrhaben, dass sie aus diesen insgesamt 96 Minuten herauskamen als ein ernster Kandidat, demnächst das Turnier zu verlassen. Was bei neutraler Betrachtung durchaus nachvollziehbar ist. Portugal konnte auf ein paar mächtige Chancen verweisen. Pepe scheiterte kurz vor der Pause an Latte und Torlinie.

Als die Mannschaft nach dem 0:1 frei nach vorne spielte, musste der deutsche Torwart Manuel Neuer gegen Cristiano Ronaldo und vor allem gegen Silvestre Varela retten. Als letztes traf Nani statt des Kreuzecks den Rücken von Holger Badstuber. Die Portugiesen hatten eine Partie voller taktischer Reife, Laufbereitschaft, Zweikampfstärke und Konzentration gezeigt. Das Dumme war nur, dass der Gegner auch eine Partie voller taktischer Reife, Laufbereitschaft, Zweikampfstärke und Konzentration gezeigt hatte. Aber eben diese eine Chance nutzte. Das Spiel ließ die Verlierer ratlos zurück.

"Das ist erst mal eine Befreiung"

Umso mehr freuten sich die Sieger. "Das ist erst mal eine Befreiung", urteilte Teammanager Oliver Bierhoff, Kapitän Philipp Lahm erklärte, die Mannschaft komme mit einem sehr guten Gefühl aus dem Spiel. Klar, es war die Mannschaft, die für ihren riesigen Einsatz, ihr ewig diszipliniertes Zurückrennen nach Ballverlusten, ihr stoisches Festhalten am Konzept mit Jubel und drei Punkten honoriert wurde. Die Deutschen flogen gegen 2 Uhr von Lemberg zurück in ihr Quartier bei Danzig und schlummerten auf den Business Seats mit dem Gefühl ein, dass es sich lohnt, auf dem Rasen bis zum Umfallen zu rackern.

Deutschland hatte eine schwere Aufgabe gelöst. Die Portugiesen warteten nur auf einen Fehler, um ihre raketenschnellen Angreifer in die Konter zu schicken. "Man will in so einem Spiel keinen wichtigen Schnitzer machen. Weil man natürlich weiß: Da lauern Ronaldo, Nani, ein Pass, ein Tor", erklärte Bundestrainer Joachim Löw. Deshalb habe die Mannschaft den sicheren Spielaufbau bevorzugt, statt mit Risikopässen in die Offensive zu glänzen. Auch in der Halbzeit habe er seine Spieler daran erinnert, die Stabilität in der Defensive zu erhalten.

Presse zum Spiel Deutschland gegen Portugal
:"Das roch nach Schweiß"

"Gerumpelt wie früher", und am Ende ein "schmutziger Sieg": In der deutschen Presse überwiegen trotz des Sieges kritische Stimmen. Portugiesische Zeitungen lamentieren über eine "ungerechte Niederlage".

zum Auftaktsieg Deutschlands über Portugal.

"Müller, Özil, Podolski, Gomez haben vorne viel gestört - das wollten wir beibehalten. Das hatte Priorität." Das viele Stabilisieren kostete eine Menge Kraft, Bierhoff berichtete aus der Kabine, dass alle Spieler "platt und kaputt" auf ihren Bänken gesessen seien. Neben dem unangenehmen Gegner hatte die stickige Luft in der Westukraine einigen Profis mächtig zugesetzt. "Das war heute eines meiner schwierigsten Spiele. Ich fand es extrem schwül und hab mich sehr schwer getan", gab Philipp Lahm zu. Er bestätigte damit den sichtbaren Eindruck aus der Partie, einen so desorientierten Lahm bekommt man selten zu sehen.

Auch Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski wirkten nicht auf der Höhe ihrer Schaffenskraft. Doch die fügten sich zumindest ein in den Plan der Mannschaft. Und einige andere glichen ihre Schwächen mehr als aus. Vor allem Lahms Abwehrkollegen Holger Badstuber, Mats Hummels und Jérome Boateng zeigten nicht eine Sekunde der Schwäche oder Unkonzentriertheit, davor werkelte Sami Khedira im defensiven Mittelfeld unermüdlich nach vorne, nach hinten und zu allen Seiten.

Aus diesem Block heraus bildete sich immer wieder ein Übergewicht der Deutschen, das vorne von Mesut Özil und Thomas Müller noch am wirkungsvollsten verlängert wurde. Stoisch und unbeirrbar zogen die Deutschen ihr Passspiel durch, rannten geduldig gegen das portugiesische Bollwerk mit drei Abfangjägern vor der Abwehr-Viererkette an.

Und ja, nach 71 Minuten fiel Mario Gomez der Ball auf den Kopf. Völlig überraschend kam der Münchner für Miroslav Klose in die Startelf und zeigte dann ein für ihn typisches Spiel. Köpfte nach 80 Sekunden aufs Tor, half der Mannschaft eifrig in der Defensive, offenbarte aber seine technischen Schwächen gegen eine dicht stehende Abwehr und hatte mit Pepe und Bruno Alves zwei kriegerisch physische Gegenspieler.

"Er hat so lange gebraucht"

Seine Kritiker schimpften ihr übliches Stolper-Gomez-Lied, die deutschen Anhänger forderten Miroslav Klose, der dann auch fertig umgezogen an der Seitenlinie stand. Allein eine Schludrigkeit des vierten Schiedsrichters verzögerte den Wechsel. "Ich muss mit dem vierten Mann noch mal hart ins Gericht gehen, wir wollten eigentlich schon zwei Minuten früher wechseln, aber er hat so lange gebraucht, bis er das angezeigt hat", erklärte Löw später grinsend.

Deutschlands oberster Fußballlehrer konnte zufrieden grinsen, denn in diesem Moment köpfte Gomez die abgefälschte Khedira-Flanke ein. "Das war nicht mehr schwer", erklärte er auf seine typisch zurückhaltende Art. Seine Kritiker mussten nun zähneknirschend zugeben, dass Gomez im Gegensatz zu all den portugiesischen Fehlschützen den Ball im Tor unterbrachte.

Was an diesem Lemberger Abend die wichtigste Tat blieb. Denn obwohl es für den Gegner schwer zu akzeptieren war, blieb am Ende die Feststellung von Joachim Löw stehen: "Entscheidend ist, in solchen Spielen zu siegen."

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