Sportfilme beim DOK.fest München:Im Schwalbennest am Fels

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Auf dem Gipfel: Die Herausforderungen für die sechs Bergsteigerinnen im alpinen Hochleistungssport zwischen Geröll, Eis und Fels sind unendlich. (Foto: Laura Tiefenthaler)

Sechs Frauen im Expeditionskader des Deutschen Alpenvereins trainieren für ein Grönland-Abenteuer. Der Film "Disco Fox" von Carmen Kirchweger zeigt, warum es beim Klettern darauf ankommt, nicht nur die Schwerkraft zu überwinden.

Von Barbara Klimke

Notfallmedizin stand im Sommer auf dem Lehrplan. Auf einer Wiese im Allgäu, zwischen Löwenzahn und Gänseblümchen sitzend, lernten sechs junge Alpinistinnen, wie man ein Bein abbindet - mit einer Rettungsfolie, die um den Schenkel geschlungen wird, und einem Karabiner, falls sich auf die Schnelle nichts anderes finden lässt. Improvisation ist unerlässlich bei einer Expedition. Das gilt im besonderen Maße für eine Reise ins Ungewisse, in den Osten Grönlands, wo bereits der Weg zum Basislager mit Gepäck auf dem Rücken viereinhalb Stunden dauern wird. Ein harter Marsch, teilweise durch eiskalte Bäche.

Und das ist nur die horizontale Strecke. Denn von da an geht es vertikal weiter: Mehrere hundert Meter ragen die Granitfelsen auf, zu denen die sechs Kletterinnen eine Route finden wollen. Zackige, scharfe Gipfel sind das, die an die Zähne im Unterkiefer eines Fuchses erinnern und dem Gebiet, dem Fox Jaw Cirque, sowie letztlich auch dem Film "Disco Fox" von Carmen Kirchweger den Namen gaben.

Die österreichische Regisseurin hat die Athletinnen des Frauenexpeditionskaders im Deutschen Alpenverein begleitet. Sie folgte ihnen nicht nur beim Abschlussabenteuer in die Wildnis am Tasiilaq-Fjord, sondern dokumentierte auch die dreijährige Ausbildungszeit in den Bergen, denn die Herausforderungen im alpinen Hochleistungssport zwischen Geröll, Eis und Fels sind unendlich, wie die junge Kaderathletin Amelie Kühne sagt: "Jeden Tag probiert man, ein neues Problem zu lösen."

Oben die Sterne und unten der Abgrund: Das Schlafen im Potraledge an Felswänden ist ein Abenteuer für sich. (Foto: Silvan Metz)

So war die Kamera dabei, als Amelie Kühne und ihre Teamkolleginnen Luisa Deubzer, Lea Luithle, Caro Neukam, Janina Reichstein und Rosa Windelband mit der Trainerin Dörte Pietron im Rahmen eines Lehrgangs in der Schweiz das Rissklettern im Granit übten: an einem Monolith, dem Petit Clocher du Portalet, der sich wie ein gigantischer, glatter Schiffsrumpf in die Landschaft schiebt. Hand um Hand, Armlänge um Armlänge arbeiteten sich die Athletinnen in der Steilwand nach oben auf Routen, die so angemessene Namen tragen wie "État de Choc" , Schockzustand; ein Zustand übrigens, den beim Betrachten fast schon die spektakulären Drohnenaufnahmen der Kletterei auslösen könnten.

Risikomanagement am Berg heißt: auch mal umkehren können

Aber Gruselgefühle waren auch den sechs Alpinistinnen nicht fremd, und die nachdenklichen Gespräche über den Umgang mit Gefahr und Angst gehören zu den eindrücklichsten Momenten im Film. Was Carmen Kirchwegers Langzeitdokumentation einfühlsam zeigt, ist der Umstand, dass dieser Expeditionskader nicht nur die Schwerkraft bei der Kletterei überwand, sondern auch die Furcht vor dem Ungewissen - sowie womöglich das eine oder andere Vorurteil.

"In der ganzen Bergsteigerliteratur gibt es dieses Heldennarrativ", sagt Luisa Deubzer, die früher auch Wettkampfkletterin war: "Entweder gibt es diese Leute, die mutig sind und bewundernswerte Sachen machen, oder es gibt die, die Angst haben. Aber so ist es absolut nicht." Entscheidend sei vielmehr, sich der Gefahren bewusst zu sein - und gegebenenfalls auch mal den Rückzug anzutreten. Für den Deutschen Alpenverein (DAV), so erläutert Philipp Abels, der Sportliche Leiter der Leistungssport-GmbH des Verbands, ist es ein wichtiger Teil der Ausbildung, den jungen Kaderathleten und -athletinnen ein "professionelles Risikomanagement" an die Hand geben.

"Jeden Tag probiert man, ein neues Problem zu lösen": Die jungen Alpinistinnen ruhen sich aus - in der Vertikalen. (Foto: Dörte Pietron)

Einen reinen Frauenexpeditionskader für Bergsteigerinnen, die in der Lage sind, Erstbegehungen und Erstbesteigungen zu meistern, gibt es im DAV allerdings erst seit 2011. Ins Leben gerufen hatte ihn Dörte Pietron, die als Trainerin auch die nunmehr vierte Gruppe betreute. Pietron, Diplomphysikerin und staatlich geprüfte Bergführerin, war die einzige Frau, die es jemals in den 2000 gegründeten Expeditionskader geschafft hatte, als der noch gemischt, also für Männer und Frauen, ausgeschrieben war. Durch den Frauenkader haben sich seitdem "Niveau und Akzeptanz" gesteigert, hat sie beobachtet: "Es ist cool zu sehen, dass das etwas bewirkt." Rosa Windelband, die schon als Zweijährige in der Sächsischen Schweiz mit der Familie zu klettern begann, sagt über die reinen Frauenseilschaften: "Es fühlt sich so normal an, was man macht; da kann ich noch viel mehr aus mir herausholen." Eine muss ja schließlich immer vorsteigen.

Der Skipper sagt ab - ein neuer Plan muss her

Die sechs Frauen hatten sich schon früh für Grönland und eine Erstbegehung entschieden - und gegen eine Höhenroute, etwa im Himalaya. Entsprechend wurden die Lehrgänge von Dörte Pietron auf Techniken zur Erstbegehung und zum Bigwall-Klettern zugeschnitten, also zur Besteigung von großen Wänden über mehrere Tage. Carmen Kirchweger filmte, wie sich die Alpinistinnen zum Schlafen einrichteten in Portaledges, mobilen Plattformen zum Biwakieren, die wie kleine Schwalbennester in schwindelerregender Höhe am Fels klebten; wie sie schweres Material an der Wand transportierten; wie sie mit Kletterleitern und Bohrmaschine hantierten. Schließlich war noch eine Krisensitzung nötig, weil der Plan scheiterte, per Segelboot nach Grönland zu schippern, um die CO₂-Emissionen zu reduzieren. Der Skipper sagte ab. Ein neues Zielgebiet musste gefunden werden.

Dann brachen sie auf zu den Gipfeln am Fox Jaw Cirque. Begleitet von Trainerin Dörte Pietron, einer Expeditionsmedizinerin und den Kameras. Wie es ausging, verrät der Film. Nur so viel: Ein Noteinsatz mit Rettungsfolie ist glücklicherweise nicht vonnöten gewesen.

DISCO FOX (Deutschland, Frankreich, Grönland, Italien, Österreich, Schweiz 2023, Regie: Carmen Kirchweger, 103 Minuten) Weltpremiere Fr. 3.5., 18 Uhr, Deutsches Theater; So. 5.5., 17 Uhr, Rio1; Sa. 11.5., 15 Uhr, Atelier 1; jeweils OmeU. Online abrufbar zwischen dem 6. und 20. Mai für 5 Euro unter https://www.dokfest-muenchen.de/films/disco-fox

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