Bundestrainer Löw:Wie einst bei Berti Vogts

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Joachim Löw beim Training im Stade de France vor dem Nations-League-Spiel in Frankreich. (Foto: dpa)
  • Sollte das DFB-Team in Frankreich eine ähnlich hohe Niederlage wie in Amsterdam erfahren, könnte die Lage für Bundestrainer Joachim Löw prekär werden.
  • Die Situation, in der er sich Löw jetzt befindet, erinnert in einigen Aspekten frappierend an das Jahr 1998. Seinerzeit versuchte Berti Vogts einerseits, seinen Job als Bundestrainer zu retten, während er andererseits sein eigenes Werk reformierte.
  • Löw hat allerdings im Verband und in der Liga bisher immer noch viel Unterstützung erhalten, auch die Fernseh-Gurus sind noch relativ zahm.

Von Philipp Selldorf, Paris

Eine Weile war es im deutschen Profifußball üblich, die Verwendung des Wortes "Krise" zur Beschreibung eines sportlichen Leistungsstands als obszöne Begriffsverwirrung zu ächten. "Krisen gibt es im Krankenhaus auf der Intensivstation, aber nicht im Fußball", hieß es dann voller Empörung, aber die Karriere des Begriffs ließ sich durch moralische Zurechtweisung nicht aufhalten. In der noch ziemlich jungen Bundesligasaison haben die Experten nahezu flächendeckend Krisen in Fußball-Deutschland ausgerufen, von Hamburg, Hannover und Gelsenkirchen bis Stuttgart, Sandhausen und München. Bloß die Nationalmannschaft ist über dieses Stadium hinweg. Man sieht sie bereits, wie der kicker nach dem 0:3 gegen die Niederlande schrieb, auf dem "Kurs ins Verderben".

Nicht nur die Schlagzeile der Fachzeitung hätte wahrscheinlich anders ausgesehen, wenn Leroy Sané am Samstagabend in Amsterdam seine Riesenchance zum 1:1 genutzt hätte. Auch die Woche des Bundestrainers hätte dann wohl ganz anders begonnen. So aber wurde Joachim Löw von bedrohlichen Prophezeiungen begleitet, als er am Montag mit seiner Mannschaft ins schöne, sonnige Paris aufbrach, um dort am folgenden Tag beim Weltmeister Frankreich das dritte der vier Nations-League-Spiele zu bestreiten.

Noch so eine donnernde Niederlage wie in Amsterdam, und die Lage könnte prekär für Löw werden, und für die Krise der Nationalelf würde dann vielleicht nicht mal das Wort "Verderben" reichen. Womöglich wird sogar irgendeine Koryphäe sagen, dass der deutsche Fußball auf Jahre hinaus schlagbar sein wird.

"Reformfeindlich" hat der kicker den Bundestrainer jetzt genannt, eine solche Bezeichnung wäre vor der WM nicht mal den ärgsten Häretikern in den Sinn gekommen, und ebenso wenig wäre irgendwer auf die Idee gekommen zu behaupten, es mangele der Nationalelf an dem nötigen Personal und der nötigen Klasse für die Zugehörigkeit zur Weltelite. Ist dies wirklich das Jahr 2018?

Berti Vogts lud Neulinge wie Oliver Neuville und Marko Rehmer ein

Die Krise des deutschen Fußballs werde "viel zu radikal" dargestellt, hat nach der WM ein weltbekannter deutscher Nationalspieler gesagt: "Das ist ja das Lustige und Schizophrene am Sport, dass an Banalitäten wie einem Pfostenschuss und einem unglücklichen Gegentor Diskussionen aufgehängt werden, die monatelang laufen." Der DFB habe definitiv kein Nachwuchsproblem, sondern "genug Spieler in der Hinterhand". Diese Sätze stammen von Oliver Kahn, doch er hat sie nicht in seiner Rolle als Fernsehexperte gesprochen, sondern vor 20 Jahren als Nationaltorwart.

Jogi Löw hat mit seinem Bundestrainer-Vorfahren Berti Vogts nicht viel gemein, aber die Situation, in der er sich jetzt befindet, die erinnert in einigen Aspekten frappierend an das Jahr 1998, als Vogts einerseits versuchte, seinen Job als Bundestrainer zu retten, während er andererseits sein eigenes Werk reformierte. Nach der freudlosen WM 1998 in Frankreich (Viertelfinal-Aus mit 0:3 gegen Kroatien) hatte ihm der DFB eine weitere Chance gegeben, Vogts erklärte sich bereit zur Innovation. Er lud Neulinge wie Oliver Neuville und Marko Rehmer ein und reaktivierte Stefan Effenberg sowie Mario Basler, die ihre Dankbarkeit allerdings nur dadurch erwiesen, dass sie sich prompt aufführten wie Max & Moritz. Nach einem 2:1 gegen Malta und einem 1:1 gegen Rumänien erklärte Präsident Egidius Braun, die Neuerungen hätten leider nicht die "von uns allen erhofften Fortschritte gebracht", ein paar Tage später trat Vogts "angesichts des großen öffentlichen Drucks" zurück.

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Hier enden die Parallelen zwischen 1998 und 2018 vorerst. Sicherlich wähnt sich jetzt auch Löw unter starkem Druck, aber verglichen mit Vogts, dem Bundesberti aus Korschenbroich, ist dieser Druck ein Vergnügen. "Wie viele Schläge so ein Trainer bekommt, das ist Wahnsinn", hat Kahn während des letzten Lehrgangs mit Vogts festgestellt, Letzterer bezeichnete sich damals als "Mülleimer der Nation". Löw hat im Verband und in der Liga bisher immer noch viel Unterstützung erhalten, auch die Fernseh-Gurus sind noch relativ zahm, besagter Oliver Kahn inklusive, der im ZDF lediglich freundlich darauf hinwies, "irgendwann" müsse sich Löw überlegen, wie lange er noch "den etablierten, erfahrenen Spielern vertrauen" möchte.

Noch wird Löw nicht mit dem Steckbrief gesucht und angeklagt, weshalb seinerseits auch noch keine Anwandlungen größerer Verbitterung bekannt geworden sind. Aber natürlich wird sein Tonfall reservierter und sein Vorgehen taktischer. Am Wochenende wies er spitz darauf hin, dass dieselben altgedienten Spieler, denen jetzt überall das 0:3 angelastet werde, auch beim allseits für gut befundenen 0:0 gegen Frankreich mitgewirkt hätten. Und schon vor der Partie in Amsterdam hatte er - vorsorglich, wie man meinen konnte - damit begonnen, die Bedeutung der neu geschaffenen Nations League als Gradmesser seines Wiederaufbauprogramms in Zweifel zu ziehen. "Man muss das nicht so hochhängen", hatte er erklärt: "Wichtiger ist die Qualifikation für die EM 2020, die im März beginnt. Und die werden wir schaffen."

Er halte Löw "nach wie vor für einen sensationellen Trainer", hat der Nationalspieler Julian Draxler mitgeteilt, doch "inwiefern da jetzt die Entscheidungsträger beim DFB aktiv werden oder nicht, da habe ich keine Ahnung". Im Moment wissen das die besagten Herren wohl selbst noch nicht. Den Abstieg aus der Elitegruppe der Nations League würden sie Löw womöglich verzeihen. Nach Krise und Intensivstation wie am Samstagabend darf es allerdings nicht mehr aussehen.

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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