Darts-WM:"Das Oktoberfest wäre perfekt für Darts"

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Seit zehn Jahren auf der Bühne im Ally Pally: Tänzerin Sophie-May Lambert aus Portsmouth. (Foto: John Patrick Fletcher/Action Plus/Imago)

Die Chef-Cheerleaderin erzählt von ihrem spontanen Casting, ein Kölner ist die "Falsche Neun" im Ally Pally - und der Zeremonienmeister will die Profis in Münchens Wiesnzelten spielen sehen. Der etwas andere Blick auf die Darts-WM in London.

Von Korbinian Eisenberger, London

Drei Wochen bei der Darts-Weltmeisterschaft im Alexandra Palace durchzuhalten, ist eine Herausforderung. John McDonald sagte sich: "Challenge accepted". Der 63-jährige Londoner kündigt dort seit 17 Jahren sämtliche Spieler an und hat nun eine neue Idee. Sie betrifft die Stadt München - und eventuell auch die Cheerleaderin Sophie-May Lampert, die bei großen Darts-Events kurz nach McDonalds Ansage auftritt. Wenn es nach McDonald geht, ist sie bald als Darts-Vortänzerin in einem Oktoberfestzelt zu sehen. Zu den kuriosen Seiten der Tage von London zählen des Weiteren: eine Einschränkung der Kunstfreiheit, ein Gesangsduell im Publikum - und eine doppelte "Falsche Neun" aus Köln.

Vom Laufsteg auf die Pfeilwurfbühne

Cheerleaderin im Ally Pally? Das war nicht der Plan der damals 20 Jahre alten Sophie-May Lambert. Sie war aus ihrer Heimatstadt Portsmouth nach London gezogen, um dort zu modeln. "Ich war bei einem Casting für eine Modenschau und bekam dort eine Absage", erzählt sie bei einem Treffen zwischen zwei Auftritten im Alexandra Palace.

Die 30-Jährige kommt gerade von der Bühne, über dem knappen Tänzerinnen-Kostüm trägt sie im zugigen Palast einen wärmenden Mantel. Kurz nach der Absage hatte sie damals ein zweites Inserat entdeckt. Tänzerinnen im Los-Angeles-Lakers-Stil gesucht. Sie dachte sich: "Jetzt bin ich schon mal da, das schau' ich mir an." So geschah es. "Drei Monate später habe ich im Ally Pally getanzt." Inzwischen ist sie hier die Chef-Cheerleaderin im zehnten Jahr. Sie schätze die "elektrisierende Atmosphäre" dieses Orts. Ins Publikum mischt sie sich lieber nicht, um zu vermeiden, dass es dort vor lauter Elektrisierung einen Kurzschluss gibt.

Darf sich nicht "The Master" nennen. Owen Bates aus England. (Foto: Ian Stephen/Pro Sports Images/Imago)

Die Grenze der Kunstfreiheit

Knappe Höschen sind im Ally Pally erwünscht, anzügliche Wortspiele weniger. Spitznamen gehören im Darts zwar dazu wie die Spitzen der Pfeile. Allerdings, das ist eine neue Erkenntnis dieses Turniers, gilt bei den Künstlernamen ganz offenbar keine vollständige Kunstfreiheit. Zu spüren bekam das bereits vor WM-Beginn der englische Spieler Owen Bates. Der war jahrelang als "The Master" bei Turnieren angetreten. Auf deutlichen Hinweis des Darts-Weltverbands PDC musste er diesen Beinamen aber ablegen. Zu schlüpfrig, lautete die Begründung. Das Wort an sich war weniger das Problem, vielmehr der Kontext. Fügt man "Master" zwischen den Vor- und Nachnamen des Briten, ergibt sich ein Slogan, der im Publikum eventuell so verstanden wird: Owen Master Bates, was übersetzt klingen könnte wie: Owen masturbiert. No way!

Bates kam dem Ansinnen der PDC also nach und rief seine Fans zu alternativen Vorschlägen auf. Die Ideen allerdings schienen ihm nicht sonderlich zu gefallen. Bei der WM trat er ganz ohne Spitzname an und schied prompt in Runde eins aus. Der 21 Jahre alte Bates steht allerdings am Anfang seiner Karriere - und hat Zeit, sich ein neues Wortspiel auszudenken.

"Die Dartsspieler würden sicher kommen, es gibt genug Platz in einem Bierzelt": Zeremonienmeister John McDonald empfiehlt ein "Oktoberfest Masters" oder einen "Wiesn Grand Prix". (Foto: Ian Stephen/Pro Sports Images/Imago)

Vom Palast ins Wiesnzelt?

Die Bühnen des Münchner Oktoberfestes sind in aller Regel groß genug, um dort statt Musikanten Pfeilewerfer bei ihrer Arbeit zu beherbergen. Zu diesem Schluss kommt am Rand der Darts-WM ein nicht ganz unwichtiger Beteiligter: John McDonald, 63, ist seit 2007 der Zeremonienmeister im Alexandra Palace. Wegen der vergleichbar guten Stimmung "wäre das Oktoberfest perfekt für Darts", sagt McDonald, selbst Wiesn-erfahren, bei einem Treffen. "München als Stadt, sie verpassen da bisher etwas." Seine Empfehlung: Oktoberfest Masters oder Wiesn Grand Prix.

Ein neues Turnier? "Die Dartsspieler würden sicher kommen, es gibt genug Platz in einem Bierzelt", sagt McDonald. Ganz unrecht hat er nicht, zwischen Zielscheibe und Pfeilewerfer liegen lediglich 237 Zentimeter. Also Schützen- oder Armbrustschützenzelt? Geneigte Fans des Ally Pally müssten sich in jedem Fall umstellen: Auf der Münchner Wiesn wird Bier traditionell nicht in Zwei-Liter-Humpen gereicht, sondern im Masskrug.

Die "Falsche Neun" des Ally Pally

Schaffte als bisher Einziger bei dieser Darts-WM zwei Zehndarter in Serie: Der Kölner Florian Hempel. (Foto: Ian Stephen/Pro Sports Images/Imago)

"I can't speak! I can't speak!" Die heiseren Worte des britischen Darts-Experten Wayne Mardle sind ähnlich berühmt wie die neun perfekt geworfenen Pfeile des Vorjahressiegers Michael Smith im Endspiel gegen Michael van Gerwen, der seinerseits nach acht perfekten Darts einen verfehlte - also den sogenannten Neundarter knapp verpasste. Experte Mardle war nach Smiths Kunstvortrag so entzückt, als hätte England die Fußball-WM gewonnen. Beim Darts ist ein Endspiel-Neundarter eines Briten ähnlich hoch angesiedelt.

Im Ally Pally ragten dieses Jahr andächtige "I can't speak"-Schilder aus dem Publikum. Historisches gab es bei der diesjährigen Darts-WM auch. Zu nennen ist der Kölner Profi Florian Hempel, ihm gelang, was sonst keiner schaffte: zwei Zehn-Darter in Folge, Hempel vollendete auf diese Weise eine Aufholjagd gegen den Belgier Dimitri van den Bergh. Seine Stimme verlor Livekommentator Mardle deswegen indes nicht. Es waren halt dann doch zwei Zehndarter. Oder, wie man im Fußball sagen würde: eine doppelte Falsche Neun.

Battle of the Crowd

"You can't afford the tables!" Zwischen den Tischgästen und den Zuschauern auf den Rängen des Alexander Palace gibt es eine Art Song-Contest. (Foto: Katie Chan/Action Plus/Imago)

Das Dartspublikum im Palast droben über den Dächern Londons ist mit anderen Spitzensportzuschauern kaum zu vergleichen. Zu seinen Besonderheiten gehört nicht nur der übermäßige Verbrauch von Lager-Bier, sondern auch ein soziologisch spannendes Duell zweier Lager innerhalb der West Hall des Alexandra Palace: In Abständen ertönen von den Rängen hinten und seitlich Schmährufe in Richtung der vor der Bühne an Biertischgarnituren platzierten Zuschauer. "All the boring tables!", lautet die Botschaft: Langweilige Tischgesellschaft! Die Adressierten lassen die Herabwürdigung kurz wirken, ehe sie zum Konterchor ansetzen: "You can't afford the tables!" - Ihr könnt euch die Tische nicht leisten!

Die aus gesellschaftlicher Sicht erbauliche Essenz dieses Sprechduells: Zu tatsächlichen Zweikämpfen kommt es innerhalb der Palastmauern so gut wie nie. Schlägereien sind hier eine Seltenheit, wohl aus zwei Gründen: Die Ordner sind streng und sprechen schnell Platzverweise aus. Vor allem aber sind sich die Gäste in einem einig: Wer auf der Bühne siegt, ist zweitrangig, das Publikum gewinnt immer.

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