Matheus Cunha bei Hertha BSC:"Angeblich" Oberschenkelprobleme

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"Nicht nett, sondern ehrlich": Nach einer Unterredung mit Cheftrainer Pal Dardai stieg Matheus Cunha (im Bild) erst am Donnerstag wieder ins Mannschaftstraining ein. (Foto: Sebastian Räppold/Matthias Koch/Imago)

Herthas Stürmer kehrte als Olympiasieger aus Tokio zurück. Doch seit er von Trainer Pal Dardai öffentlich gebrandmarkt wurde, stehen die Zeichen stärker denn je auf Abschied - nur ein Verkauf des teuren Brasilianers gestaltet sich schwierig.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die brasilianische Heimat ist weit weg, doch der Gedanke an sie verschafft Matheus Cunha gerade eine Menge Zufriedenheit. Vor knapp zwei Wochen holte er im Trikot der brasilianischen Olympia-Auswahl Gold in Tokio, er erzielte beim 2:1-Finalsieg gegen Spanien sogar den Führungstreffer. Wenige Tage darauf erreichte ihn auch noch die Nominierung durch Nationaltrainer Tite für die WM-Qualifikationsspiele mit der A-Auswahl in Chile und Argentinien. Nur der Alltag wirkt gerade ein wenig grau.

Mit Hertha BSC unterlag er beim Saisonauftakt in Köln 1:3. Er war zwar an Herthas Führungstreffer durch Jovetic beteiligt, doch das verhinderte nicht, dass Trainer Pal Dardai ihn nach der Partie öffentlich anzählte. Wie ein "Spaziergänger" habe Cunha agiert, grantelte der Coach am Montag. Anderntags meldete sich Cunha fürs Training ab. Oberschenkelprobleme, hieß es, "angeblich" lautete das Wort, das Dardai am Dienstag im Mund führte. Schmollte der Brasilianer etwa?

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Es würde zum Beginn der Geschichte Cunhas bei Hertha passen, denn der war holprig. Als sein Wechsel von RB Leipzig nach Berlin festgezurrt wurde, befand sich Cunha beim Olympia-Qualifikationsturnier in Südamerika, wo er zum Torschützenkönig avancierte. Als er dann in der deutschen Hauptstadt landete, begab es sich, dass der Mann stiften gegangen war, der ihn von einem Umzug nach Berlin überzeugt hatte: der damalige Trainer Jürgen Klinsmann.

Und dennoch: Cunha präsentierte sich als ein fantasievoller, entwicklungsfähiger Spieler; in seinem berühmten Hertha-Tagebuch zählte Klinsmann den Brasilianer zu den wenigen Spielern, die "Mehrwert" generieren könnten. In der Tat: Man konnte ahnen, dass Cunhas "Tor des Jahres 2019" kein Zufall gewesen war. Unter Hertha-Fans weckte er sogar Erinnerungen an Marcelinho - was auch daran lag, dass er aus der selben Gegend stammt wie jener Brasilianer, der zu Beginn der Jahrtausendwende in Berlin Kultstatus erlangte, wegen seines Fußballs, seiner skurril gefärbten Haare und mancher Ausflüge in die brodelnden brasilianischen Bars der Kapitale. Nur: Cunha war eben auch in eine Mannschaft geraten, die sich in argen Turbulenzen befand.

In Alexander Nouri folgte auf Klinsmann ein Trainer, der wie ein Schlafwandler wirkte. Als die Pandemie ihn wegspülte, kam Bruno Labbadia, der die Hertha vor dem Abstieg rettete. Cunha, heute 22, war das, was viele Spieler in seinem Alter sind: wechselhaft. Er zeigte Pflichtgefühl und hätte darob fast die Niederkunft seines Sohnes verpasst; als seine Frau den Kreißsaal anvisierte, spielte er im Olympiastadion um Punkte. Andererseits verzweifelte Labbadia auch an der taktischen Disziplinlosigkeit Cunhas, an dessen abschätzigen Gesten gegenüber Kollegen. Wollte er im gleichen Maße zu viel, wie er zu viel von den Kollegen verlangte?

Der Markt gestaltet sich zäh - wer will schon einen Stürmer, den der abgebende Klub als Spaziergänger brandmarkt?

Cunha ist, wie es Herthas seit Ende Januar amtierender Trainer Pal Dardai einmal ausdrückte, "für Hertha-Verhältnisse ein Genie." Doch er war auch mehr als das. Er war einer der teuersten Einkäufe der Windhorst-Ära; angeblich 18 der nunmehr 375 Millionen Euro, die der Investor seit Sommer 2020 in die Hertha gepumpt hat, gingen für Cunha nach Leipzig. Ein Vertrauter sagt, er sei kein Spieler, der eine Mannschaft auf seinen Schultern tragen kann. Er habe das versucht, doch es mündete in Übermotivation. Wohl auch, weil Cunha meint, dass er sich so den Traum von der WM in Katar 2022 erfüllen kann. Doch um in den Fokus der mächtigen Fußball-TV-Shows Brasiliens zu rücken, reicht es nur selten, den gegnerischen Sechser zuzustellen.

Am Montag monierte Dardai, dass Cunha gegen Köln genau das nach einer halben Stunde aufgegeben habe - und stattdessen am Rhein "spazieren" gegangen sei. Dass anderntags die Schlagzeilen der Berliner Zeitungen um Cunha kreisten, nahm dieser nicht nur wahr. Es bestärkte ihn in der Ahnung, dass Hertha ihn liebend gern versilbern würde.

Nur: Der Markt gestaltet sich zäh. Cunha wecke Begehrlichkeiten, sagte Sportdirektor Arne Friedrich am Donnerstag; eine angemessene Offerte aber liege nicht vor. Angeblich ist Atlético Madrid bereit, einen Sockelbetrag von 30 Millionen Euro zu entrichten, hieß es in Brasilien. Der spanische Meister sucht tatsächlich einen Stürmer, die Präferenz jedoch heißt Dusan Vlahovic und spielt für die italienische Fiorentina. Dieser Vlahovic jedoch ist noch teurer als Rafa Mir, bei dem Atlético abwinkte, weil man nur 15 Millionen Euro zur Hand hatte. Nun geht Mir von Wolverhampton zum FC Sevilla. Dass ausgerechnet Atlético-Trainer Diego Simeone, dem Intensität über alles geht, nun viel Geld für einen Spieler ausgibt, den der abgebende Klub als Spaziergänger brandmarkt, erscheint eher zweifelhaft.

Kurzfristig muss Cunha wohl damit rechnen, dass er am Samstag gegen den VfL Wolfsburg auf der Bank sitzt. Erst am Donnerstag stieg er wieder ins Mannschaftstraining ein, und Dardais Zorn über den Brasilianer war da noch nicht verraucht. Er habe mit ihm geredet, das sei "nicht nett, sondern ehrlich" gewesen, berichtete der Coach. Und auch wenn er anfügte, dass man wieder gut Freund sei, betonte Dardai: Man werde sehen, ob Cunha Konsequenzen ziehe.

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