Timo Horn und Dejan Ljubicic lösten das riskante Manöver exzellent. Der Kölner Torwart und der Kölner Mittelfeldspieler hatten im eigenen Strafraum Doppelpass gespielt und damit drei vergeblich hin und her hetzende Gegner frustriert, erst gab es ängstliches Raunen auf den Rängen, dann Beifall für die kühne Aktion. Bloß einer dieser notorischen Miesmacher musste natürlich wieder pfeifen, das komplette Stadion in Köln-Müngersdorf, 16 500 Menschen, konnte ihn hören.
Tatsächlich könnte sich der Urheber, ein gewisser Steffen Baumgart, wohl auch im prall gefüllten Maracanã in Rio de Janeiro bemerkbar machen; der Trainer des 1. FC Köln vermag nicht nur sehr laut zu brüllen, sondern sogar noch lauter zu pfeifen. Auf seine Spieler wirkt das schrille Signal wie eine Polizeisirene, Timo Horn schaute im besagten Fall sofort zum Wachtmeister auf der Trainerbank - und empfing eine Mischung aus Lob und Ordnungsruf.

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Dortmunds Stürmer überragt beim 5:2-Sieg gegen Eintracht Frankfurt - und scheint, trotz seines Alters von nur 21 Jahren, die Position des Mittelstürmers neu zu definieren.
Außer dem von Berufs wegen kleinlichen Coach hat es am Sonntagabend im Kölner Stadion nicht viele kritische Meinungen gegeben zum Auftritt des FC gegen Hertha BSC. Nach dem überraschend unzweideutigen 3:1-Sieg drehte die Mannschaft eine Ehrenrunde, die an die Genießer der Slowfood-Bewegung erinnerte. Die Spieler ließen sich so viel Zeit, als ob sie jedes einzelne Klatschen mit allen Sinnen absorbieren wollten. Manche setzten nach vollendeter Runde zu einer zweiten an.
Die Spielidee von Baumgarts Vorgänger Markus Gisdol war den Kölner Profis stets ein Rätsel geblieben
Außer den Akteuren feierte das Publikum ausdrücklich auch den Trainer. Es gab während des Spiels sogar Sprechchöre, und das ist - beim ersten Einsatz des neuen Mannes - selbst für das zum Übermut neigende Kölner Volk außergewöhnlich. Vermutlich drückte die Anerkennung auch die Freude darüber aus, dass sich die Erwartungen in Baumgarts guten Einfluss tatsächlich erfüllen könnten. Der 49-Jährige hatte zwar während der sechswöchigen Vorbereitung mit keiner Silbe behauptet oder gar versprochen, dass seine Methoden aus einem Fast-Absteiger zügig ein Team von gehobenem Bundesliga-Niveau machen würden - aber die meisten FC-Anhänger, wenn nicht alle, hatten es mindestens insgeheim von ihm erwartet.
Die Rückkehr von Mark Uth wurde allgemein begrüßt, doch als Star-Einkauf fungierte in den Augen der Fans der aus Paderborn zugereiste Trainer. Auch im besonnenen Kapitän Jonas Hector hat er einen Sympathisanten gefunden: "Er versucht, uns eine andere Spielweise einzutrichtern", sagte er nach dem 3:1, er meinte das als Kompliment. Die Spielidee von Baumgarts Vorgänger Markus Gisdol war Hector und den Kölner Profis bis zum Schluss ein Rätsel geblieben. Nun ist der Kader zwar weitgehend der gleiche geblieben, spielerisch aber war das Erscheinungsbild deutlich bunter als in der Vorsaison.
Was Baumgart vor allem verlangt, sind der Wille und die Bereitschaft, dem Gegner permanent lästig zu sein und lieber den Angriff zu suchen, als in der Deckung zu verharren. Und Hertha BSC gab ein hervorragendes Vehikel dafür ab, um die Kölner Mannschaft vom Gelingen der Lehre ihres Trainers zu überzeugen. Die Berliner hatten die Partie nach dem frühen 1:0 durch den Zugang Stevan Jovetic relativ solide unter Kontrolle - dann wurden sie, wie ihr Aufseher Pal Dardai feststellte, "lässig". Spätestens Anthony Modestes Ausgleich leitete einen Untergang ein, den keiner aufzuhalten vermochte. Kevin-Prince Boateng, im Zentrum der Hertha-Ordnung platziert und nach eigenem, exklusivem Empfinden die zentrale Autorität des Teams, redete, dirigierte und gestikulierte viel, spielerisch trug er aber wenig Sinnvolles bei. Dennoch richtete sich Dardais Urteil vor allem gegen Angreifer Cunha: Dieser habe sich in der Offensive zu wenig an der Abwehrarbeit beteiligt, bemängelte der Trainer explizit. Der Verbleib des zweifellos versierten Cunha in Berlin ist immer noch nicht gesichert, angeblich interessiert sich Atlético Madrid für ihn.
Anthony Modeste übertrifft bereits seine Erfolgsbilanz der gesamten vorigen Saison
Während Dardai ein wenig zu ausführlich über Cunha schimpfte, blieb Steffen Baumgart auffallend sparsam, als es darum ging, die Leistung von Anthony Modeste hervorzuheben. Er hätte es vielleicht gern getan, Anlass gab's genug, aber sein Gebot besagt offenkundig, dass die Mannschaft in der Betrachtung immer Vorrang hat. "Sie werden von mir nicht oft hören, dass ich nach dem Spiel über einzelne Spieler rede", informierte Baumgart. Modestes Auftritt sprach ohnehin für sich, nicht nur deshalb, weil er ein Tor geschossen und eines vorbereitet hatte, womit er seine Erfolgsbilanz der gesamten vorigen Saison bereits übertroffen hat.
Der 33-jährige Franzose, der wegen seines enormen Jahresgehalts (je drei Millionen Euro bis 2023) zuletzt vor allem als Problemfall gesehen wurde, überraschte das Publikum mit einem Bewegungsradius, der an die großen alten Zeiten erinnerte. Seinen Trainer, der ihn während der Saisonvorbereitung mit gezielter Unterstützung aus der Historie in die Gegenwart zurückgeholt hatte, spritzte er zum Dank mit der Wasserflasche nass - ein Spaß, den sogar der stets um grimmiges Mienenspiel bemühte Baumgart goutierte. "Das verzeihe ich ihm", sagte der Trainer mit einem Lächeln, das er nicht unterdrücken konnte.
Von einem gelungenen Start wollte Baumgart nicht reden, bloß von einem guten ersten Spiel, das Mut spende für das nächste. Dann geht es zum FC Bayern. "Ich will nicht hören, dass wir da nicht hinzufahren brauchen", sagte der Trainer, aber da braucht er sich keine Sorgen zu machen im endlich wieder übermütigen Köln.