BVB-Gegner FC Sevilla:Und dann schlägt Monchi zu

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Zu Beginn des Jahrhunderts war der FC Sevilla am Boden - nun kommen die Andalusier als sechsmaliger Europa-League-Sieger nach Dortmund. Das ist auch das Ergebnis eines unnachahmlichen Erfolgs am Transfermarkt.

Von Javier Cáceres

José Castro, 63, wurde in Utrera geboren, einer gar nicht mal so kleinen, rund 50 000 Einwohner großen Stadt vor den Toren Sevillas, und wie jeder, der dort zur Welt kam, unterhält er eine besondere Beziehung zum dortigen Paseo de Consolación. Die Allee führt fast schon quer durch den ganzen Ort zu einem katholischen Heiligtum, geweiht der Jungfrau Maria in ihrer Eigenschaft als Trösterin der Betrübten. "Wer dort lebt, geht dort eigentlich täglich hin", sagt Castro, seit Ende 2013 Präsident des FC Sevilla, in einem Videotelefonat, und auch wenn das natürlich nicht wörtlich gemeint ist, er also nicht wirklich jeden Tag dort vorbeischaut, so gibt es eben doch Besuche, die sich bei Castro eingebrannt haben.

Zum Beispiel? Jener an der Seite des ehemaligen Fußballprofis Joaquín Caparrós im Sommer 2000. Sevilla war gerade in die zweite spanische Liga abgestiegen, Castro schon im Präsidium, "wir mussten ein Vermögen von minus 8,8 Milliarden Pesetas schultern", sagt Castro, und weil das zum Zeitpunkt der Währungsumstellung 52 Millionen Euro entsprach, blieb ihm eigentlich nichts übrig, als das Angebot anzunehmen, dass ihm Caparrós machte: den FC Sevilla gratis zu trainieren.

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Den Arbeitsvertrag unterschrieb man nach dem Besuch bei der Jungfrau auf einer Papierserviette in einer Bar, "emolumentos: cero", habe dort gestanden, "Bezüge: null", erzählt Castro, und er schmunzelt nur deshalb nicht darüber, weil er derlei nie wieder erleben will. Er genießt vielmehr den Gedanken daran, Expeditionen des FC Sevilla in der Champions League anzuführen und - nur mal so zum Beispiel - am Dienstag bei Borussia Dortmund zu Gast zu sein. Nach einer 2:3-Heimniederlage aus dem Hinspiel im Achtelfinale zwar. Aber durchaus mit der Hoffnung, die nächste Runde zu erreichen.

Es würde eine neue, grandiose Seite in der Geschichte des Klubs aufschlagen, der seit jenen Tagen der Renaissance, zuletzt mit José Castro als Präsidenten, unter anderem zwei Mal den spanischen Pokal, vor allem aber sechs Mal die Europa League gewonnen hat.

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Die faszinierende Geschichte des stetigen Erfolges Sevillas ist auch untrennbar verbunden mit dem Namen von Ramón Rodríguez Verdejo alias Monchi, der in eben jenem Krisenjahr 2000 vom Team-Manager zum Sportdirektor befördert wurde und es dann - mit Ausnahme eines knapp zweijährigen Ausflugs zum AS Rom, von 2017 bis 2019 - bis heute blieb. Monchi hatte gerade seine Karriere als Torwart beendet und Jura studiert, um als Anwalt zu arbeiten, aber als der Klub ihn brauchte, konnte und wollte er sich nicht verweigern. "Ich habe zehn Sekunden gebraucht, um Ja zu sagen, denn eine meiner großen Schwächen ist es, nicht Nein sagen zu können", erzählt Monchi, ebenfalls per Videokonferenz. "Aber nach fünfzehn Sekunden fragte ich mich: Ja-zu-was-eigentlich, verdammt?" Dann wurde Monchi der aufregendste Kaderplaner Europas.

Der 52-Jährige verkörpert den Traum vieler Klubs, unbekannte Spieler zu entdecken, sie günstig zu verpflichten und teuer zu verkaufen - am Transfermarkt also die "außergewöhnlichen Erträge" zu erzielen, die es Sevilla erlauben, das Budget zu strecken. Aber: Er ist nicht allein. Monchi kommandiert vielmehr eine Scouting-Abteilung, die zu Beginn einer jeden Saison rund 18 000 Fußballer in aller Welt identifiziert und dann so lange filtert, bis im letzten Drittel einer Spielzeit noch 200 Spieler übrig sind, die für Sevilla interessant sein könnten. Dann schlägt Monchi zu.

Das müssen nicht immer Künstler sein wie der begnadete argentinische Nationalspieler Papu Gómez, der gerade im Winter von Atalanta Bergamo geholt wurde. Unlängst löste Sevilla Karim Rekik bei Hertha BSC ab - zu einem Zeitpunkt, da der Niederländer nicht mal mehr Stammspieler war. "Wir kannten ihn schon lange, also seit seiner Zeit bei der U23 von Manchester City und Olympique Marseille. Wir suchten einen Spieler mit Erfahrung, der fordernde Ligen kennt, sowohl linker Innenverteidiger wie auch Linksverteidiger spielen - und sich rasch adaptieren kann. Karim hatte genau das Profil - und passte auch ökonomisch in unsere Planungen", sagt Monchi.

In Berlin Bankdrücker, bei Sevilla in der Verteidigung gesetzt gegen Messi: Karim Rekik (rechts). (Foto: Marcelo del Pozo/Reuters)

Exklusiv habe er das Modell nicht: den Modus Operandi des FC Sevilla könne man gut vergleichen mit der Arbeit von deutschen "Klubs wie Hoffenheim, Leipzig oder Dortmund", deren Scouts die gleichen Claims abgrasen. Die Dortmunder "haben vielleicht ein bisschen mehr Geld als wir. Aber ich schätze sehr, wie Michael (Zorc) und Dortmund arbeiten". Neid auf Dortmund wegen Erling Haaland? "Überhaupt nicht."

In Sevilla genießt Monchi blindes Vertrauen. Vor allem, weil Spieler wie der Brasilianer Luis Fabiano triumphierten, die in Europa zuvor zwei Mal gescheitert waren, oder die in einer Mannschaft wie Tottenham Hotspur wegen Erfolglosigkeit abgeschoben wurden, in Sevilla aber keine Spielzeit mit weniger als 20 Treffern aufzuweisen hatten. Nur: "Unsere Philosophie hat einen sentimentalen Preis", sagt Monchi. Präsident Castro etwa erinnert sich noch sehr gut daran, mit wie viel Bestürzung die Fans darauf reagierten, dass ausgerechnet das Eigengewächs José Antonio Reyes, der wie Castro aus Utrera stammte und 2019 tödlich verunglückte, in der Saison 2003/2004 für gutes Geld an den FC Arsenal verkauft wurde.

"Natürlich wäre es schön, wenn Spieler wie Bacca, Gameiro, Keita, Poulsen oder Dani Alves ewig hier bleiben und ihre Karrieren in Sevilla beenden könnten", sagt Monchi. Aber das würde das Wachstum des Klubs hemmen, die Verkäufe bringen Geld. "Wir versuchen, dies durch Titel aufzuwiegen." Zum Beispiel und vor allem: durch Siege in der Europa League - zuletzt gegen Inter Mailand 2020 in Köln.

Die Trophäe hat sich Monchi am Handgelenk tätowieren lassen - gemäß einem Versprechen, das er einmal seiner Tochter gegeben hatte. "Die Europa League und wir, das ist eine Liebesromanze", sagt Monchi. Aber das heißt nicht, dass er sich in der Champions League nicht wohlfühlen würde, "wir sind nicht im Exil". Nur: Diese Trophäe würde er sich nicht stechen lassen, sagt er, "nicht mal, wenn wir sie zehn Mal hintereinander gewinnen würden". Denn eigentlich, so sagt er, "mag ich keine Tätowierungen".

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