SV Werder Bremen:Die Warnung der schwarzen Katze

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Die Bremer Zukunftsplanung in der Gegenwart: Justin Njinmah (rechts) gehört bei Werder Bremen zur verjüngten Startelf. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Das Wiedersehen mit dem ehemaligen Relegationsgegner Heidenheim mahnt die Bremer trotz aktueller Erfolgsserie zur Vorsicht. Mit frischem Geld und neuem Sportchef will Werder ein bisschen wie Frankfurt oder Stuttgart werden.

Von Thomas Hürner, Bremen

Vielleicht ist es ein kitschiger Gruß des Schicksals, dass der SV Werder Bremen an diesem Samstag den 1. FC Heidenheim empfängt. Der schnuckelige Klub von der Ostalb war für die Bremer mal so etwas wie eine dunkle Vorsehung; so wie eine schwarze Katze, die von rechts nach links über die Straße läuft. Damals, im Pandemiejahr 2020, war Gefahr im Verzug - und wenn die Bremer tief in sich hineinhorchten, dann wussten sie das auch ganz genau.

Werder spielte gegen die Heidenheimer in einer Abstiegsrelegation, die höchstens im weitesten Sinne etwas mit Fußballspielen zu tun hatte. Viel Kampf, Krampf, Schweiß und Tränen haben die Bremer auf dem Rasen gelassen und durch ein 0:0 und 2:2 die Liga gehalten, der damals noch geltenden Auswärtstorregel sei Dank.

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Zwischen zwei unerwarteten Siegen sammelt der SV Werder Bremen auch noch 38 Millionen Euro von Investoren ein. Wer gibt so viel Geld, was erwarten die Geldgeber - und was macht der eigentlich notorisch klamme Klub jetzt damit?

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Rückblickend stellte sich aber heraus, dass die Bremer in dieser Episode auch so einiges verloren hatten: Von dem in den Vorjahren mühsam aufgebauten Optimismus, der sich zum verwegenen Gedanken von einer Rückkehr in den Europapokal steigerte, war nichts mehr übrig. Genauso wenig wie von der zuvor magischen Aura des Bremer Hoffnungstrainers Florian Kohfeldt, der diesen Optimismus mit mutigen Worten und mutigem Spielstil verkörpert hatte. Werder nahm im Moment des Klassenverbleibs die Gestalt eines Absteigers an. Ein Jahr später wurde dann Vollzug gemeldet.

Werder-Coach Ole Werner hat seine Startelf jünger und schneller gemacht

Zeit ist relativ, und natürlich gilt dieses Gesetz auch für den mitunter aus der Zeit gefallen wirkenden SV Werder. Dreieinhalb Jahre sind diese schauderhaften Geisterspiele gegen Heidenheim jetzt her, gerade mal vier Monate ein phasenweise erschütternder Auftritt beim 2:4 in Heidenheim. Das subjektive Zeitempfinden am Osterdeich changiert allerdings zwischen "ewig her" und "kann ich mich nicht erinnern". Denn Werder, das lässt sich sogar objektiv belegen, geht es gerade gut wie lange nicht: Sieben Spiele ungeschlagen, darunter vier Siege; auf einmal sind die Europapokalplätze deutlich näher als die Abstiegszone.

Die Zuschauer im Weserstadion dürften sich vorkommen wie auf einer Abenteuerreise, bei der es nur folgerichtig wäre, wenn jetzt auch noch Fata Morganas von Ailton, Uli Borowka oder Willi Lemke am Wegesrand auftauchten. Die Bremer konnten zuletzt mit den Größen der Liga mithalten. Und den großen FC Bayern hat das Team von Coach Ole Werner jüngst sogar besiegt, zum ersten Mal seit 2008. Manche der Siege sahen geradezu unverschämt gut aus, andere wurden mit der Resolutheit eines ambitionierten Bundesliga-Klubs erarbeitet. Und was auffällt, ist, dass die Zukunft zuletzt immer mitgewonnen hat: Nach langem Zaudern hat der Trainer Werner seine Startelf verjüngt und schneller gemacht. Vorne darf der Tempoangreifer Justin Njinmah, 23, an seinen Gegnern vorbeisausen, aus dem Zentrum wird er vom Zugang Senne Lynen, 24, mit Ideen und Pässen versorgt.

Der zusätzliche Spieltrieb lässt die Bremer Gegenwart fast zu schick aussehen, um wahr zu sein. Und vielleicht war es deshalb ein Entgegenkommen des Schicksals, dass es nach diesem staunenswerten Start ins Jahr des 125-jährigen Vereinsjubiläums nun wieder den 1. FC Heidenheim als Warnung vorbeischickt. Denn in dieser Gegenwart wollen und müssen sie bei Werder ihre Zukunft organisieren - wobei noch die zentrale Frage geklärt werden muss, wer das von Sommer an machen soll.

Maßgeblich beteiligt an den Perspektivgeschäften: Werders Kaderplaner Clemens Fritz war jahrelang bei Sportchef Frank Baumann in der Lehre - und würde ihm gerne nachfolgen. (Foto: David Inderlied/dpa)

Der Bremer Sportchef Frank Baumann wird dann sein Amt niederlegen und sein Erspartes für ihn arbeiten lassen, wie das gerne heißt. Nur dass Baumann etwas anderes vorhat, als in Anlageratgebern empfohlen wird: Baumann hat sich jüngst einem regionalen Unternehmerkonsortium angeschlossen, das 18 Prozent der Klubanteile erworben hat; das Investment soll keine dicken Renditen abwerfen, sondern zuvorderst den SV Werder stärken. 38 Millionen Euro sind dabei zusammengekommen, das Geld ist ausdrücklich auch für Aufhübschungen des Profikaders vorgesehen. Baumann, der als Sportchef lange am Existenzminimum operieren musste, dürfte sich vorkommen wie in einem falschen Film, bei dem er selbst am Drehbuch beteiligt war.

Werder will die nächste Ebene erreichen - und hat für dieses Ziel jetzt sogar ein bisschen Geld zur Verfügung

Die eine oder andere Passage im Skript kommt einem dabei bekannt vor, in Frankfurt am Main und im Schwabenland wurden zuletzt ähnliche Drehbücher verfasst: Werder, das lässt sich schnell erkennen, möchte ein bisschen wie die Eintracht oder der VfB Stuttgart werden - den wohl einzigen deutschen Traditionsklubs, die sich schon seit einiger Zeit in der Zukunft eingerichtet haben. Auch dort wurde jeweils durch Regionalpartnerschaften Geld eingesammelt, das vor allem in Frankfurt in Beine investiert wurde, mit denen sich später mitunter deutlich mehr Geld verdienen ließ.

Während die Bremer am Wühltisch nach neuen Spielern suchen mussten, haben die Frankfurter und Stuttgarter enorme Transfererlöse erwirtschaftet; auf diese Weise hat zumindest die Eintracht stabil die nächste Ebene erreicht. In Stuttgart haben sie das Geld erst mal in die Schuldentilgung gesteckt - aber die aktuelle Erfolgsserie hat die nächste Ebene zumindest in Sichtweite gerückt.

Werder will nun nachziehen, dabei aber vernünftig bleiben. Damit können sich auch die meisten Anhänger arrangieren: Anders als an artverwandten Traditionsstandorten gibt es in Bremen bislang keine nennenswerten Agitationen gegen das fremde Geld; es wird als hehrer Versuch erachtet, sich mit heimatverbundenen Mitteln gegen deutlich bösere Finanzmächte zu behaupten. Werder will wieder ins Handeln kommen und hat jüngst auch einiges getan: In Julián Malatini, 22, kam ein Verteidiger aus Argentinien, der jüngst zum 2:1-Sieg gegen Freiburg traf. Aus Lyon wurde der hünenhaften Mittelfeldmann Skelly Alvero, 21, ausgeliehen, die Kaufoption beträgt eine bis vor Kurzem für Werder utopische Summe von sieben Millionen Euro. Mit seinen 2,02 Metern überragt Alvero sogar Per Mertesacker, den bislang Größten in der Bremer Klubgeschichte. Und in Isak Hansen Aarøen, 19, wurde ein spannendes Offensivtalent von Manchester United geholt, das daran erinnert, dass Mesut Özil und Kevin De Bruyne ja auch mal nur Talente waren.

Maßgeblich beteiligt an diesen Perspektivgeschäften war der Kaderplaner Clemens Fritz, der jahrelang bei Baumann in der Lehre war. Nun würde er ihm gerne auf dem Posten des Sportchefs nachfolgen, in der Bremer Geschäftsstelle werden aber auch einige externe Kandidaten auf Tauglichkeit abgeklopft. Mit jedem weiteren Sieg gewännen auch Fritz' Beförderungsargumente an Gewicht.

Abgesehen vom 1. FC Heidenheim werden am Samstag übrigens keine Unheilstifter erwartet. Werder lässt eine Party zu seinem 125. Geburtstag steigen und hat ein paar illustre Gäste eingeladen, darunter Wynton Rufer, Naldo und Claudio Pizarro. Der gloriose Brasilianer Diego wird einen eigenen Halbzeitauftritt bekommen, vielleicht wird er sogar das Weserstadion von rechts nach links durchqueren. Bei Bremer Fans ist da höchstens die Gefahr nostalgischer Freudentränen in Verzug.

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