Bundesliga: Schalke 04 - FC Bayern:70 Sekunden

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Der FC Bayern gewinnt das Spitzenspiel in Schalke durch zwei Tore innerhalb weniger Sekunden. Schalke 04 muss einsehen, dass die eindimensionalen Angriffe nicht ausreichen.

Jürgen Schmieder

183.600 Sekunden dauert eine Bundesliga-Saison, wenn jedes Spiel nach 90 Minuten abgepfiffen wird. In dieser Zeit entscheidet sich, wer Deutscher Meister wird und wer absteigen muss. In dieser Spielzeit indes könnten ganze 70 Sekunden prägend für die Vergabe des Titels sein. In dieser kurzen Zeitspanne überschritt der Ball zwei Mal die Torlinie von Schalke 04, Franck Ribéry und Thomas Müller hatten den FC Bayern mit 2:0 in Führung gebracht - und weil Kevin Kuranyi lediglich der Anschlusstreffer gelang, gewannen die Münchener diese Partie und rückten wieder auf Platz eins in der Tabelle vor.

Es war viel diskutiert worden vor dieser Partie: über den Rasen im Schalker Stadion (sehr schlecht), über die taktische Ausrichtung der Schalker (sehr defensiv), über die Form des Stürmers Kevin Kuranyi (sehr gut), über die Gesundheit von Arjen Robben (nicht gut genug) und über die Breite der Brust beider Mannschaften (extrem breit nach Siegen gegen Leverkusen respektive Manchester) - und darüber, wie wichtig das Spiel für den Ausgang der Meisterschaft sei. "Die Meisterschaft ist noch weit weg, da wird dieses eine Spiel keine Entscheidung bringen", hatte Felix Magath gesagt. Louis van Gaal hatte ergänzt: "Ob es eine Entscheidung gibt, hängt vom Ergebnis ab. Wenn wir gewinnen, ist die Meisterschaft nicht entschieden."

Van Gaal musste nicht nur Robben in München lassen - für ihn agierte wie schon gegen Manchester United Hamit Altintop auf der rechten Seite -, er setzte auch Martin Demichelis (Erkältung), Miroslav Klose (Formkrise) und Mario Gomez (noch nicht fit genug) zunächst auf die Bank. Holger Badstuber begann in der Innenverteidigung, Ivica Olic und Thomas Müller im Sturm. Magath dagegen konnte zu Beginn jene Elf aufs Feld schicken, die vor einer Woche 2:0 in Leverkusen gewonnen hatte.

In den ersten 25 Minuten entwickelte sich die Partie, die viele Experten prognostiziert hatten. Der FC Bayern übte sich in sicherem Passspiel und ließ die Angriffe - nachdem jeder Defensivspieler den Ball einmal berührt hatte - von Franck Ribéry inszenieren. Schalke 04 dagegen vertraute jener Spielweise, auf die der englische Fußball Plagiatsansprüche anmelden könnte. Nach Ballgewinn wurde das Spielfeld schnell und meist mit einem langen Pass auf Kuranyi oder Edu überbrückt, die Mittelfeldspieler eilten sogleich hinterher.

Es war eine interessante und flott geführte Partie, Torgelegenheiten waren zunächst nur selten zu bestaunen. Dann kamen jene 70 Sekunden, die dieser Partie zusätzlichen Schwung verleihen sollten - und in denen der FC Bayern agierte wie gewöhnlich Schalke 04. Beim 0:1 gab es nach einem kurz ausgeführten Eckball einen langen Pass auf Bastian Schweinsteiger, der per Kopf ablegte auf Ribéry. Der durfte sich kurz verwundert die Augen reiben, dass er ohne Gegenspieler im Strafraum den Ball bekam, ehe er den Ball ins Tor schoss.

Direkt nach dem Anstoß kam der Ball zum Schalker Rafinha. Altintop stibitzte das Spielgerät und legte es schnell auf Ivica Olic. Der fand sich allein vor Manuel Neuer wieder und passte uneigennützig zu Thomas Müller, der ins leere Tor einschieben konnte.

Schalke 04 verfiel nach diesen Treffern nicht in jene Schockstarre, die so ein Doppelschlag gemeinhin hervorruft. Schnell kombinierte sich die Elf von Magath nach vorne und provozierte zahlreiche Gelegenheiten und Fouls. Eine dieser Torchancen nutzte Kevin Kuranyi in der 31. Spielminute, als er eine Flanke von Rafinha in Rücklage ins lange Eck köpfte. Und da Altintop an zu vielen Fouls der Münchener direkt beteiligt war, wurde er von Schiedrichter Manuel Gräfe kurz vor der Pause vom Platz gestellt. Magath reagierte auf diese Hinausstellung sogleich und brachte Offensivspieler Alexander Baumjohann für den defensiven Joel Matip.

In der zweiten Halbzeit dann musste Magath einsehen, dass der FC Bayern durch die van Gaal'sche Spielkontrollschule auch mit nur neun Feldspielern in der Lage ist, sich minutenlang den Ball zuzuspielen und den Gegner zu entnerven - und dass seine Elf auch mit einem Mann mehr auf dem Platz Probleme hat, einen tief stehenden und clever agierenden Gegner dauerhaft unter Druck zu setzen. Kuranyi blieb der Fixpunkt bei den Angriffen, er zog den Ball an, als wäre er ein schwarzes Loch, und legte auf nachrückende Mitspieler ab. Doch blieben diese Angriffe zu eindimensional, als dass sie eine in diesem Spiel aufmerksame Defensive hätte beeindrucken können.

Dass der FC Bayern nur darauf bedacht war, den knappen Vorsprung über die Zeit zu retten, zeigte sich auch an den Einwechslungen von Louis van Gaal. Für die beiden Offensiv-Wusler Olic und Ribéry schickte er den defensiven Danijel Pranjic aufs Feld und Mario Gomez, dessen Aufgabe darin bestehen sollte, bei den wenigen Angriffen des FC Bayern den Ball so lange zu sichern, bis zumindest ein Kollege nachgerückt war. So entwickelte sich zwei Mal die groteske Situation, dass Gomez bei Eckbällen der Münchener alleine und gelangweilt im Strafraum der Schalker herumstand.

Noch 27.000 Sekunden

Aufgrund der mangelnden Kreativität aus dem Spiel heraus versuchte sich Schalke gegen Ende der Partie neben der Kick-und-Ableg-Taktik an der zweiten erfolgsversprechenden Variante. Ein Akteur, zumeist Jefferson Farfan, dribbelte in hohem Tempo auf die Münchner Abwehrspieler zu in der Hoffnung, auf einen Fuß zu treffen oder gegen einen Körper zu laufen, um einen Freistoß zugesprochen zu bekommen - was jedoch ähnlich erfolglos war wie die langen Bälle auf Kuranyi.

"Wir haben ein wichtiges Spiel verloren", sagte Kevin Kuranyi nach dem Spiel. "Man hat gesehen, dass wir noch viel lernen und auf dem Boden bleiben müssen." Bayern Kapitän Mark van Bommel sagte: "Es war nur ein Sieg, nicht mehr, das war das Mindestziel für uns. Manchmal ist einfacher, mit zehn Akteuren zu spielen, weil sich der Gegner schwer tut, Chancen herauszuspielen."

Der FC Bayern durfte aufgrund der Ideenlosigkeit der Schalker diese Partie innerhalb von 70 Sekunden entscheiden und liegt nach diesem Spieltag einen Punkt vor Schalke und - weil Leverkusen in Frankfurt unterlag - sechs Punkte vor dem Dritten der Tabelle. Es wäre jedoch zu früh, dieses Spiel als entscheidende Partie im Kampf um die Meisterschaft auszurufen - noch sind 27.000 Sekunden zu spielen in dieser Saison.

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