Bundesliga: Junge Torhüter:Trend zum Neuer

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Bestes Torwartalter ab 30? Von wegen! Die jungen Keeper Kraft, Zieler, Baumann und Co. stehen für einen radikalen Umbruch auf dem Bundesliga-Markt. Stilbildend für diese Veränderung ist vor allem ein Schalker.

Christof Kneer

Ron-Robert Zieler war dreieinhalb Jahre alt, als 1992 die Rückpassregel eingeführt wurde. Er kann nicht wissen, wie vor der Rückpassregel gespielt wurde, er müsste da einen älteren Kollegen fragen. Es trifft sich also ganz gut, dass er am Samstag einem erfahrenen Mann begegnet, einem Nationaltorwart und WM-Teilnehmer. Ron-Robert Zieler könnte also Manuel Neuer fragen, aber er sollte sich nicht darauf verlassen, dass der Schalker ihm helfen kann. Manuel Neuer war 1992 sechs Jahre alt.

Jahrgang 1986 und schon ein Routinier: Schalkes Keeper Manuel Neuer. (Foto: dpa)

"Es ist eigentlich ein Wahnsinn, dass Manuel Neuer und René Adler inzwischen als routinierte Torhüter gelten", sagt Andreas Köpke, der Torwarttrainer der A-Nationalmannschaft. Er kann deutsche Spitzentorhüter am Bewegungsablauf erkennen, er hat ihr Spiel gewogen, vermessen und bis ins hinterste Detail erforscht, aber manchmal erwischt er sich dabei, wie er über die vordergründigsten Fakten staunt: übers Geburtsdatum zum Beispiel. Manuel Neuer: 1986. René Adler: 1985.

Oder Ron-Robert Zieler, seit dem vergangenen Wochenende überraschend Hannovers neuer Stammkeeper: 1989. Oder Thomas Kraft, seit dem vergangenen Trainingslager überraschend neuer Stammtorwart beim FC Bayern: 1988. "Den alten Spruch mit dem besten Torwartalter ab 30 können Sie inzwischen vergessen", sagt Köpke.

Er selbst ist mit diesem Spruch groß geworden, er hat lange an ihn geglaubt, und eigentlich glaubt er heute noch, dass "Erfahrung" ein stichhaltiges Qualitätsmerkmal eines Torwarts ist. Aber die Realität der Bundesliga hat ihn eines Jüngeren belehrt. "Vor einiger Zeit lag der Altersschnitt der Torhüter an einem Bundesliga-Spieltag bei etwa 30", sagt Köpke. An diesem Wochenende liegt er bei 27,1 - und das nur, weil die Spielverderber Frank Rost und Oka Nikolov den Schnitt ruinieren. Sie waren 18 und 19, als die Rückpassregel erfunden wurde.

Die Geschichte der Bundesliga-Keeper ist eine Variante der großen Saisonstory. Immer jünger, immer deutscher - so lautet der stolz präsentierte Trend, und gern vergessen wird dabei der Nebentrend, wonach sich diese zugespitzte Weisheit nicht nur auf Innenverteidiger und Flügelstürmer bezieht, sondern auch auf Torhüter. "Für meine Position ist dieser Trend natürlich phantastisch", sagt Köpke, "aus so einem Fundus konnte ich noch nie schöpfen."

Theoretisch könnte er bis auf den Schweizer Benaglio und den Mazedonier Nikolov alle Torhüter ins DFB-Team einladen, "16 von 18, das gab's lange nicht mehr", sagt Köpke - und verschweigt höflichkeitshalber, dass manche Keeper trotz eines gültigen deutschen Passes eher nicht in den Verdacht einer Nominierung geraten; der Mainzer Spätstarter Heinz Müller, 32, oder Gladbachs Christopher Heimeroth, 29.

Ein Blick auf die aktuellen Bundesliga-Aufstellungen liefert anschaulich den Beweis, dass die Nullerjahre des neuen Jahrtausends endgültig vorüber sind. Die Torhüter, die in der Sportschau durchs Bild fliegen, heißen nicht mehr Kahn oder Lehmann, Hildebrand oder Pröll, sie heißen zurzeit nicht mal mehr Butt. Sie heißen zwar noch Wiese, Weidenfeller oder Schäfer, aber sie heißen auch Zieler, Kraft, Sippel, Kessler, Ulreich oder Baumann und sind zwischen 20 und 24 Jahre alt.

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Der Trend geht zum Neuer - er und René Adler haben inzwischen stilbildend in die Liga hineingewirkt. Seit die beiden in jungen Jahren Nationaltorhüter wurden, trauen sich die Trainer die jungen Keeper zu. "Und da sind Torhüter dabei, die den Leuten noch gar nicht so richtig aufgefallen sind", sagt Köpke und denkt dabei vor allem an den jüngsten der Kandidaten, den Freiburger Oliver Baumann, 20. Er hat Köpke besonders beeindruckt, "unglaublich ruhig spielt der", sagt er, "total abgeklärt".

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Es heißt ja, der moderne Torhüter müsse heute wie ein elfter Feldspieler funktionieren, und vielleicht ist es nur folgerichtig, dass er inzwischen auch so tickt. Geräuscharm, aber effektiv geht die neue Generation ihrer Arbeit nach, auch da unterscheiden sich die Keeper kaum mehr von den Musterschülern im Feld. "Auch bei den Torhütern macht sich die professionelle Ausbildung in den Elite-Schulen bemerkbar", sagt Köpke. "Die Jungen haben früh gelernt, mit Druck umzugehen." Wie über die Geburtsdaten dieser Burschen, so staunt Köpke auch über deren bisweilen fast schon biedere Seriosität. "Es ist ja normal, dass einem jungen Torwart mal ein richtig brutaler Fehler unterläuft", sagt er. Aber an sehr viele kann er sich nicht erinnern.

Köpke genießt die Gegenwart, aber er ist vorsichtig genug, sie nicht auf die Zukunft hochzurechnen. Torwart ist ein tückischer Beruf, keiner kann vorhersagen, welcher der Knaben durchstoßen wird aufs höchste Niveau. Kraft, Baumann und Zieler sind erkennbar mit den besten Anlagen ausgestattet, ebenso Ralf Fährmann, 22, der in Frankfurt aus unerfindlichen Gründen hinter Klub-Ikone Nikolov die Bank bewacht.

Aber sie haben auch deshalb noch keine Fehler gemacht, weil sie kaum Gelegenheit dazu hatten. Andere hatten schon Gelegenheit und haben Fehler gemacht, Stuttgarts Sven Ulreich etwa oder Lauterns Tobias Sippel.

Die jungen Torhüter haben es gut, weil sie mit 26 oder 28 schon so viele Dienstjahre hinter sich haben werden wie Köpke mit 31 oder 33. Sie haben es aber auch nicht so gut, weil das Tor der Nationalelf mit Neuer und Adler bereits von Angehörigen derselben Generation besetzt gehalten wird. Derzeit sei "nicht geplant, in absehbarer Zeit einen ganz Jungen dazuzunehmen", sagt Köpke, aber wer ihn von Baumann schwärmen hört, weiß, dass der nicht vom Radar verschwinden wird.

Baumann, Kraft und Zieler sind jung genug, um zur Not noch ein paar Turniere abzuwarten. Bei der jetzt schon legendären WM 2022 in Katar werden sie in einem Alter sein, das früher einmal das beste Torwartalter war.

© SZ vom 22.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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