Eine Schwierigkeit haben sie dann doch eingebaut, da hatten es die Ruhpoldinger ihren Gästen bisher leichter gemacht: Um an Nahrungsmittel zu gelangen, braucht es seit diesem Jahr Geldmarken, also die neue Stadionwährung, nennen wir sie den Ruhpolding-Taler. Und so bildeten sich Stunden vor dem Auftaktrennen der Biathletinnen am Mittwoch zum Umtausch von Euros in Ruhpolding-Taler lange Schlangen vor den Kassenhäuschen. Die Menschen in den Schlangen vor den Häuschen waren nicht so aus dem Häuschen.
Diese Szenen der Wartenden sind eine Erwähnung wert, weil es an den ersten beiden Tagen der alljährlichen Ruhpoldinger Biathlon-Woche nicht sonderlich viele solcher finster drein schauender Gesichter zu sehen gab. Der Auftakt am Dienstag und Mittwoch hinterließ vielmehr Hinweise, dass hier die Normalität zurück ist, also der ganz normale Ruhpoldinger Wahnsinn. Nach fünf Jahren haben die örtlichen Weltcup-Organisatoren nun wieder eine Eröffnungsfeier abgehalten. Die Sportler der teilnehmenden Nationen liefen wie einst fahnenschwenkend ein und wurden von gut 2500 Gästen beklatscht. Bilder, die noch vor Kurzem kaum denkbar erschienen.
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In Ruhpolding hatte es zuletzt gewaltig rumort, ein lokales Gewitter, dessen Ausläufer bis ins Hauptquartier des Deutschen Skiverbands (DSV) in Planegg bei München ausstrahlten. Im Kern ging es um die Frage, wie der Weltcup in Zukunft organisiert und bezahlt wird - und von wem. Die Gemeinde hatte die Finanzierung seit der Pandemie deutlich reduziert, es werde "weniger Geld verpulvert", erklärte Justus Pfeifer, seit 2020 Bürgermeister in Ruhpolding. Beim DSV sah man diesen Einschnitt nicht sonderlich gerne, bis zu 600 000 Euro hatte die Gemeinde bisher jährlich beigetragen. Schließlich trat der Bürgermeister vom Posten des Organisationschefs ab, zum ersten Mal in der 50-jährigen Geschichte des Ruhpoldinger Biathlon-Weltcups. Vom DSV war zu vernehmen, dass die Beziehung zum damaligen OK-Chef Pfeifer "nicht hundertprozentig harmonisch" war. Der Verband habe den Wechsel nicht forciert, habe aber auch nichts dagegen. Pfeifers Posten übernahm Hermann Hipf, der bisherige Chef des Weltcup-Unterhaltungsprogramms. Und der stellte sich ein neues Team zusammen.
Professioneller Wintersport ist längst nicht mehr um jeden Preis durchzusetzen
Die zentrale Figur in diesem Team arbeitet eher im Hintergrund. Wolfgang Pichler, Ruhpoldinger Urgestein und international für seine Erfolge als Biathlontrainer bekannt. Gegen Pichlers Trainingsmethoden ist Fußballcoach Felix Magath ein gemütlicher Erkläronkel. Pichler ist einer, der für halbe Sachen nicht zu haben ist, deswegen ergriff der 68-Jährige im Sommer das Wort. Der Weltcup 2023 sei "eine Unverschämtheit" gewesen, ließ Pichler wissen. Um dies zu ändern, böte er seine Dienste an - und so kam es, wie es kommen musste: Der neue OK-Chef Hipf heuerte Pichler als Sportbotschafter des Ruhpoldinger Weltcups an. Und Pichler schritt zu Tat.
Professioneller Wintersport ist ja längst nicht mehr um jeden Preis durchzusetzen. 2013 etwa hatten sich die Menschen mehrheitlich gegen eine Bewerbung Münchens und Garmisch-Partenkirchens für die Olympischen Winterspiele 2022 ausgesprochen. In Ruhpolding führten die Zuschauersperren während der Corona-Pandemie zu Problemen - und zuletzt der eklatante Schneemangel. Während der Wettkämpfe im Januar 2023 saß Wolfgang Pichler in T-Shirt und kurzer Hose im Garten. Für eine Gemeinde, die das Event mitfinanziert, steigt mit den Temperaturen das Risiko. Und in Ruhpolding stellte sich nun die Frage: Wie geht es weiter?
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Wenn also schon der Schnee nicht mehr garantiert ist, dann sollten zur Sicherung des Fortbestands zumindest andere Elemente ineinandergreifen. So sah es Pichler, und so kam es, dass die Athleten nun wieder in einem eigens dafür eingerichteten Raum versorgt werden, wie früher. Eine der Forderungen Pichlers, eine andere: eine Eröffnungsfeier mit DJ im großen Champions Park, arrangiert von Cheforganisator Herbert Ringsgwandl, nun wieder mit allen Hütten und Ständen samt großer Bühne, keine Lightversion mehr, wie noch 2023. Nicht alles läuft bisher perfekt, der Championspark konnte am Dienstag erst mit 20-minütiger Verspätung öffnen, auch da warteten etwa 50 Gäste in der Kälte. Die Bosnasemmel war zur Erwärmung auch nicht zu empfehlen, da die Würste so kalt waren, dass sie eher an Steckerleis erinnerten. Aber das Feiervolk verkraftete die kleinen Schwächen, zumal ja alsbald die alltägliche bis zwei Uhr morgens währende Freiluft- und Hütten-Fete begann. Man wird das in Wintersportdeutschland in dieser Dimension wohl kaum ein zweites Mal finden.
Außerdem ist da noch einer, der wohl für immer mit der verglasten Sprecherkabine verschmolzen bleiben wird: Karlheinz Kas hatte in den vergangenen zwölf Monaten intensiver als sonst über die Vorgänge rund um die Ruhpoldinger Weltcupwoche berichtet. Kas, wie Pichler 68, hat bei dieser Veranstaltung eine Art Dreifachfunktion: Als Stadionsprecher kommentierte er am Mittwoch den dritten Platz der deutschen Frauenstaffel vor 13 000 Zuschauern live. In den Tagen und Wochen vorher gab er Radiointerviews, die mehr an einen Einladungsgruß erinnerten. Und in der lokalen Presse formulierte er die Artikel über die Neuerungen und Programmpunkte. Stadion, Radio, Presse - Kas ist überall. Wäre der Mann eine Speise, dann wäre er ein winterlicher Kas-Press-Knödel. Also unbezahlbar, zumindest in Ruhpolding-Talern.