Basketball:Viel Text

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"Der europäische Basketball scheint sehr viel mehr auf Nachdenken zu fußen": Die Taktik-Exkurse von Bayern-Trainer Andrea Trinchieri bedeuten für die Zugänge aus den USA eine große Umstellung.

Von Thomas Becker

Es sind nur drei Kilometer von der Schulturnhalle des Brunecker Realgymnasiums bis zum 4-Sterne-Superior-Hotel Majestic mit der schönen Adresse "Im Gelände 20", aber die paar Minuten Auszeit auf dem Fahrrad nahm sich Andrea Trinchieri an jedem Tag des Südtiroler Trainingslagers der Bayern-Basketballer. Als Workout wollte er die rund 100 Höhenmeter nicht durchgehen lassen, für den Coach diente die kurze Strampelei eher dem mentalen Auslüften des Oberstübchens. Erst die St.-Lorenzner-Straße entlang rollen, vorbei am Skatepark, rechts ab Richtung Reischach, runter schalten, weil's hier steiler wird, das alte Castello links, den Öko-Park rechts liegen lassen, und wenn der Hausberg namens Kronplatz in Sicht kommt, hatte ihn die Arbeit in Form des Teamhotels auch schon wieder. Die Spieler nahmen den Bus, aber gegen eine Auszeit für den Kopf hätte der ein oder andere sicher nichts einzuwenden gehabt. Vor allem die Zugänge aus der NBA.

Dass die Umstellung von der besten Basketballliga der Welt auf die europäische Art, den Ball in einen Korb zu werfen, nicht von Pappe ist, ist eine Binse. Man würde so einiges geben, um zum Beispiel bei Freddie Gillespie oder Cassius Winston kurz in den Kopf schauen zu können, wenn sie den Vorträgen des Trainers lauschen. Sie saßen dabei nicht, sondern standen in Arbeitskleidung auf dem Feld, es war sogar ein Ball im Spiel, nur: Bewegen durfte sich nur, wer gerade vom Coach händisch von hier nach da geschoben wurde.

Trinchieris Taktik-Exkurs hatte etwas von einer Familienaufstellung: Wenn du hier den Block stellst, in welche Richtung muss dann die linke Schulter deines rechten Mitspielers zeigen und warum? Wer nach dem Training mit den US-Boys über ihre ersten Eindrücke vom "european way of playing Basketball" spricht, darf sich bestätigt fühlen. Gillespie sagt: "Von dem, was ich bisher gesehen habe, scheint der europäische Basketball sehr viel mehr auf Strategie in der Offensive zu fußen, auf mehr Nachdenken. Nicht dass amerikanische Basketballspieler nicht denken würden, aber es geht hier schon viel um das Positionieren von Spielern, um Timing, Synchronisation, das gemeinsame Bewegen als eine Einheit. Das ist schon anders in den Staaten: Da nimmt einer den Ball, alle schwärmen aus, und dann musst du bereit sein, den Korb zu treffen, wenn du angespielt wirst." Mannschaftskollege Winston beschreibt Trinchieri so: "Viel Text! Er pusht, er erwartet Perfektion, er will, dass du definitiv besser wirst - und in der Hinsicht bin ich vollkommen bei ihm."

Bei Elias Harris ist es schon neun Jahre her, dass er kurzzeitig bei den Los Angeles Lakers mitspielen durfte

Winston und Gillespie sind zwei von vier Zugängen mit NBA-Erfahrung. Beim in Speyer geborenen früheren deutschen Nationalspieler Elias Harris, den Trinchieri aus seiner Zeit in Bamberg kennt, ist es schon neun Jahre her, dass er kurzzeitig bei den Los Angeles Lakers mitspielen durfte. Der nach einer Sprunggelenks-OP im Juli noch im Aufbautraining befindliche Isaac Bonga stand mit seinen gerade mal 22 Jahren dagegen schon bei den Lakers, den Washington Wizards und den Toronto Raptors in 148 NBA-Matches auf der Platte, konnte sich aber bei keinem der Top-Klubs durchsetzen. Nichtsdestotrotz darf der gebürtige Pfälzer als der vielversprechendste Bayern-Zugang gelten.

Sowohl auf Bonga als auch auf Harris trifft Trinchieris Theorem zu: "Deutsche Spieler, die ins Ausland gehen, kommen stärker zurück." Vergleichbare Sätze über US-Boys, die nach Europa wechseln, sind rar. Was man in ein paar Jahren über Winston, 24, und Gillespie, 25, sagen wird? Wer weiß. Sie sind sich jedenfalls einig, dass sie "die beste Version von mir selbst ausfindig machen" wollen (Gillespie) beziehungsweise "der bestmögliche Spieler werden, der ich sein kann" (Winston).

Der 1,85 Meter große Pointguard Winston stammt aus Detroit, spielte wie die Wagner-Brüder Moritz und Franz an der University of Michigan, versuchte sich bei den Washington Wizards, wo ihm der frühere Münchner Greg Monroe schließlich den Klub von der Isar empfahl. Der 2,06 Meter lange Center Freddie Gillespie aus Minnesota ist unschwer an seinen langen Armen zu erkennen, Spannweite: 2,31 Meter. Der ehemalige Footballer wechselte erst mit 15 zum Basketball, war aber schon für die Dallas Mavericks, Toronto Raptors und Orlando Magic aktiv, wenn auch mit mäßigem Erfolg.

Beide passen zur "Junge, frische Jungs"-Philosophie, die wohl auch deshalb vom Coach ausgerufen wurde, weil die Bayern nicht über die finanziellen Möglichkeiten wie die Euroleague-Konkurrenz aus Barcelona, Madrid, Istanbul und Tel Aviv verfügen. Dass es aber allein mit jugendlicher Frische nicht getan ist, weiß Trinchieri natürlich auch. Die Bosse im Team sind und bleiben der neue Kapitän Vladimir Lucic sowie Oldie Othello Hunter: "Sie sind immens wichtig für die Struktur des Teams, insbesondere für die Rookies. Sie kennen das System, den Klub, den Coach - und vermitteln das den Jungen. Ohne sie könnten wir nicht überleben", sagt der Trainer. Der mittlerweile 36-jährige Hunter wollte eigentlich aufhören, sagte sich dann aber: 'Wenn ich weiter spiele, dann hier!' Gut möglich, dass bei dieser Entscheidung der Gelegenheits-Radler Trinchieri eine nicht unwesentliche Rolle spielte.

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