Clásico:Um die Haareslänge einer Gamba

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Carlo Ancelotti und Xavi kamen am Ende zu sehr unterschiedlichen Bewertungen dieses Spiels zwischen Barcelona und Real. (Foto: Joan Mateu/AP)

Durch den 2:1-Sieg gegen Real Madrid baut Tabellenführer Barça seinen Vorsprung in der Meisterschaft auf zwölf Punkte aus. Real-Trainer Ancelotti lenkt die Debatten auf die Referees - wohl vor dem Hintergrund der Schiedsrichteraffäre der Katalanen.

Von Javier Cáceres

Die Frage kreiste eigentlich um die Einwechslungen, die er vorgenommen hatte. Und Carlo Ancelotti, der Trainer von Real Madrid, hatte sich diesbezüglich auch als überaus auskunftsfreudig erwiesen und, nur mal so zum Beispiel, den späten Zeitpunkt der Wechsel verteidigt. Dann aber schien sich Ancelotti plötzlich gewahr zu werden, dass er kurz zuvor einen imaginären Ball auf einem ebenso imaginären Elfmeterpunkt liegen gelassen hatte - und entschied sich, wie ein brasilianischer Elfmeterschütze, eine paradinha einzulegen. Eine Kunstpause.

Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, fast sieben Sekunden vergingen, in denen im Pressesaal des Camp Nou nichts zu hören war und auch in den Radiogeräten nicht. Ancelotti hielt den Atem an, und alle anderen auch. Wäre in Barças Stadion eine Stecknadel auf den Boden gefallen, so hätte man sie auch in Alaska noch hören können. Dann brach die Stille, und Ancelotti verwandelte einen Elfmeter, der zwar am Ausgang des Clásicos nichts mehr änderte (Barça siegte, nur so am Rande, mit 2:1), wohl aber die Diskurshoheit sicherte: "Wir haben wegen einer Abseitsentscheidung verloren, die Zweifel weckt. Und mit diesem Zweifel fahren wir nach Madrid", raunte Ancelotti.

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Das hatte etwas Logisches und Belustigendes. Belustigend war es mit Blick auf die Biografie Ancelottis. Der hatte sich vor ein paar Jahren, als er Trainer des FC Bayern war, nach einem spektakulär kontroversen Champions-League-Aus bei Real Madrid im Pressesaal so ruhig verhalten, dass man meinen konnte, er wohnte einer Trauerfeier unter Pantomimen bei (der damalige Bayern-Präsident Karl-Heinz Rummenigge wütete: "Wir sind beschissen worden!"). Und logisch war's, weil die Bemerkung in den komplexen Gesamtzusammenhang des Duells zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid passte.

Die Befürchtung war ja diese gewesen: dass es am Ende um den Referee gehen würde, weil doch die Debatten in Spanien seit Wochen um die Barça-Schiedsrichteraffäre kreisen. Gut sieben Millionen Euro haben die Katalanen an die ehemalige Nummer zwei des spanischen Schiedsrichterwesens gezahlt, die Angelegenheit beschäftigt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes und hat die Beziehungen zwischen den Präsidenten Barças und Real Madrids vergiftet: Madrids Präsident Florentino Pérez blieb dem Spiel fern, zum ersten Mal seit 20 Jahren, angeblich um die Stimmung nicht weiter aufzuheizen.

Dafür kam Manchester-City-Trainer Pep Guardiola und setzte sich erstmals überhaupt auf die Ehrentribüne, statt seine Dauerkarte zu nutzen. Ein Akt der Solidarisierung mit Barça-Präsident Joan Laporta, so viel wurde deutlich.

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Was Guardiola und 95 000 - am Ende begeisterte - Zuschauer sahen: Der FC Barcelona war am Sonntagabend stärker gewesen, der Sieg unter fußballerischen Aspekten alles andere als absurd. Ein Eigentor von Barça-Verteidiger Ronald Araújo (9. Minute) hatte die Madrilenen in Führung gebracht. Es war das erste Gegentor aus dem Spiel heraus, das DFB-Torwart Marc-André ter Stegen seit dem 22. Mai 2022 im Camp Nou hinnehmen musste.

Kurz vor der Pause glich Sergi Roberto aus (45.); in der 80. Minute folgte dann der Treffer von Marco Asensio, der wegen Abseits aberkannt wurde. Das Abseits war in der Tat "um die Haareslänge einer Gamba", wie die Zeitung As titelte. Aber: Es wurde vom Videoschiedsrichter anhand der Bilder für eindeutig erachtet, sodass am Ende doch noch das 2:1 für die Gastgeber fallen konnte, durch Barcelonas Franck Kessié in der Nachspielzeit. Es krönte eine Schlussphase, in der Real Madrid - angetreten mit der ältesten Startelf der Clásico-Geschichte (29,168 Jahre) - verausgabt wirkte.

Barça-Trainer Xavi Hernández war danach verwundert und glücklich. Verwundert über Ancelotti, weil Abseits nun mal Abseits sei, "eine Frage der Wissenschaft" ohne Interpretationsspielraum. Und glücklich, weil der FC Barcelona nach 26 von 38 Spieltagen in der Tabelle zwölf Punkte vor dem Zweiten Real Madrid liegt - und sich als Meister fühlen darf. Einen solchen Vorsprung hat noch niemals jemand aus der Hand gegeben. "Dies ist ein Tag zum Genießen", sagte Xavi. Der überragende Madrid-Torwart Thibaut Courtois gratulierte: "Ja, so ehrlich muss man sein ...", antwortete er auf die Frage, ob Real Madrid der Meisterschaft "Adiós" gesagt habe.

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