WM-Titel im Endspiel gegen Frankreich:Weine, Argentinien, weine

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Lionel Messi in der Menge: Er hat nun den WM-Pokal, endlich. (Foto: Martin Meissner/AP)

Leiden, das mussten sie, diese Argentinier im WM-Finale: Aber nach dem Schlusspfiff explodieren bei den Beteiligten die Gefühle. Am coolsten bleibt noch Messi.

Von Javier Cáceres, Lusail

Hätte man all die Tränen gesammelt, die von den Argentiniern aus purer Freude über den WM-Titel vergossen wurden - man hätte die arabische Wüste wässern können. Es weinten die 35 000 Fans im Lusail-Stadion, es weinten die Spieler, die Betreuer, der Trainer Lionel Scaloni, und es weinte Emiliano Martínez, ein Torwart, der so groß ist wie die Löschkräne am Hafen des Silberflusses.

"Es war unser Schicksal, zu leiden. Wir sind 3:2 vorne - und dann pfeifen sie noch einen Elfmeter gegen uns. Ich habe keine Worte ...", stammelte Martínez - und weinte: "Ich habe meinen Part erledigt - wie ich es geträumt habe." Und wie er mithalf! Martínez parierte in der dritten Minute der Verlängerung einen Schuss von Randal Kolo Muani mit dem Fuß - und hielt im Elfmeterschießen gegen den Bayern-Profi Kingsley Coman. Es waren die entscheidenden Paraden.

Lionel Scaloni, Argentiniens Trainer, genießt den großen Moment: Er ist jetzt Weltmeister-Coach. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Die Tränen, sie waren fast schon eine Konstante beim Turnier gewesen. Nach der Niederlage im Auftaktspiel stand Argentinien mit dem Rücken zur Wand, als sich abzeichnete, dass sie im zweiten Spiel (gegen Mexiko) dem Aus doch noch mal entgangen waren, weinte Assistenztrainer Pablo Aimar auf der Bank, er rang nach Luft. Er hatte Wochen vor dem Turnier seine Mutter verloren; nun sah er so aus, als habe er einer anderen Art von Tod ins Auge geblickt.

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Aber wie die Katzen hatten sie sieben Leben: Und sie hatten nur eins aufgebraucht. Im siebten Spiel, dem Finale, siegten sie gegen Frankreich 4:2 im Elfmeterschießen, nach einem unwahrscheinlichen 3:3, das nach mehr als 120 Minuten auf der Anzeigetafel prangte. "Wir sind Weltmeister", schluchzte Rodrigo de Paul, der am Vorabend des Finales eine Reihe von Posts eingeleitet hatte, die alle vor Dankbarkeit an die Unterstützer in der Heimat und in Katar strotzten. Hashtag: #TodosJuntos, "alle zusammen", mit allen Buchstaben, ohne Bierhoff'sche Auslassungen. "Dies ist einer der glücklichsten Tage meines Lebens", sagte de Paul mit roten Augen.

Die Argentinier weinen vor Freude, sie haben diesen WM-Triumph so ersehnt

Und dann waren da ja auch noch die zahlreichen Fans, die aus Argentinien angereist waren und den Soundtrack der WM gestellt hatten, lange bevor das Finale begann. Denn von wegen: "Hayya hayya", wie die offizielle Hymne hieß. Je länger das Turnier dauerte, desto tiefer wurmte sich das "Muchachos" der argentinischen Fusion-Band La Mosca Tsé-Tsé in die Ohren der Menschen, die in Katar dabei waren.

Am Sonntag waren rund 35 000 Argentinier im Lusail-Stadion; die aus Buenos Aires angereisten Verbindungsbeamten des dortigen Innenministeriums schätzten die Zahl derer, die an keine Karte kamen, auf 2000. Messi suchte vor dem Spiel die Tribüne nach seinem Freund Sergio Agüero ab, der irgendwo saß und zur Siegerehrung auf den Platz gebeten wurde: Er durfte sogar den Pokal stemmen; ein Tribut, nachdem er im vergangenen Jahr seine Karriere wegen Herzproblemen beenden musste. Und aus Frankreich?

Präsident Emmanuel Macron, der sich trotz seines Diktums, Politik habe im Sport nichts verloren, auf den Rasen begab. Und dort vor allem euphorische Argentinier sah, von denen sich die meisten wieder eingekriegt hatten. Oder schlicht keine Tränen mehr produzieren konnten - wie Ángel Di María, der nach seinem 2:0 weinte und dann bei jeder unwahrscheinlichen Wendung des Spiels noch mal. Denn die erlebte er auf der Ersatzbank. Im Rücken von Trainer Lionel Scaloni.

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Auch er weinte, hemmungslos, nach dem Finale, während des ersten Flash-Interviews fürs argentinische Fernsehen. Weil er sich an seine Eltern erinnerte, die ihm alles mitgegeben hatten, was am Sonntag wichtig war: nie aufgeben, nie verletzend sein, immer geradeaus zu sein und voranzugehen. "Es ist unglaublich. Ehrlich, ich möchte nicht über das Spiel reden. Es kann nicht angehen, dass wir so sehr leiden mussten", sagte er. Und leiden, das mussten sie.

Sie führten nach gut einer halben Stunde mit 2:0, Frankreich glich aus, in der Verlängerung ging Argentinien wieder in Führung, wieder glich Frankreich aus, wieder durch den letztlich dreimaligen Torschützen Kylian Mbappé. "Der Fußball hat solche Sachen. Aber diese Mannschaft reagiert auf alles. Ich bin stolz - und erleichtert", sagte Scaloni. "Dies ist eine unglaubliche Gruppe, die dich manchmal rührt."

Dann schickte er einen Gruß in die Heimat, sie sollen es genießen, es sei "ein historischer Moment". Was man halt so sagt in solchen Situationen, Lionel Messi fasste es dann noch knapper zusammen. Er griff sich einfach das Mikrofon des Stadionsprechers auf dem Rasen und rief: " Vamos Argentina, la concha de su madre", was so viel heiß wie: Auf, Argentinien, verdammt noch mal, nur ein wenig derber. " Somos campeones del mundo!", wir sind Weltmeister. Zum dritten Mal nach 1978 und 1986, und sie weinten darob vor Glück.

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