Amateurfußball in Bayern:Nichts, das es nicht gibt

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Zuerst Held, dann doch verzettelt: Aubstadts Torwart Lukas Wenzel muss nach dem Toto-Pokalfinale getröstet werden. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Die Saison 2021/22 schrieb viele Geschichten: Über merkwürdige Corona-Regeln, verhinderte Träger der Ehrennadel des Robert-Koch-Instituts, zwei Elfmeterkiller und den Klub, der einfach aufgab.

Von Stefan Galler und Christoph Leischwitz

In diesen Tagen geschieht Bemerkenswertes: Im bayerischen Amateurfußball endet - ein paar Relegationen hin oder her - pünktlicher als mancher Regionalzug eine Saison, wie es sie früher angeblich öfter mal gab; eine Spielzeit also, die im Sommer des Vorjahres begann, termingerecht abgewickelt wurde, weder über mehrere Jahre gestreckt noch am Ende mittels irgendwelcher Quotienten hübschgerechnet - und mit ganz handelsüblichen Zutaten versehen, Dramen, Trainerwechseln, Kuriositäten. Eine Saison also wie vor der Pandemie. Hier die nicht ganz vollständige Zusammenfassung.

Im Sinne Lauterbachs

Mancher Beobachter dürfte skeptisch gewesen sein, ob das klappen würde, aber die Fußballsaison 2021/22 wurde trotz Corona durchgepeitscht, auch in Bayern. Ganz spurlos ging die Pandemie allerdings auch diesmal nicht am Fußball vorbei. Kaum ein Klub, der nicht irgendwann von einem heftigeren Ausbruch getroffen worden wäre. Einige hängten schon die Pestfahne übers Vereinsheim, wenn auch nur der Verdacht auf eine Infektionswelle bestand, sozusagen voll im Sinne von Karl Lauterbach. Im November etwa verweigerten die Regionalligakicker des TSV 1860 Rosenheim ihre Reise zum TSV Aubstadt ebenso wie Bayernligist TSV Wasserburg das Gastspiel bei der SpVgg Hankofen - was aus präventiver Sicht durchaus sinnvoll schien. Begründung: Als potenzielle Virenschleudern bleiben wir lieber daheim. Statt einer Ehrennadel des Robert-Koch-Instituts bekamen beide dafür allerdings Niederlagen am grünen Tisch zugesprochen, Wasserburg dazu noch eine Geldstrafe. Merke: Das Leben ist nicht fair. Am Saisonende stiegen beide auch noch ab.

Eine Frage der Torwart-Ehre

Natürlich empfand er Mitleid mit dem Kollegen auf der anderen Seite. Torwart-Ehre! Aber der Keeper des Landesligisten Cosmos Aystetten war schon ein bisschen selbst schuld, dass der Befreiungsschlag von Simon Voß, Schlussmann beim TuS Geretsried, seinen Weg ins unverhoffte Ziel fand: Er hatte offenbar nicht so richtig aufs Spielgeschehen geachtet, der Ball befand sich ja kurz vor dem gegenüberliegenden Strafraum. Auch der 21-jährige Torschütze Voß gibt zu: "Es war nicht ganz gewollt, und ehrlich gesagt habe ich es erst mitbekommen, als alle auf mich zuliefen." Die Tatsache, dass die Kamera von sporttotal.tv das Circa-80-Meter-Tor ebenfalls nicht ganz mitbekam, hat möglicherweise eine Nominierung zum Tor des Monats verhindert. Bedeutsam war der Treffer auf jeden Fall: Es war der 1:1-Ausgleichstreffer in der 87. Minute, Geretsried gewann noch 2:1.

Maskenpflicht nur im Freien!

In Tausenden Vereinsgaststätten ging es im März wieder zu wie früher: Nach Schlusspfiff mit einem Bier am Stammtisch sitzen, die Bedienung wuselt durch die Reihen, es wird derbleckt und gefachsimpelt über die Ergebnisse - und für alle, die wollten, auch wieder ohne Maske, zumindest am Platz. Weil's ja in der Gastronomie wieder erlaubt war, sie abzunehmen. Somit konnte man auch das Lächeln in den Gesichtern wieder sehen, wenn darüber gesprochen wurde, dass man draußen im Stadion die Maske weiterhin tragen musste, drinnen aber nicht. Denn die Staatsregierung hatte die 15. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung verlängert (nicht den Begriff, nur die Gültigkeit), und zwar, kein Scherz: bis zum 2. April. So soll manche Pressekonferenz neben dem Meinungs- auch dem Virenaustausch gedient haben.

Pressearbeit für einen fremden Verein

Pressemitteilungen sind oft eine dröge Angelegenheit. "Spieler XY passt charakterlich sehr gut zu uns", solche Dinge. Interessant wird es, wenn ein Verein die Pressearbeit für einen anderen Verein übernimmt, ohne dass dieser es weiß. Zunächst war auch ein Aprilscherz nicht auszuschließen, als Tarik Sarisakal vom FC Pipinsried, am 1. April, eine denkwürdige Nachricht verschickte.

Immer auf Sendung: Tarik Sarisakal, Sportlicher Leiter des FC Pipinsried. (Foto: Goldberg/Beautiful Sports/Imago)

Stark eingedampft gab der sportliche Leiter darin bekannt, dass Trainer Hannes Sigurdsson vom FC Deisenhofen zu Wacker Burghausen wechselt. Sarisakal tat dies, weil er sauer war: Sigurdsson hatte zuvor mündlich in Pipinsried zugesagt, in Burghausen mache sich "der Saulus zum Paulus", schloss er. Abwerbeversuche werden im Amateurfußball bisweilen behandelt wie Kapitalverbrechen, obwohl sie freilich nicht verboten sind. Womit wir bei Roman Plesche wären. Der hat beim abgestürzten Ex-Profiklub Türkgücü München die Kaderplanung für die nächste Regionalliga-Saison übernommen, obwohl auch seine Kaderplanung in der dritten Liga dazu beigetragen hatte, dass der Verein nach anhaltender Erfolglosigkeit den Geldgeber verlor. Besonders schlecht zu sprechen sind sie auf ihn gerade bei Ligakonkurrent SV Heimstetten. Dort hat Plesche dem Vernehmen nach einige Spieler angerufen und einfach mal gefragt, ob sie wechseln wollten. Vielleicht folgen ja bald wieder interessante Pressemitteilungen.

Meuterei in der Oberpfalz

In der Winterpause schien die Zukunft noch rosig beim ASV Neumarkt: fünfter Platz in der Bayernliga Nord, nur vier Punkte fehlten auf Rang eins, und fürs neue Jahr dann noch ein guter Vorsatz: Der ASV verlängerte vorzeitig bis Sommer 2023 mit dem Trainer. Doch nur einige Tage später meuterte die Mannschaft gegen den Übungsleiter Jürgen Schmid, der einen Spieler suspendiert hatte. Es folgten mehrere Eskalationsstufen. Ein Freundschaftsspiel wurde abgesagt, weil die Mannschaft nicht antrat. Das Team setzte sich durch, Schmid musste gehen, der Hauptsponsor zog sich zurück. Das geschasste Duo Schmid/Geitner tauchte dann am Gründonnerstag, auf dem Vereinsgelände auf und sah beim Training zu. Der Grund: Beim ASV hatten sie vergessen, dass die Frist für die Trainer-Beurlaubung abgelaufen war, die beiden wollten sich keinen Absenzeintrag zuschulden kommen lassen. Wiederum einen Tag später wurde Trainer-Nachfolger Michael Lohse wegen eines kritischen Interviews mit der Mittelbayerischen Zeitung beurlaubt. Doch Neumarkt tritt den Beweis an, dass Trainerrauswürfe meist gar nichts bewirken: Die Mannschaft beendete die Saison auf Rang fünf.

Fabelwesen zwischen den Pfosten

Wahrscheinlich wird Lukas Wenzels Zettel nicht im Haus der Geschichte landen, so wie jener, den Jens Lehmann im WM-Viertelfinale 2006 gegen Argentinien in seinem Stutzen aufbewahrte. Aber zumindest Aubstadt stand Kopf dank dieser Notizen wie "15: Mitte", die sich der TSV-Keeper an seine Getränkeflasche geklebt hatte: Im Toto-Pokal-Halbfinale gegen 1860 München hielt Wenzel ("Ich bin ein Fuchs!") drei Elfmeter, zum Beispiel jenen von Marcel Bär, Rückennummer 15. Im Finale jedoch wurde aus dem Fuchs, der die Löwen bezwang, ein Hase, der gegen den Igel verlor. Das Spiel beim FV Illertissen ging nämlich mit demselben Ergebnis von 1:1 ins Elfmeterschießen, doch da waren es dann die Gastgeber - dank ausreichendem Anschauungsmaterial -, die genau wussten, wohin die Aubstädter schießen würden. Jetzt wurde FV-Torwart Felix Thiel zum "Man of the Match". Er hielt nicht nur zwei Elfmeter, er verwandelte auch einen. Hatte ja keiner eine Ahnung, wo er hinschießen würde.

Kick him like Lautern

Die Idee stellte sich im Nachhinein als brillant heraus: Obwohl er den Klub zunächst vor dem Abstieg gerettet und in der neuen Saison in die Spitzengruppe der dritten Liga geführt hat, wurde Trainer Marco Antwerpen vom 1. FC Kaiserslautern vor die Tür gesetzt - unmittelbar vor den Aufstiegsspielen.

Frühzeitig Feierabend: Trainer-Novize Orhan Akkurt (re.) wurde beim SV Pullach noch vor der Relegation entlassen. (Foto: Sven Leifer/foto2press/IMago)

Was ein vierfacher deutscher Meister kann, kommt dem SV Pullach gerade recht. Der Bayernligist aus dem Isartal tat es den Roten Teufeln im Endspurt des Abstiegskampfes gleich mit dem Rauswurf von Orhan Akkurt. Ein Trainernovize, dessen Qualifikation vor allem darin bestand, dass er als Aktiver so etwas war wie der Gerd Müller des bayerischen Amateurfußballs. Akkurt hatte dann im Frühjahr sogar eine fast Antwerpen'sche Siegesserie hingelegt, doch nach nur zwei Niederlagen im April zog Pullachs Alleinentscheider Theo Liedl die Notbremse - und übernahm das Traineramt selbst. Den direkten Abstieg konnte er zwar nicht verhindern, der Start in die Entscheidungsspiele gelang jedoch - 4:1 siegte Pullach in Unterföhring, muss nun noch das Rückspiel und eine weitere Runde überstehen. Und vielleicht steht am Ende ja wie beim FCK eine große Party. Der geschasste Orhan Akkurt, 36, hat sich übrigens mit seiner Lieblingsbeschäftigung getröstet: Er ballerte kurz nach seiner Entlassung den SV Waldperlach zum Klassenerhalt in der Bezirksliga.

Geldgeber, die kein Geld mehr geben

Im Fußball gibt es nichts, das es nicht gibt. Wie wäre es mit folgender Geschichte: Ein ambitionierter Sponsor und Macher pimpt einen Klub über Jahre hinweg, das Team klettert die Ligen empor, als wäre es nichts. Allerdings stets mit wechselndem Personal, schließlich muss die Qualität des Kaders ja mit den immer anspruchsvolleren Spielklassen mithalten. Und dann, als der Weg nach oben erstmals ein wenig ins Stocken gerät, schmeißt der Geldgeber hin - mitten in der Saison, was direkt dazu führt, dass die Mannschaft aus dem laufenden Spielbetrieb gerissen wird, die Tabelle windschief dasteht und das Thema "Wettbewerbsverzerrung" nicht nur hinter vorgehaltener Hand die Runde macht. Dem Mäzen wird Größenwahn hinterhergerufen, am Ende gibt es auch viel Schadenfreude. Ja, genau das hat sich in dieser abgelaufenen Saison zugetragen, der geneigte Leser hat womöglich davon gehört. Und zwar beim unterfränkischen Landesligisten SV Euerbach/Kützberg. Ähnlichkeiten mit einem Münchner Drittligisten sind rein zufällig.

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