AC Florenz in der Conference League:Florenz schwankt zwischen Show und Anarchie

Lesezeit: 4 min

Mann zwischen Show und Anarchie: Vincenzo Italiano macht seinem Spieler Luca Ranieri im italienischen Pokalhalbfinale gegen Cremonese eine Ansage. (Foto: Jennifer Lorenzini/Reuters)

Der Halbfinalist der Conference League erlebt gerade eine seltene Stunde des Ruhms - mit einem modernen Trainer, einem Kalabrier aus New York als Präsidenten und einem seelenruhigen Marokkaner in der Risikozone.

Von Oliver Meiler, Rom

Wo gibt es das schon: einen Fußballverein, der wie ein Stück Fleisch heißt? Die Fiorentina ist ein toskanisches Steak, gewonnen von Jungochsen der Rinderrasse Chianina. Es wird mehrere Finger dick aus dem Filet geschnitten, gegrillt samt Knochen, serviert mit grobem Salz und Olivenöl. In Florenz stellen sich Touristen lange an, um in eines der vielen Fleischrestaurants zu kommen, die alle vom Mythos der Bistecca alla Fiorentina leben. So etwas wie das Kobe Beef der Italiener.

Die Fiorentina ist auch ein Fußballklub, die ACF Fiorentina. Kein ganz großer Verein, obschon Herrschaften wie Giancarlo Antognoni, Gabriel Omar Batistuta, Luca Toni und Franck Ribéry für ihn spielten, um nur vier anzuführen, vier prominente. Die Fiorentina ist keine der "sette sorelle", wie die Italiener ihre sieben besten Teams der jüngeren Vergangenheit nennen: Juve, Inter, Milan, Atalanta, Lazio, Roma, Napoli. Aber eine Cousine ersten Grades dieser Schwestern ist sie schon. Mit einem respektablen, etwas angestaubten Palmares.

SZ PlusReal Madrid gegen Manchester City
:Die Großmeister liefern ein taktisches Spektakel

Beim 1:1 im Halbfinal-Hinspiel der Champions League hilft Real Madrid ein Kniff von Trainer Carlo Ancelotti. City-Mastermind Pep Guardiola reagiert nicht darauf - weil er das Chaos fürchtet.

Von Javier Cáceres

Zweimal in ihrer fast hundertjährigen Geschichte sind die Florentiner Meister geworden, 1956 und 1969. Sechs Mal gewannen sie die Coppa Italia, den stets belächelten nationalen Pokal. In diesem Jahr stehen sie mal wieder im Finale: gegen Inter Mailand, am 24. Mai in Rom. Das ist also eine ganz gute Saison.

Würden die Erfolge an der internationalen Aura gemessen, läge die Stunde der Glorie allerdings schon 62 Jahre zurück. 1961 gewann die Fiorentina den Europapokal der Pokalsieger, so etwas wie der Vorgängerwettbewerb der heutigen Conference League, ihre einzige europäische Trophäe. Und da sieht man jetzt in Florenz beträchtliches Potenzial für eine Replik. Die Fiorentina steht im Halbfinale gegen den FC Basel, der ihr, mit Verlaub, wie eine recht überwindbare Herausforderung erscheint (Hinspiel am Donnerstag, 21 Uhr, RTL+). Die Meisterschaft jedenfalls hat man schon ein bisschen fahren lassen und begnügt sich mit dem besseren Tabellenmittelfeld: Die Toskaner konzentrieren sich nun auf die beiden Pokale in relativer Reichweite.

Die "Viola", wie man die Fiorentina wegen ihrer Vereinsfarbe auch ruft, hört seit bald zwei Jahren auf einen Trainer aus der gefeierten Kategorie moderner, italienischer Coaches, die das Label der Modernität ihrem Sinn für die Offensive verdanken: Vincenzo Italiano, 45 Jahre alt, geboren in Karlsruhe in eine Emigrantenfamilie und aufgewachsen in Sizilien. Bekannt wurde er als Trainer von La Spezia, einer sehr entfernten Cousine der sieben Schwestern. Die veranstaltete unter ihm einen spektakulären Fußball, presste hoch wie eine große Mannschaft und stürmte mit vielen Akteuren. Sein Wechsel galt den Florentinern als Garantie für Show, und ja: Oft ist seitdem Show in Florenz, allerdings nicht immer nach dem Gusto der Fans.

Italianos Fiorentina leistet sich zuweilen denkwürdige Aussetzer in der Abwehr, anarchische Momente, zum Beispiel im Viertelfinale der Conference League gegen Lech Poznan. Da hätten sie im Rückspiel daheim beinahe ihren 4:1-Vorsprung aus dem Hinspiel verspielt: Die Polen führten im Stadio Artemio Franchi plötzlich 3:0. Am Ende gelangen noch zwei Tore zur Qualifikation. Doch der Angstschweiß steht den Florentinern noch verkrustet im Gesicht.

Italiano musste über die vergangenen zwei Jahre seine Besten ziehen lassen, die zweimotorige Tormaschine: den Flügel Federico Chiesa und den Mittelstürmer Dusan Vlahovic. Beide wechselten zu Juventus Turin. Glücklich wurden sie dort bisher nicht, und so hat man in Florenz schnell über die Nostalgie hinweggefunden.

Rocco Commisso, der reiche Besitzer des Vereins, ein kalabrischer Medienunternehmer aus New York mit lustigem Italienisch, hat Spieler im Dutzend nach Florenz geholt, auch Herrschaften mit Namen: Luka Jovic etwa von Real Madrid, der als "neuer Vlahovic" gehandelt wurde. Nun, er trifft nur selten. Lange galt auch der Brasilianer Arthur Cabral, den man aus Basel geholt hatte, als mittlerer Fehleinkauf. 2023 aber scheint Cabrals Jahr zu sein, die Blockade ist weg.

Amrabat hat schon lange den Gestus eines Veteranen, dabei ist er erst 25

Herz und Kopf von Fiorentinas Spiel ist Sofyan Amrabat, der Regisseur im tiefen, zentralen Mittelfeld. Es gibt nicht viele Spieler, die in dieser Gegend des Platzes - die ja bei der kleinsten Flüchtigkeit zur Hochrisikozone wird - sich so selbstsicher, so seelenruhig bewegen wie dieser Marokkaner, Protagonist bei der WM in Katar. Amrabat ist erst 25 Jahre alt, hat aber den Gestus eines Veteranen, lange schon. Seit drei Jahren spielt er für die Fiorentina, die halbe Welt will ihn. Im Winter konnten sie ihn nur mit viel Mühe halten.

Florenz' Abräumer Sofyan Ambrabat (re.), hier gegen Napolis Hirving Lozano, ist in der Hochrisikozone zu Hause. (Foto: Francesco Pecoraro/Getty)

Commisso mag ein sehr reicher Mann sein, nach Schätzungen des Fachmagazins Forbes 8,7 Milliarden Dollar schwer. Doch gewisse Offerten schlägt man als Geschäftsmann nicht aus. Zumal Commisso große Pläne hat mit seinem Verein. Gerade wurde das neue Trainingscamp der Fiorentina fertig, der "Viola Park", eine Menge Zypressen sollen noch gepflanzt werden. Dann ist der Umbau des Stadions dran, und der ist kompliziert. Das Franchi ist ein Bau des großen Ingenieurs Pier Luigi Nervi, Maestro des Rationalismus: eine monumentale Stilikone mit vielen feinen Elementen, dem so genannten Marathonturm, den frei stehenden Wendeltreppen, dem leichten Dach aus Beton. Gefeiert von Architekturstudenten und Kulturhistorikern aus der ganzen Welt. Zu seiner Zeit war es kühne, kantige Avantgarde.

Sehr kommod ist das Franchi aber nicht, auch nicht modern. Commisso, mehr Amerikaner als Italiener, hätte es am liebsten plattwalzen lassen und an dessen Stelle eine neue Arena errichtet. Doch das frühere Stadio Comunale ist denkmalgeschützt. Seine Besitzerin, die florentinische Stadtverwaltung, besteht auf unverhandelbaren Auflagen. So drohte Commisso, die Fiorentina zu verpflanzen, raus aus der Stadt, wo es billiger wäre, ein neues, vereinseigenes Stadion zu bauen. Auch, um keine Miete mehr bezahlen zu müssen. Aber braucht Florenz zwei Fußballstadien?

Nun, man fand einen Kompromiss. Eine Weile lang sah es sogar so aus, als hätte man auch die Mittel für die Modernisierung gefunden: Ein beträchtlicher Teil, etwa 140 Millionen Euro, würden vom Staat kommen; der Rest aus dem üppig bemessenen Wiederaufbaufonds für die Zeit nach der Pandemie, dem so genannten Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza. In Brüssel aber, wo über das viele Geld für Italien gesprochen wurde, fand man, dass die Ressourcen nicht für Fußballstadien eingesetzt werden sollten, weder in Florenz noch in Venedig. Und so suchen sie in Florenz jetzt wieder nach 55 Millionen Euro. Vielleicht eine Geste des Patrons?

Das "Restyling" des Franchi soll nun Schritt um Schritt vonstattengehen, nicht in einem Ruck. Noch steht es da in alter, leicht dekadenter Glorie. Sein dünner Turm ragt wie ein Ausrufezeichen in den Himmel von Florenz.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFabio Cannavaro im Interview
:"Ach, was ist schon typisch italienisch?"

Bei Italiens WM-Titel 2006 war Fabio Cannavaro Kapitän, er spielte für Inter und kennt die Rivalität zu Milan. Ein Gespräch über den italienischen Aufschwung im Europapokal, väterliche Klubpatriarchen und die Probleme der Bundesliga.

Interview von Thomas Hürner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: