Der Weg von Garmisch-Partenkirchen nach Österreich dauert mit dem Auto etwa 20 Minuten; die Straße führt durch eine Gegend, in der selbst die Sonne nur notgedrungen vorbeischaut und die Loisach scheinbar ein bisschen schneller fließt. Die kleine Siedlung Griesen kurz vor der Grenze wirkt mit ihren zu Tempo 50 mahnenden Ortsschildern, als habe die zentrale Bußgeldstelle Bayern am Ende der Republik noch den perfekten Ort für Radarfallen eingerichtet. Es gibt einen Wanderparkplatz, an dem die Menschen nur halten, um ihn zu Fuß möglichst schnell wieder zu verlassen.
Ein paar Kilometer weiter südlich steht auf der rechten Seite eine Tankstelle im Schatten der Bergmassive von Daniel und Zugspitze. Manchmal reihen sich hier die Autos mit deutschen Kennzeichen, weil der Sprit doch ein paar Cent billiger ist als drüben in der Heimat.
Mehr weist heute eigentlich nicht mehr darauf hin, dass man in einem anderen Land angekommen ist.
Wenn es um Grenzen und das Brückenschlagen zwischen Ländern geht, erzählt Peter Nagel, einer der beiden Garmisch-Partenkirchner Tourismusdirektoren, gerne die Geschichte von einem anderen Transportmittel: dem Schneeexpress, einem für Gäste kostenlosen Pendelzug, der seit vier Wintern die Zugspitzregion in Bayern mit der sogenannten Tiroler Zugspitzarena verbindet. "Entstanden ist das aus dem Gedanken: Die können ja gerne drüben in Österreich wohnen, aber sie sollen wenigstens hierherkommen und ihr Geld ausgeben." Viele von Nagels Mitbürgern sahen das anders. "Die meinten: Wie könnt's ihr eigentlich so blöd sein und unsere Gäste da gratis rüberfahren."
Es ist in den Köpfen vieler Einheimischer etwas später angekommen, dass es zwischen den Ländern doch mehr geben sollte als einen Radarfallenort und eine Tanke - selbst dann, wenn die eine Gemeinde in Österreich liegt und die andere in Deutschland. Die Zahl der Schneeexpress-Nutzer ist von 16 000 in der ersten Saison auf mittlerweile 95 000 angestiegen, die der Übernachtungen in Garmisch im gleichen Zeitraum von 1,16 auf 1,32 Millionen im Jahr 2013. Es ist der beste Wert seit mehr als einem Jahrzehnt.
Seit Februar arbeiten Garmisch-Partenkirchen, Grainau und die Tiroler Zugspitzarena unter dem Namen Zugspitzarena Bayern-Tirol als erste deutsch-österreichische Urlaubsdestination noch enger zusammen. Der gemeinsame Slogan: 360 Grad - grenzenlose Zusammenarbeit.
Auf den ersten Blick erinnert die Verbindung der beiden Regionen an einen leicht abgehobenen Gigolo mit der freilich nicht standesgemäßen Landpomeranze im Arm. Aber dem Gigolo ist mit den Jahren offenbar klar geworden, dass es sich von der Vergangenheit alleine auch nicht leben lässt - und die Landpomeranze bei genauerem Hinsehen ziemlich was hermacht. Bei Nagel klingt das so: "Nach der Ski-WM 1978 war Garmisch einige Jahre the place to be. Darauf haben wir uns zu lange ausgeruht. Das Höher, Schneller, Weiter ist vorbei." Die Zeit der Eigenbrötlerei auch.
Wer Nagels Büro verlässt, passiert die Poster der Partnerstädte, allesamt namhafte Wintersportstätten. Draußen wird auf dem Weg in die Fußgängerzone klar, aus welcher Epoche die Freundschaften mit Aspen, Chamonix und Lahti stammen: Olympiasaal, Kongresshaus und der Eingang zum Kurpark sind die Zeugen einer Zeit, die mit Läden von Weltbild, NKD und H&M nicht unbedingt in einen neuen Glanz überführt wurde. Warum also nicht näher an jene kleinen Ortschaften auf der südwestlichen Seite der Zugspitze rücken, wo der Aqua Dome zwar noch Hallenbad heißt, die zwischen drei Orten liegende Hochebene dafür aber meistens genügend Sonne abbekommt und der Niederländer-Anteil im Winter fast ein Drittel ausmacht? "Wir sind eher auf dem amerikanischen Markt stark", sagt Nagel, und sein Ehrwalder Pendant Katrin Perktold meint: "Garmisch ist mondäner, wir sind eher klassisch. Wir ergänzen uns."
Während in anderen Branchen schon Autohersteller, Banken und Fluglinien um die Wette fusionierten, als gäbe es einen Preis für die fetteste globale Zusammenarbeit zu gewinnen, hat sich der Tourismus in punkto Koproduktionen viele Jahre schön an seine administrativen Trennlinien gehalten. Eine Region als Region zu definieren und zu verkaufen ist auch weitaus schwerer, als eine Stadt auf der touristischen Landkarte zu platzieren. Und dann erst in den Bergen, wo das nächste Tal vielleicht noch dazugehört, aber doch schon ganz anders ist. So vermarktete sich der Landkreis Garmisch-Partenkirchen bis Anfang der 1990er als Werdenfelser Land. Weil das vom beschaulichen Staffelsee bis ins alpine Karwendel reichte und dann doch ein bisserl zu bunt für einen einheitlichen Auftritt war, entstanden vier Untermarken vom Blauen Land bis zur Alpenwelt Karwendel.
Auf das Werdenfelser Land folgte das Kur- und Ferienland Garmisch-Partenkirchen. Mit dem Eintritt ins Internetzeitalter war der Name aber schnell vergessen. Zu lang und altbacken. Inzwischen nennt sich das Konglomerat Zugspitzregion. Der Zusammenschluss auf österreichischer Seite mit den Orten Ehrwald, Lermoos und Biberwier heißt dagegen Tiroler Zugspitzarena. Beobachter erinnert das an die Filmkomödie "Das Leben des Brian", als die Volksfront von Judäa auf die Judäische Volksfront trifft. Tourismusberater wie Peter Zimmer von Futour fordern längst, solchen Lokalpatriotismus beiseitezulassen und in Zeiten der Konkurrenz durch Kaukasus-Skitouren und Kilimandscharo-Trekking beispielsweise eine übergreifende Marke "Alpen" zu entwerfen.
Zugleich haben es die Touristiker bei aller Grenztreue geschafft, eine grandiose Unübersichtlichkeit in ihrer Welt der Markennamen zu erzeugen. Es ist nämlich nicht so, dass die Zugspitzarena Bayern-Tirol nun die Tiroler Zugspitzarena und Bayerns Zugspitzregion ablöst. Die Namen bleiben weiter bestehen. Unter dem Dach der Zugspitzregion firmiert außerdem das Zugspitzland als eigene Marke, zu der wiederum der Ort Garmisch-Partenkirchen zählt. Zugleich freut sich Garmisch, dem alpenweiten Premium-Club Best of the Alps anzugehören. Übergeordnet gibt es da außerdem noch den Tourismusverband München-Oberbayern und Bayern Tourismus.
Peter Nagel findet das selbst ziemlich irre, besonders vor Messeauftritten, wenn sich das gesamte Geflecht offenbart. Andererseits sei es auch notwendig, auf verschiedenen Märkten mit unterschiedlichen Namen zu trommeln. "In Nordamerika kennt die Zugspitze niemand. Dort treten wir als Garmisch-Partenkirchen auf", sagt Nagel. Die riesigen Skivereine der USA würden nur noch in Best-of-the-Alps-Skigebieten gastieren. "In Asien dagegen hat die Zugspitze einen unglaublichen Namen."
Die Zugspitze ist der Berg, der die Bayern mit den Tirolern verbindet, der die Gegend abhebt vom Rest der Welt. Markante Berge funktionieren als Marketinginstrument und Urlaubsargument ja auch in anderen Gegenden wie rund um den Dachstein, die Jungfrau oder den Watzmann schon ganz gut. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Zugspitzregion überall schöner ist als auf der Zugspitze selbst. "Verbaut, zugepflastert, eigentlich unattraktiv", sagt selbst Nagel über die mit mehreren Bahnen erschlossene Gipfelregion. Letztlich ist der höchste Punkt Deutschlands nur der unspektakuläre Ausläufer eines beeindruckenden Massivs, das durch seine Vielfalt tatsächlich wenige Ferienwünsche offen lässt. "Aber von der Zugspitze kommt's Geld her", sagt Nagel.
Erleichtert wird die grenzübergreifende Verbindung durch Zuschüsse im Rahmen des Interreg-Programms der EU - das demnächst ausläuft. Entsprechend schnell wurde die Liebe besiegelt. "Da wären wir ja blöd gewesen, diese Chance nicht zu nutzen", sagt Perktold. Weil die Mittel in Deutschland ausgeschöpft sind, laufe das Thema über ihren Tisch in Ehrwald. 13 Punkte umfasst das Projekt, darunter Logo, verschiedene gemeinsame Events wie Laufveranstaltungen, gemeinsame PR-Arbeit, das Vernetzen der Radwege. 60 Prozent der Gesamtkosten von 850 000 Euro steuert die EU bei. Nagel ist jedoch wichtig: "Ich will nicht nur zwei Jahre zusammen arbeiten, weil wir Fördergelder kriegen." Langfristig sollen weitere Mitglieder wie andere Gemeinden oder Bergbahnen das Projekt bereichern.
Einer wie der Garmischer Werner Niedermaier würde sich durchaus mehr Kooperation wünschen - jenseits aller Programme, Projekte und Prozente. Der Inhaber eines Sportgeschäfts auf der Straße gen Österreich war als eine von 60 Personen in den Markenfindungsprozess der "grenzenlosen Zusammenarbeit" eingebunden. Er ist einer dieser Menschen, die bremsen, wenn alle "Hurra" rufen, und der "Weiter" ruft, wenn alle bremsen. Einer, der "Wir" sagt, wenn er über seinen Betrieb erzählt. Niedermaier spricht auch gerne über Bilder, die im Kopf entstehen müssen, positiv besetzte Bilder, von Bergen, vom Essen, vom Urlaub. Er sagt: "Bei dem Wort Südtirol habe ich sofort Bilder im Kopf. Du musst dem Gast eine Welt bieten, die er schon zu Hause mit Urlaub verbindet." Man müsse den Namen Zugspitzregion mit Leben füllen, mit Bildern. "Da sind wir eher schwach", findet Niedermaier.
Er glaubt ohnehin, dass die Tourismusmacher mit der Kooperation nur auf eine Entwicklung reagieren, die schon längst stattgefunden hat. "In den Köpfen der Gäste gibt es die Grenze doch gar nicht mehr." Jetzt müssten Verbindungen geschaffen werden. Verbindungen zwischen Bergführern, Gastgebern, Einzelhändlern, keiner solle mehr so vor sich hinwursteln. Der Netzwerkgedanke "soll nicht dafür da sein, dass sich die Verbandsmenschen auf die Schulter klopfen. Er muss in den Köpfen der Menschen ankommen".
Er will Bilder von Menschen in Badeseen, auf Almwiesen, auf dem Mountainbike, keine Tankstellen.
Informationen
Tourismusverbände: Tiroler Zugspitz Arena, Am Rettensee 1, 6332 Ehrwald, Österreich, Tel.: 0043/56 73/200 00, www.zugspitzarena.com, Garmisch-Partenkirchen, Richard-Strauss-Platz 2, 82467 Garmisch-Partenkirchen, Tel.: 08821/18 07 00, www.gapa.de, Tourismus-Service Zugspitzland, Am Gern 1, 82490 Farchant, Tel.: 08821/96 16 35.
Zugspitz-Fahrten: Die Bayerische Zugspitzbahn verlangt für die sogenannte "Rundreise" (Zahnrad- und Seilbahn) von Garmisch aus pro Erwachsenem 41,50 Euro, www.zugspitze.de. Bei der Tiroler Zugspitzbahn kostet die Fahrt zum Gipfel und zurück für Erwachsene 37,50 Euro, www.zugspitze.at. Wanderer und Bergsteiger gehen im Sommer über Höllental, Reintal oder die Ehrwalder Alm zum Gipfel. Gratis.